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Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1943-03
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Entstehungsdatum: 1943
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Originaltitel: März 1943
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom März 1943
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Einführung

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Der Artikel TBHB 1943-03 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom März 1943. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 14 Seiten.

Tagebuchauszüge

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[1]
Mittwoch, 3. März 1943.     

[1]      Marthas Zustand wird besser, jedoch sehr langsam. Ich wollte heute noch einmal den Arzt holen, weil sie immer noch Beschwerden im Halse hat, aber sie möchte es nicht. –

     Vorgestern Nacht waren die Engländer in Berlin. Man spricht von sehr schweren Schäden, besonders in der Gegend am Potsdamer Platz, aber Genaues weiß man nicht.

     Die Lage an der Ostfront scheint sich weiterhin zu bessern, unser Angriff bei Isjum scheint erfolgreich zu sein, an den anderen Stellen der Front kommen die Russen anscheinend nicht mehr vorwärts, mit Ausnahme bei Demjansk, südlich des Ihnensees, aber vorläufig ist das noch in bescheidenen Grenzen. Sollten jedoch die Russen jetzt ihre ganze Kraft dorthin verlegen u. ihnen ein Vorstoß bis Pleskau glücken, den sie offenbar im Sinne haben, dann dürfte dort eine neue, sehr große Gefahr entstehen. Unsere Armee bei Leningrad wäre dann ziemlich abgeschnitten.

     Die große Aktion des Arbeitseinsatzes scheint nicht weiter zu kommen. Hier im Dorf ist jedenfalls immer noch nichts geschehen, obschon die Aktion bis zum 15. März abgeschlossen sein soll.

     Fritz schickte mir die Abschrift eines Briefes, den ein Kaplan Raab an seine Kirchensänger in der Heimat in Viersen aus Stalingrad geschickt hat. Der Kaplan ist Divisionspfarrer u. war in Stalingrad mit eingeschlossen. Der Brief ist ein erschütterndes Dokument. Ich habe Abschriften davon gemacht [2] u. dieselben an Pfr. Dr. Tetzlaff, Rektor Bütemeyer, Pfr. Dobezynski, Kaplan P. Jaeger u. Pfr. Feige geschickt. Es heißt darin: „Dieses blutgetränkte Stück Erde einer ehemaligen 700000=Stadt möge nie und nimmer mehr von Menschen besiedelt werden. ... Aus den Seelen u. Herzen von uns allen, die wir hier in einer Schicksalsgemeinschaft ohnegleichen stehen, die wir nicht wissen, ob wir die nächsten Minuten noch erleben, – nur Gott weiß es – aus den Seelen u. Herzen schreie ich es Ihnen in die Heimat hinein: Bestürmt den Himmel! – Gibt es noch eine andere Mission für alle, die noch in etwa gesichert leben, wie die Aufgabe des Betens? – Wer jetzt noch nicht begriffen hat, daß hier nur Gott helfen kann, wer da glaubt, den Soldaten helfen zu müssen u. ohne Gott zu helfen glaubt, der möge doch hierher kommen ... Soeben habe ich eine große Schar von ihnen in einem gewaltigen Granattrichter, hinter der Ruine eines großen Gebäudes, zum eucharistischen Gott geführt. Es war schon dunkel u. alle knieten im Dreck u. falteten die Hände wie Kinder ... Ueber uns brauste ein schweres, feindliches Bombengeschwader. Die Russen haben uns zum Glück nicht gesehen. – Kyrie eleison! – Die Heimat soll es rufen, wie diese Männer es gerufen.“

     Dieser Brief ist datiert vom 3. November 1942, – da fing es in Stalingrad erst an. – Gestern Abend besuchte uns Frl. N. u. Martha bat mich, ihr den Brief vorzulesen, was ich nicht ohne ein leises Beben der Stimme tun kann. Frl. N. aber blieb völlig ungerührt u. ohne jedes Verständnis. – Armer Kaplan Raab! –

Abends.     

Außenminister v. Ribbentrop war vier Tage lang in Italien zur Verhandlung mit Mussolini. Man sagt, Mussolini habe seine Armee, die an der Ostfront steht, zurückverlangt, teils wohl deshalb, weil bald der Angriff auf Italien von Afrika aus zu erwarten ist, teils, weil man den Angriff auf Griechenland erwartet. Das wäre dann auch der Schlüssel zu den neuesten Frontverkürzungen an der Ostfront, denn heute meldet der Heeresbericht, daß Rschew von uns aufgegeben wäre. Ich nehme an, daß man bis dicht vor Smolensk zurückgehen wird, – falls man diese Stadt nicht auch aufgeben muß, womit dann freilich unsere letzte Nord=Süd-Verbindung sehr gefährdet würde. Es scheint also, als ob man entsprechend dem, was ich heute Morgen schrieb, eine russische Offensive auf die Linie Pleskau-Witebsk-Smolensk erwartet.

     Heute sprach ich mit Frau Pastor Kumpf. Sie ist Nationalsozialistin. Sechs Söhne hat sie, – der Aelteste ist bereits gefallen, vier andere sind in Rußland, von denen einer im Kaukasus gewesen ist. Von diesem hat sie seit dem 21. Dezember nichts mehr gehört. Ein anderer steht südlich des Ihnensee, wo schon lange schwere Kämpfe sind. Der jüngste, 15 Jahre, geht zur Schule u. ist jetzt in Wismar zur Flak eingezogen. Eben ziehen wieder englische Bombengeschwader über uns dahin.

[3]
Sonnabend, 6. März 1943.     

     Endlich scheint die Grippe überstanden zu sein. Gestern war eine bedeutende Besserung zu spüren, heute ist M. ganz wohl, doch hat sie noch im Bett gefrühstückt. Hoffentlich werden wir morgen wieder den feierlichen Ritus unserer Sonntags=Frühstücks zelebrieren können.

     Gestern Besuch von Frau Evi Schönherr aus Wustrow, sie brachte für M. einige Eier, – die Gute! Sie wartet seit dem 22. Februar auf ihren Mann, der Oberleutnant bei der Luftwaffe ist u. ganz oben im Norden Norwegens eine schwere Bombenmaschine fliegt. In den letzten Tagen waren verschiedene Angriffe gegen Geleitzüge nach Murmansk, – der Mann fliegt da mit. Seit zwölf Tagen wartet die arme Frau auf ihn. Sie war sehr nervös. – Von Frl. R. B. aus Berlin ein Brief über den letzten Fliegerangriff. Es muß sehr schlimm gewesen sein. Auch die Hedwigskirche ist nun ausgebrannt. Es scheint, daß sehr viele Teile Berlins betroffen worden sind. Der Brief war sehr deprimiert. Auch werden neuerdings wieder Juden verschleppt, die spurlos verschwinden.

     Von Marthas Tochter Ruth ein Brief. Sie tut jetzt sehr unglücklich, daß sie sich mit ihrer Mutter seit unserer Heirat so schlecht steht, u. ist es wohl auch; aber sie hat sich das selbst zuzuschreiben, sie hat es so gewollt. Nun will sie tun, als ob nichts gewesen wäre, – das geht aber nicht. Sie hat ihre wahre Gesinnung gegen mich, die sie all die Jahre unter der Maske von Freundlichkeit verborgen hat, zu unverhüllt gezeigt u. das läßt sich jetzt nicht mehr einfach weglügen. Ich habe ja nichts dagegen einzuwenden, wenn sie von mir schlecht denkt, – vielleicht bin in in ganz anderer Beziehung noch viel schlechter, als sie denkt, – aber ich weiß doch nun, wie sie denkt u. ich kann nicht so tun, als wüßte ich es nicht. Außerdem muß sie sich klar machen, daß eine Aussöhnung mit uns zugleich eine sehr bedenkliche Loslösung von ihrem Mann bedeutet, der ja dieses Zerwürfnis in einer sehr niederträchtigen Weise geschürt hat u. der ihr jetzt Charakterlosigkeit vorwirft, weil sie wieder eine Annäherung an ihre Mutter sucht. Dieser Mensch hat sich bei dieser Gelegenheit für so hinterhältig erwiesen, daß ein Verkehr mit ihm für mich ausgeschlossen ist. Es wäre unmöglich für mich, mit ihm unbefangen zu sprechen. – Es handelt sich um das schwierige Problem der chritl. Nächstenliebe. Diese kann nicht ausschließen, daß man Vorsicht üben muß einem Menschen gegenüber, dessen falsche Gesinnung unleugbar offenliegt. Ich wünsche diesem Menschen nichts Böses u. will keinen Groll gegen ihn hegen, aber ich will mich, – u. nicht zuletzt auch ihn selbst –, davor bewahren, daß er Martha u. mich u. schließlich auch Ruth fernerhin durch seine Hinterlist schädigt. Ich tue das am Besten, indem ich diesem Burschen das Haus verbiete, selbst auf die Gefahr hin, daß ich dadurch entweder die Aussöhnung zwischen Ruth u. ihrer Mutter erschwere, – oder diese an sich schon leider recht bröckelige Ehe ganz zerstöre. Uebrigens glaube ich kaum, daß dieser Bursche die Stirn haben wird, mir nach seinem Benehmen wieder unter die Augen zu treten.

[4]
Sonntag, 7. März 1943.     

     Endlich ist Martha so weit, daß sie mit mir zusammen wieder einmal frühstücken konnte. Es war unser feierliches u. genußreiches Sonntags=Frühstück mit einem Ei für jeden (dank der Güte von Evi Schönherr) u. Schinken (dank Fritzens Fürsorge), dazu frisch aufgeröstete Brötchen u. Bohnenkaffee, dieser ebenfalls von Fritz. Nachher lasen wir gemeinsam die Messe des heutigen Sonntages Quinquagesima, am Tische sitzend, denn mehr konnte sich M. noch nicht zumuten. –

     Am Südteil der Ostfront scheint die verbesserte Lage weiter anzuhalten, die Russen kommen nicht weiter, haben sogar im Raum Isjum-Kramatorsk zurückweichen müssen. In der Mitte im Raume von Rschew räumen wir dagegen weiter u. gehen zurück. Es braucht das aber keine Gefahr zu sein, solange die Russen nicht in Richtung Pleskau weiter kommen, u. unsere Front scheint hier zu halten. Unsere sonstige Rückwärtsbewegung bedeutet eine Frontverkürzung, die Stärkung bedeutet.

     In der Marineleitung sind sehr einschneidende Aenderungen vorgenommen. Auf Vorschlag von Generaladmiral Dönitz sind fünf oder sechs Großadmirale u. höchste Kommandoführer entlassen worden. Ich kann mir diese Maßnahme nur damit erklären, daß Dönitz, der ja in seiner neuen Stellung als Höchstkommandierender der ganzen Marine das Kommando der U=Boote beibehalten hat, die Absicht hat, alle Schlachtschiffe u. Kreuzer stillzulegen, um Mannschaften u. Offiziere, auf U=Boote umzuschulen. Dieser Gedanke ist wohl richtig, denn was tun wir schon mit unseren paar Schlachtschiffen u. Kreuzern. Bei einem Angriff der Engländer auf Nord=Norwegen, der nun wohl bald zu erwarten ist, werden diese Schiffe in kürzester Zeit so wie so erledigt sein, u. mit ihnen die Besatzungen, während diese auf U=Booten nützlicher verwendet werden können. Aber andererseits erkennt man daran auch, daß man nicht mehr weiß, wo man die Besatzungen für neue U=Boote hernehmen soll. Man kann daraus schließen, daß unsere Verluste in dieser Waffe, die ja niemals bekannt gegeben werden, recht beträchtlich sein müssen, sodaß der normale Ersatz aus jungen Mannschaften nicht mehr ausreicht. Man muß also bereits vom Kapital leben, weil Reserven nicht mehr genügend vorhanden sind.

     Inzwischen hat Finnland begonnen, ein recht unsicherer Faktor zu werden. Der Präsident Ryti ist zwar in Neuwahl wieder gewählt worden, fast einstimmig, aber es ist ihm dann schwer geworden, eine neue Regierung zu bilden. In letzter Zeit haben Regierungsmitglieder mehrfach Reden gehalten, in denen gesagt wurde, daß der Friede mit Rußland eine rein finnische Frage sei, d.h. also, daß die Finnen bereit seien, Frieden zu schließen auch ohne uns, wenn Rußland bereit sei, annehmbare Friedensbedingungen zu stellen. Es scheint, als wollten sie einen Separatfrieden machen, ehe die Engländer [5] ihre Offensive in Nord=Norwegen starten. Die Türken dagegen verstärken offensichtlich ihre neutrale Stellung u. es macht den Eindruck, als wollten sie sich damit gegen einen Einmarsch der 9. u. 10. englischen Armee, die jetzt beschäftigungslos in Irak, Iran u. Syrien stehen, wehren. Es fragt sich bloß, wie lange sie das können, man hat ja zu oft im Laufe dieses Krieges erlebt, wie so etwas gemacht wird. –

     Essen ist wieder einmal schwer bombardiert worden. Es vergeht kaum eine Nacht, in der die Engländer nicht irgendwo Bomben werfen. Bis Ende Oktober haben wir noch rund 150 Nächte vor uns, in dieser Zeit läßt sich allerhand kaputt schmeißen.

     Von einer Firma bekamen wir 6 Dtz. Lippenstifte geliefert mit der Auflage, dieselben vorwiegend an die Arbeiterbevölkerung zu verkaufen u. sie deshalb nur Freitags u. Sonnabends auszulegen. Das sagt viel! Von einer Schmuckfirma bekamen wir eine Anfrage über unseren Kundenkreis, da sie nur noch liefern dürfe, wenn folgende Käufer in folgender Reihenfolge für den Wiederverkauf in Frage kämen: 1) Wehrmachtsangehörige u. Verwundete. – 2). „Mutter u. Kind“, so weit diese in Heimen untergebracht sind, – 3) Bombengeschädigte. Nun, – es dürfte bald keine Deutschen mehr geben, die nicht Bombengeschädigt sind. – Elektrische Glühbirnen werden nicht mehr verkauft, jede Familie darf nur eine Birne haben.

Aschermittwoch, 10. März 1943     

     Gestern erhielten wir Nachricht von Marthas Bruder Otto Wendt in Blankenese. Er schrieb nicht selbst, sondern ließ nur durch seine Sekretärin mitteilen, daß Blankenese durch den letzten Fliegerangriff schwer mitgenommen worden sei. Sein Haus sei noch glimpflich davongekommen, außer einem abgedeckten Dach, einigen Mauerrissen u. zertrümmerten Fenstern u. Türen sei nichts weiter passiert; infolge dessen habe er das Haus für Obdachlose zur Verfügung gestellt. Die Polizei habe bei ihm Quartier bezogen u. in der ersten Nacht hätten 30 Personen dort kampiert. Jetzt würde dort Essen gekocht für 80 Personen. Er selbst u. seine Frau Lita seien gesund, ebenso der Sohn Max, aber alle seien mit den Nerven sehr mitgenommen. Das läßt sich denken. Otto u. Lita sind gutmütige u. freundliche Menschen, aber auch Materialisten extremster Art, – ihr Gott ist der Bauch. Merkwürdig ist, daß ich meinen letzten Brief an Otto zu seinem Geburtstag im Februar mit den Zitat Mt. 24, 38 – 19 begann: „Gleichwie man in den Tagen vor der Sintflut aß u. trank, zur Ehe gab u. nahm bis zu dem Tag, da Noe in die Arche ging u. man nicht zur Besinnung kam, bis die Flut hereinbrach u. sie alle mit sich fortriß ...“ – Es ist das knapp vier Wochen her u. ich entschuldigte mich, daß ich einen Geburtstagsbrief mit einem so düsteren, apokalyptischen Satz begann u. bezog ihn dann auf den Krieg im Allgemeinen. Nun ist etwas davon über sie gekommen. – Aber auch das wird keine Sinnesänderung dieser Leute herbeiführen, so wenig wie die ägyptischen Plagen eine Sinnesänderung Pharaos herbeigeführt haben. [6] Und wie es bei Otto u. Lita Wendt ist, so ist es beim ganzen Volke. – Seit vielen Generationen ist der Teufel über dieses Volk gekommen, besonders über die Preußen. Solange dieser verfluchte, militaristische Geist noch darauf gerichtet war, Preußens Bestand zu sichern u. die Angreifer abzuwehren, mag dieser Geist noch eine gewisse Berechtigung gehabt haben, obgleich auch das sich nicht mit der Bergpredigt vereinigen läßt. Man kann aber sagen, daß wir nun einmal nicht im Himmel leben, sondern auf Erden, u. daß wir danach handeln müssen. Seitdem aber dieser Militarismus darauf ausgegangen ist, die Macht in Europa an sich zu reißen, ist er zum Frevel geworden. Seit Generationen sind die deutschen Menschen in diesem Geiste von Kindheit an erzogen worden u. ich weiß garnicht, wie man diesen Geist wieder aus dem Volke hinausbringen will, denn was darin in den letzten 10 Jahren geleistet worden ist, übertrifft alles bisher Dagewesene. Solange das ganze Volk wirklich von diesem Heldenideal durchdrungen war, lag darin eine schauerliche Größe; aber in diesen letzten 10 Jahren hat man dieses Ideal mechanisiert. Der Erfolg ist, daß der kleine Mann, der einfache Soldat u. der Arbeiter, allein noch Träger dieses Ideals sind, weil man diese Leute von Kindheit an darauf dressiert hat u. weil sie zu naiv sind, um diesen Betrug zu merken, zumal auch weite Kreise des Bürgertums ebenso naiv sind. Aus diesen Kreisen kommen die Offiziere u. die große Zahl der kleinen Parteifunktionäre, während die höheren Bonzen garnicht daran denken, auf diesen Schwindel reinzufallen. Ich kenne nur zwei von diesen Leuten. Der eine ist der SS=Obergruppenführer Lorenz, – der andere der SS=Brigadeführer v. Alvensleben. Beide Männer sind Offiziere, der erstere Rittmeister a.D, der andere Hauptmann a.D. Beide sind zwischen 40 – 50 Jahren, beide sind groß, kräftig, gesund, wahre Hünen von Gestalt, also die geborenen Helden – u. beide geben sich unter dem Rang „General der Polizei“ einer nicht weiter kontrollierbaren Beschäftigung hin, die sie von Zeit zu Zeit durch Jagdausflüge hierher nach dem Darss unterbrechen, – selbstverständlich im Dienstauto. Ihre SS=Truppe kämpft u. stirbt derweilen an der Front. – Ich kenne nur diese zwei Bonzen u. es wäre ja ein seltsamer Zufall, wenn nur grade diese zwei solche Halunken u. alle anderen Engel wären. Aber nein, jeder weiß, wie Goering in Karinhall u. anderswo lebt, wie Goebbels, Ley, Funk u. all die anderen leben, – u. niemand sagt etwas. Das Volk ist so dumm, daß ihm solche Gedanken garnicht erst kommen. – Zu Anfang, nach der Machtübernahme, haben diese Nazis einem sozialdemokratischen Ministerialbeamten einen Prozeß gemacht, weil er seine Dienstreisen in der II Klasse liquidierte, in Wirklichkeit aber III Klasse gefahren war, um die Differenz zu sparen. Diesen kleinen Spießer hat man als Betrüger u. Staatsverbrecher dafür bestraft. Die Herren heute machen solche Kleinigkeiten nicht, sie fahren im Auto, wenn sonst keiner Benzin hat u. verdienen auf anderen Gebieten das Tausendfache.

     Gestern am Spätnachmittag Besuch von Oblt. Dr. Krappmann mit Frau u. dem kleinen Jungen, der ein reizender kleiner Kerl ist. Dr. K. bestätigte [7] meine Vermutungen über die Gründe der plötzlichen Entlassung der hohen Admiräle. Er formulierte es so: „Wenn man zwei Waffen hat, von denen die eine wirkungslos ist, die andere wirkungsvoll, so ist es besser, die wirkungslose Waffe abzulegen u. dadurch die andere noch wirkungsvoller zu machen.“ Diese Ansicht ist zweifellos richtig, fraglich ist nur, ob die U=Bootwaffe dadurch so wirkungsvoll gestaltet werden kann, daß wir damit den Sieg erringen. Auch Oblt. Dr. K. bezweifelt es – mit mir! Wenn wir nicht jeden Monat eine Millionen Tonnen versenken, werden wir den Sieg mit dieser Waffe nicht erzwingen, – u. das geschieht längst nicht. Dr. K. erzählte in diesem Zusammenhang über den Admiral Marschall, der ebenfalls abgesetzt worden ist, daß dieser Katholik sei. Er habe nach einem Vortrag, den der Reichsleiter Alfr. Rosenberg vor der Marine gehalten habe, an den Führer einen Brief gerichtet, in welchem er gegen die Verbreitung unchristlicher oder gegenchristlicher Ideen in der Marine protestiert habe, weil dadurch die Kampfkraft der Marine untergraben würde. – Also ein aufrechter Mann u. Christ!

Sonntag Quadragesima, 14. 3. 43.     

     Fortwährendes warmes Frühlingswetter, sodaß man schon im Garten einiges tun kann. Im Vorjahre herrschte um diese Zeit noch starker Frost u. der Schnee lag so hoch, daß der Verkehr lahmgelegt war. –

     Draußen ist heller, klarer Mondschein u. die englischen Flugzeuge brummen unaufhörlich über uns. –

     Frau K. ist aus Berlin hier u. erzählt schlimme Dinge, wie es dort seit dem letzten Fliegerangriff Anfang dieses Monats aussehen soll. Kurz vorher war Essen bombardiert u. jetzt schon wieder. Es ist schauerlich. Pfarrer Dobczynski aus Barth schreibt mir von der schweren Verwundung seines Bruders, der als Kompaniechef vor Leningrad lag. Gesicht, Arme u. Beine zerfetzt. Man hofft, wenigstens ein Auge zu erhalten. Und den Pfarrer selbst hat man vor etwa einem Jahre einfach verhaftet, ohne Angabe von Gründen in das Gefängnis nach Stralsund verschleppt u. nach vier Wochen ebenso ohne Angabe von Gründen wieder entlassen. „Als Erziehungsmaßnahme“, sagt man. Neuerdings sind wieder fünf Geistliche in Pommern verhaftet worden. –

     Es gehen allerhand Gerüchte. Ein berühmter schwedischer Gehirnspezialist ist nach Königsberg gerufen worden. – Sauerbruch ist von Berlin abgereist. – Attentat auf Hitler! – Was daran wahr ist, weiß natürlich kein Mensch, – die Leute erzählen es auf der Dorfstraße. Tatsache ist, daß eigentlich heute „Heldengedenktag“ sein sollte, derselbe ist aber plötzlich auf nächsten Sonntag verlegt worden. –

     Vormittags Besuch von Mett aus Born. Zum Thema: „Arbeitseinsatz“ erzählte er, daß die Frau des Forstmeisters für 4 Wochen zur Erholung in die Alpen gereist sei, während ihr Haushalt von vier Dienstboten versorgt wird. Der Arbeitseinsatz kommt also auch für diese Familie nicht in Frage, denn der Forstmeister ist als Jagdherr natürlich der gute Freund [8] von Herrn Himmler, Lorenz, Goering usw. Rücksichtsloser Arbeitseinsatz gilt eben nur für uns. – Dem alten Bauern Paetow haben sie jetzt den letzten Sohn genommen, einen Knecht hat er nicht. Frühjahrsbestellung ist also unmöglich. Am Dienstag soll der einzige Fuhrmann des Dorfes, der die Lebensmittel u. a. Frachten von Ribnitz hierher holt, nach Stralsund zur Musterung. Der Mann ist, glaube ich, 52 Jahre alt. Wenn dieser Mann eingezogen wird, dann werden wir weder Frachten noch Lebensmittel mehr bekommen. Seine Pferde sind zwar so wie so schon halb verhungert, aber der Forstmeister hat acht Pferde in Sundische Wiese stehen. -

     Nachmittags war Herr Maßmann aus Prerow hier, – auf einem ganz neuen Motorrad. Er ist stellvertretender Amtsvorsteher, da der richtige endlich zum Militär eingezogen worden ist, nachdem er es bisher gut verstanden hat, sich zu drücken. –

     Mit Frau Oberin Gertrud van Beck in Bln. telephoniert. Sie wohnt in Südende u. erzählte am Telephon von dem fürchterlichen Bombardement. Es hat überall gebrannt, – in ihrem Hause konnte eine Brandbombe noch rechtzeitig gelöscht werden.

     Rektor Dutemeyer aus Müritz schreibt, daß der junge Erbe seines väterlichen Hofes in Stalingrad gefallen ist.

     Die Kinder Seeberg u. von Paepke sind hier eingetroffen aus Berlin, die Wohnungen der Eltern sind zerstört. – Und über uns kreisen die schweren Bomber. Es ist ein peinliches Gefühl, zu wissen, daß jeder von ihnen Bomben von 2 – 4 Centner Schwere bei sich hat. –

     Wjasma haben wir geräumt, angeblich zur weiteren Frontverkürzung, was wohl stimmen mag. Im Süden haben wir Charkow zurückerobert, wenigstens teilweise, – aber damit scheint auch unsere Gegenoffensive wieder stecken zu bleiben. Zunächst ist damit aber eine neue Stalingrad=Katastrophe bei Taganrog abgewehrt worden. –

     Gestern Abend Besuch von Frau Line Ristow, die einen Probedruck der Hochzeitsanzeige für Fritz u. Margret mitbrachte. Sehr gut gedruckt, aber auch meine Zeichnung ist sehr gut. Ich freue mich, daß mir so etwas doch noch sehr gelingt.

     Von Hilde Vollers aus Hamburg Nachricht, daß sie die Trauringe machen will. Habe ihr gestern das nötige Gold geschickt. – Solche Ringe dürfen nur 333 Gold haben u. nicht schwerer als 7 gr. sein. Der Grund dazu ist unbegreiflich, da man ja doch selber das Gold liefern muß, – u. wenn man mehr hat, so wird doch niemand geschädigt. Goering aber schenkt einer Sängerin, die zu seinem Geburtstag singt, ein schweres, goldenes Armband mit Brillanten! – Man fühlt das Abgleiten fast körperlich. –

     Neuerdings werden Einheimische mit Gewehren u. Armbinden ausgerüstet als „Landwacht“, – was das heißen soll, weiß niemand. Man sagt, es seien Gefangene ausgerückt; aber was sollen die hier? [9] Pfarrer D. schreibt übrigens wörtlich: „In den letzten Wochen sind wieder viele Priester verschwunden, in Stettin allein fünf!

Mittwoch, 17. März 1943.     

     Heute Nachmittag Besuch von Frau Prof. Erich Seeberg, mit der wir nun durch Fritzens Heirat in verwandtschaftliche Beziehung treten werden. Erich Seeberg ist der Bruder von Frau Dr. Bohner, der Mutter Margret's. – Sie kam aus Bln, wo ihre Wohnung total zerstört ist u. erzählte anschaulich von der Wirkung dieses letzten Bombenangriffs. Aber auch andere interessante Dinge erzählte sie, so von einer Hochverratsaffaire, die kürzlich in Bln. gelaufen ist, wobei die Angeklagten sich vorwiegend oder ausschließlich aus den Kreisen des Auswärtigen Amtes zusammengesetzt hätten. Alle sind zum Tode verurteilt, auch viele Frauen von hohen Beamten. Von dieser Sache habe ich schon vor einiger Zeit gerüchtweise gehört. – Auch berichtete sie, daß beim Bombenangriff sehr viele von den jetzt neuerdings bei der Flak eingesetzten 15-jährigen Jungens ums Leben gekommen, bzw. schwer verwundet worden seien. – Sie erzählte von verschiedenen Kollegen ihres Mannes, Pastoren, die in Konzentrationslagern waren, in denen vorwiegend hohe Beamte, hoher Adel, kathol. Priester u. evang. Pastoren gefangen gehalten werden u. ein qualvolles Dasein führen. Ferner von den täglichen Hinrichtungen im Gefängnis Plötzensee. – Sie meinte zu wissen, daß Hitler das Oberkommando, welches er sich angemaßt hatte u. das uns Stalingrad eingebracht hat, niedergelegt habe u. sich zur Erholung im Obersalzberg aufhalte. Auch das hörte ich vorher schon gerüchtweise. Nun erzählt Frl. v. Tigerström, die gestern nach langer Abwesenheit aus Süddeutschland wieder bei uns eintraf, daß der Führer durch München gefahren sei. So dürfte dies Gerücht also stimmen. Frl. v. T. erzählt über die Stimmung in Bayern, vor allem in München, wo ein heftiger Preußenhaß herrsche u. starke Opposition gegen die Regierung, was wiederum Terrormaßnahmen auslöse u. in ihrem Gefolge ebenfalls tägliche Hinrichtungen. –

Sonntag, 21. März 1943.     

     Gestern Nachmittag Besuch von Leutn. Dr. Steinmetz, der zu Kriegsanfang hier bei der Batterie am Hohen Ufer als Matrosen-Artillerist eingezogen war u. es seit längerer Zeit zum Leutnant gebracht hat. Er steht schon seit zwei Jahren in der Nähe von Bergen in Norwegen auf einer kleinen Insel ohne Baum u. Strauch, wo eine deutsche Küstenbatterie liegt. Er besuchte zwei Tage den Oblt. Dr. Krappmann u. fährt nun wohl auf Urlaub zu seiner Mutter nach Essen, deren Wohnung zu den wenigen gehört, die noch nicht von Bomben zerstört ist. Neues wußte er nicht zu berichten. Auch er erwartet nun bald einen Angriff auf Norwegen, – auch er glaubt nicht mehr an Sieg. –

     Heute ist der sog. „Heldengedenktag“, der eigentlich schon am vorigen Sonntag fällig war, aber auf heute verlegt worden ist. Warum, [10] weiß kein Mensch. – Bisher hat der Führer noch immer an diesem Tage eine Rede gehalten, u. man erwartete eine solche natürlich auch heute; aber bis jetzt ist im Radio überhaupt noch keine Notiz von diesem Tage genommen worden, weder gestern abend um 8 Uhr, noch heute früh um 7 u. um 10 Uhr. Das ist recht merkwürdig. – Man kann wohl daraus schließen, daß das Gerücht von der Erkrankung des Führers wahr ist. Dementsprechend sind in dieser Woche auch in den Zeitungen Bilder des Führers im Kreise einiger Feldmarschälle u. Generale „bei der Besperechung der Lage“ erschienen, doch läßt sich für den Aufmerksamen unschwer erkennen, daß es alte Bilder sind. Es soll damit aber offenbar der Eindruck erweckt werden, daß der Führer im Hauptquartier ist. –

     Von meiner Schwester Grete aus Dahlem ein düsterer Brief. In 100 mtr. vom Hause ist eine Bombe niedergegangen u. hat fünf Villen in Schutt gelegt, die Kiefern wie Streichhölzer zerknickt. In ihrer Wohnung ist das Dach abgedeckt, alle Fenster sind zertrümmert, Wände u. Decken haben Risse u. Löcher. –

     Von Margret Telegramm, daß sie das Abitur bestanden hat. Fritz ist in Le Tréport, wo er seine Buchhandlung neu einrichtet. Es herrscht dauernd sehr schönes Wetter, sodaß ich täglich etwas im Garten arbeiten kann. Die fast taghellen Vollmondnächte bieten ein gradezu ideales Fliegerwetter, doch nutzen die Engländer das merkwürdigerweise nicht aus. In der ganzen Woche fanden keine nennenswerten Angriffe statt, was sehr auffällig ist. Möglicherweise bedeutet das, daß die Engländer mit der Vorbereitung einer Invasion so völlig beschäftigt sind, daß sie für Fliegerangriffe keine Zeit haben. – Wollte Gott, daß es nun endlich dazu käme. – Der neue Großadmiral Dönitz war drei Tage in Italien zu Besprechungen mit der italienischen Marineleitung. Dieser Mann scheint wirklich ein Mann der Tat zu sein, der den Dingen furchtlos ins Auge sieht, denn seitdem er das Oberkommando hat, haben sich die U=Boot=Erfolge enorm gesteigert. Erst gestern wurden wieder über 200000 RRT. als versenkt gemeldet. Ich würde mich nicht wundern, daß seine Besprechungen in Italien den Zweck gehabt haben, den Rückzug Rommels aus Afrika vorzubereiten, u. das wäre unter den heutigen Verhältnissen das Klügste. Einmal müssen wir doch Afrika räumen u. es ist besser, es jetzt zu tun, als zu warten, bis dort für Rommel ein Dünkirchen hereinbricht, bei dem wir sicher fast nichts retten würden. Jetzt können wir wenigstens noch einen Teil retten, der dann für die Verteidigung Italiens verwendet werden kann. Der Besitz Bisertas ist heute nicht mehr viel Wert, denn wenn wir auch damit das Mittelmeer sperren, so hat diese Sperrung ja keinen Zweck mehr, nachdem die Engländer allmählich auch im östlichen Mittelmeer so stark geworden sind, daß sie auf diese Durchfahrt verzichten können.

[11]
Montag, 22. März 1943.     

     Gestern stellte ich um 2 Uhr das Radio an, um zu erfahren, ob der Führer nicht doch noch zum Heldengedenktag sprechen würde, u. erwischte grade noch die letzten Klänge dieser Gedenkfeier im Zeughause. Er hatte also gesprochen, ohne daß vorher das Geringste bekannt gegeben worden war. Offenbar wagt man solche Bekanntgabe nicht mehr.

     Die Gedenkfeier wurde abends um 815 Uhr von Schallplatten wiederholt. Der Führer sprach, – nein, er haspelte in knapp 20 Minuten eine Rede herunter, die er offenbar ablas, denn so schnell kann man frei nicht sprechen. Er sprach ziemlich eintönig, ohne das sonst bei ihm gewöhnte Schreien, man hatte den Eindruck, daß er nur den Wunsch hatte, möglichst rasch fertig zu werden. Sachlich bemerkenswert war seine Angabe der Zahl der Toten im bisherigen Gesamtkriegsverlauf, er nannte 542000 Tote. Wie weit diese Zahl richtig ist, wird sich später erweisen.

     Der heutige italienische Heeresbericht spricht vom Beginn einer großen Offensive der Engländer u. Amerikaner in Tunis. Ich fürchte, daß Dönitz zu spät kommt u. daß es dort ein katastrophales Dünkirchen geben wird. Die U=Boot=Erfolge dieses Monats sind gewiß sehr beachtlich, – bis jetzt im März rd. 700000 Tonnen versenkt; aber ob ein solcher Erfolg jetzt schon die Angriffskraft der Engländer u. Amerikaner wesentlich beeinflussen kann, ist fraglich. Gewiß wird das auf die Dauer der Fall sein, wenn sich diese Versenkungen weiter so steigern lassen, wie bisher, aber ich fürchte, daß es dazu nun auch zu spät sein wird. Bis sich diese Verluste entscheidend bemerkbar machen, werden unsere Gegner uns bereits an der Gurgel haben. –

     Leutnant Steinmetz, der uns am Sonnabend besuchte, war übrigens auf dem Wege nach Kiel, wo ein Gas=Kursus für Offiziere stattfindet. Ich fragte ihn, ob man denn mit einem Gas=Krieg rechnet. Er bejahte es. Nun habe ich von Anfang dieses Krieges an die Meinung vertreten, daß man erst dann mit Gas anfangen würde, wenn man annehmen darf, daß der angegriffene Gegner sich nicht mehr mit demselben Mittel wehren kann. Ich fragte darum den Leutnant, ob er glaube, daß dieses Letztere nun bereits auf uns zuträfe, – u. er bejahte auch dies! – Das ist dann freilich eine furchtbare Perspektive. Ein Angriff auf unsere Industriereviere, auf Hamburg u. Berlin mit Gas müßte eine schreckliche Wirkung haben.

     Das Wetter ist dauernd klar u. schön, der Vollmond steht am Himmel u. erleuchtet die Nächte, – aber kein engl. Flugzeug läßt sich sehen. Es ist gradezu unheimlich. Der Sturm, von dem Dr. Goebbels neulich in seiner Hetzrede sprach, wird losbrechen; aber anders, wie Herr Goebbels es meinte.

[12]
Sonntag, den 28. März 1943     
3. Fastensonntag.     

     Die Woche verlief ruhig u. ereignislos. Bei dauernd schönem Frühlingswetter viel im Garten gearbeitet, den Steingarten erweitert, von Rewoldt einige Stauden dazu bekommen. Frau Dor Westerich aus Hmb.traf ein auf der Flucht vor Bombenangriffen, mit ihrem kleinen Kinde. Sie erzählte viel Schauerliches von den Angriffen auf Hamburg. Aber trotz günstigstem Flugwetters blieb alles ruhig, – bis gestern Abend um ½11 Uhr wieder starkes Motorengeräusch einsetzte, das sich von Minute zu Minute steigerte. Es müssen viele Hunderte von Bomben gewesen sein, die über uns hinweg flogen, denn der Spektakel dauerte ununterbrochen u. ohne die geringste Schwächung bis 1/2 1 Uhr Nachts. Man sah wohl zeitweise die Flak in Rostock stark schießen, aber Bomben wurden nicht geworfen bis auf eine einzige, die anscheinend in nordöstlicher Richtung niedergegangen ist. Vermutlich sind diese Bomber alle gegen Berlin geflogen. Merkwürdigerweise verbreitete sich hier schon seit vorgestern das Gerücht, daß am Sonnabend ein Großangriff auf Berlin erfolgen würde. Nähere Nachrichten habe ich bis jetzt nicht gehört, im Rundfunk war heute früh davon nicht die Rede, – ich habe ihn zwar nicht ganz gehört; aber man wird wohl bald Näheres hören. –

     Im „Reich“ schreibt Hans Schwarz van Berk einen Artikel: „Aengste und Träume“, – der insofern für mich von Interesse ist, als er meine Ansichten über die Kriegslage zu widerlegen sich bemüht, woraus ich entnehmen kann, daß ich offenbar mit meiner Ansicht nicht allein stehe, sondern daß dieselbe sehr verbreitet zu sein scheint. Natürlich stellt Herr Schwarz diese Ansicht als komplette Idiotie hin; aber warum schreibt er dann einen ganzen Artikel darüber, um diese Idiotie zu widerlegen? Immerhin macht er einige interessante Geständnisse. Er sagt, daß niemand wisse, wann u. wie dieser Krieg zu Ende gehen wird, – also auch Herr Sch. nicht! – u. daß deshalb die europäische Geduld zwischen Aengsten u. Träumen hin u. her gerissen werde. Daß die Angst vor dem Bolschewismus eine schon fast hysterische Form angenommen hat, das liegt doch in erster Linie an der Hetzpropaganda unserer Regierung – u. das hat ja diese Propaganda auch gewollt. – Und dann macht er sich lustig über die „wunderliche Weise“, wie manche Leute sich den weiteren Verlauf des Krieges vorstellen. Zu diesen Leute gehöre auch ich. Auch ich glaube – oder hoffe doch wenigstens, – daß die Engländer und Amerikaner bald in Norwegen oder Nordfinnland landen werden u. gleichzeitig durch die Dardanellen oder durch Griechenland nach Rumänien marschieren werden, um dort unsere einigen Erdölquellen abzuschneiden u. so eine Fortsetzung des Krieges unmöglich machen werden. Noch mehr: ich hoffe, daß sie gleichzeitig durch Italien u. Frankreich, – Belgien – Holland marschieren werden u. daß sie ganz Deutschland besetzen werden, ehe die Russen Zeit haben, ihrerseits Deutschland zu besetzen. Es ist das die einzige Möglichkeit, die uns vor den Bolschewisten, [13] retten kann, denn wenn wir im Augenblick auf deren Vormarsch gestoppt haben, so ist damit die Gefahr doch nicht abgewendet. Eine solche Abwendung wäre nur möglich bei einer vollständigen Niederwerfung des Bolschewismus u. daß dieses unmöglich ist, das müßte auch Herr Schwarz wissen. In der Tat behauptet er einen solchen Sieg auch nicht. – Und nun kommt der Denkfehler des Herrn Schwarz, – der allerdings auch leider der Denkfehler unserer Regierung sein wird: er setzt als selbstverständlich voraus, daß wir uns dem Einmarsch der Verbündeten widersetzen werden u. daß es darum zur kriegerischen Verwüstung von Frankreich, Italien, Skandinavien u. dem Balkan kommen müsse, u. schließlich auch Deutschlands. Nachdem uns aber unsere Propaganda die russische Gefahr so riesengroß gemalt hat, müßte in Deutschland doch jedermann einsehen, daß dann Engländer u. Amerikaner unsere wahren Freunde sind, die uns allein vor dieser russischen Gefahr zu erretten vermögen, – u. wenn man das erst einmal eingesehen hat, dann wäre es natürlich Wahnsinn, sich dem Einmarsch mit Waffengewalt zu widersetzen, anstatt sie mit hellem Jubel als Retter aus der russischen Gefahr zu begrüßen. – Allerdings: die Nationalsozialisten werden einen solchen Einmarsch nicht überstehen, sie werden dem Schicksal erliegen, – u. da liegt der Hase im Pfeffer. Es handelt sich eben für diese Leute garnicht darum, Deutschland vor dem Bolschewismus zu retten, sondern es handelt sich allein darum, den Nationalsozialismus zu retten, d.h. das Leben dieser sog. „Führer“ zu retten! u. dazu gehört auch Herr Schwarz van Berk. Es ist doch gradezu eine ganz niederträchtige Demagogie, einesteils die russische Gefahr als so riesengroß u. furchtbar zu schildern, daß das Volk garkeinen anderen Gedanken mehr hat, wie es dieser einen Gefahr begegnen kann, u. andernteils die einzige Rettung, die es dagegen gibt, zu sabotieren u. sich ihr entgegenzustellen. Das eben ist das Furchtbare, daß diese Leute im entscheidenden Moment so handeln werden, weil sie eben nicht Deutschland, sondern sich selbst retten wollen. Wenn Herr Schwarz von dem Elend u. den Massengräbern spricht, die der Einmarsch der Engländer u. Amerikaner in Deutschland verursachen würde, dann käme das alles allein auf die Schuld der Nazis. Herr Schwarz fängt jetzt an, – nachdem er bisher immer die bolschewistische Gefahr gemalt hat, – nun auch diese andere Gefahr zu malen u. er stürzt damit das Volk in die wahnsinnigste Verzweiflung. Wer denkt da nicht an den Mann aus Syrierland mit seinem Kamel? – Es ist offenbar die klare Absicht dieser Leute, das Volk in solch hoffnungslose Verzweiflung zu stürzen, denn nur die Panik kann das Volk hindern, klar zu denken u. zu erkennen, wo heute noch die einzige Rettung liegt. Wenn nämlich das Volk, – und damit auch die Wehrmacht, – diese Sachlage erkennen würde, dann könnten die Nazis davon überzeugt sein, daß ein Einmarsch den Engländer u. Amerikaner keine Massengräber, keine zerstörten Städte u. keine Epidemien u. Seuchen zur Folge haben würde, wie es Herr Schwarz [14] in seinem Artikel an die Wand malt, um neuen Schrecken zu verbreiten. Man kann nur hoffen, daß die Nerven des Volkes jetzt zu überspannt worden sind, sodaß es zu einem ernsthaften Widerstand gegen England u. Amerika nicht mehr kommt. – Das aber ist der Wille der Nazis, wie Herr Schwarz ihn ausdrückt: „Auf beiden Seiten würden schwerste Waffen sprechen. Die Vernichtung würde ... die besetzten Länder heimsuchen, denn nur über deren Trümmer könnten sich die „Retter“ den Weg nach Deutschland bahnen.“ – Das ist der Sinn dieses demagogischen Artikels: den Franzosen, Belgiern, Holländern usw. vorzumalen, was ihnen dann blüht, – u. sie so dazu zu bringen, sich aus Angst mit uns zu verbünden u. auf unsere Seite zu treten. Wohl kann man uns Deutsche mit solchen Mätzchen verrückt machen, – aber sicher nicht die Franzosen, Belgier, Holländer, die Griechen u. Serben usw. – Das Ganze ist nichts als ein frivoles Verbrechen, – würdig an die vielen anderen, voraufgegangenen angereiht! –