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Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1943-02
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Entstehungsdatum: 1943
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Originaltitel: Februar 1943
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom Februar 1943
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Einführung

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Der Artikel TBHB 1943-02 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Februar 1943. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 14 Seiten.

Tagebuchauszüge

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[1]
Dienstag den 2. Februar 1943.     

     Marthas Gesundheit sehr langsam besser. Die frühlingshafte Wärme dauert immer noch an. – Generalfeldmarschall Paulus hat sich mit 16 Generalen u. dem Rest seiner Truppen den Russen übergeben, nur eine Armeegruppe unter Befehl eines General Stricker hält sich noch in einem nördlichen Stadtteil, doch dürfte auch die Uebergabe dieses kleinen Restes inzwischen erfolgt sein. Damit ist dieses furchtbare Drama zuende. –

     Im übrigen scheint nun einzutreten, was ich längst befürchtete u. vorausgesagt habe: der Kriegseintritt der Türkei. Churchill ist nach der Konferenz mit Rooseveld in Casablanka nach Ankara geflogen u. hat dort sowohl mit dem Staatspräsidenten wie mit dem Ministerpräsidenten eine Konferenz gehabt, zu welcher die Generalstabschefs der Engländer und der Türken zugezogen worden sind. Von dort ist Churchill nach Cypern geflogen, wo er eine sehr kriegerische Rede gehalten hat, die besonders die baldige Befreiung Griechenlands behandelt hat. Auf Cypern ist eine englische Armee versammelt, die englische Armee, welche in Irak, Iran u. Syrien steht u. dort einen eventuellen Durchbruch unserer Armeen zum Persischen Golf verhindern sollte, ist nach der veränderten Sachlage im Kaukasus jetzt wieder frei. Die Russen stehen vor Krasnodar. Diese englische Armee wird also mit den Türken Bulgarien angreifen u. bestimmt überrennen, da die Bulgaren sich ihr nicht mit ganzer Kraft entgegenstellen können, denn diese Cypern=Armee wird zugleich in Griechenland landen u. die Bulgaren von Mazedonien hier im Rücken fassen. Nachdem der Hauptteil der Rumänischen Armee an unserer Ostfront steht u. größtenteils verblutet oder in russischer Gefangenschaft ist, wird Rumänien so gut wie wehrlos sein u. wir werden die einzige Möglichkeit, Oel zu erhalten, verlieren. Das aber heißt, daß kein Flugzeug mehr fliegen, kein Tank u. kein Lastwagen mehr fahren kann, – also praktisch das Ende des Krieges. Es sollte mich übrigens wundern, wenn nicht gleichzeitig ein Angriff auf die Norwegische Küste erfolgen würde bei gleichzeitiger Kriegserklärung Schwedens an Deutschland. Dann würden wir hier an der Küste also auch noch etwas vom Kriege zu spüren bekommen, – u. wer kann heute sagen, ob dann nicht Stralsund u. unser Darss u. ganz Pommern wieder Schwedisch wird, was es ja schon einmal war. Das würde für uns die Beseitigung der russischen Gefahr bedeuten, – wenn eine solche überhaupt besteht, denn die Engländer müssen ja notgedrungen den Polen ein noch vergrößertes Polen wieder einrichten. Darüber werden sie sich mit den Russen wohl noch in die Haare kriegen. –

     Die beiden Reden von Goebbels u. Göring am 30. Januar hatten übrigens das Bemerkenswerte, – besonders Görings Rede, – daß ausschließlich vom Krieg gegen Rußland die Rede war. Man konnte fast den Eindruck haben, als wäre der Krieg mit England u. Amerika nicht der Rede wert. Ich bin mir nicht klar darüber, ob das pure Dummheit [2] ist, oder ob man absichtlich die Aufmerksamkeit des deutschen Spießers von diesen beiden Gegnern ablenken wollte, um ihm nicht noch mehr Angst zu machen. Diese beiden Gegner aber sind wichtiger als die ganze russische Offensive, das wird sich schon in den nächsten Wochen oder gar Tagen zeigen. Wenn es Absicht ist, die Aufmerksamkeit des Spießers ganz auf Rußland zu lenken, dann scheint das ja geglückt zu sein, denn vor einigen Tagen sprach ich vorsichtig mit unserem Lehrer Deutschmann, der hier Ortsgruppenleiter der Partei ist, u. erwähnte leise die Gefahr, die von der Türkei her droht. Dieser Mann ist sonst ganz vernünftig, aber hier versagte er. Er meinte wegwerfend, daß die Türken ja nichts taugen, daß die Bulgaren ja auch noch da wären u. daß wir außerdem da unten schon genug Soldaten stehen hätten. Hauptsache wäre, daß wir die Russen nicht weiterkommen ließen. Ich dachte mir mein Teil u. schwieg still. – Dieser Krieg wird früher sein Ende finden, als Herr Hitler u. seine Genossen es sich träumen lassen. Er wird nicht dazu kommen, den letzten Deutschen zur Verteidigung seiner Macht verbluten zu lassen, möglicherweise werden wir bald schwedische Einquartierung haben.

Mittwoch, 3. Februar 1943.     

     Marthas Besserung hält an, hoffentlich kann sie morgen aufstehen. Das Drama von Stalingrad ist nun zuende. Herr Goebbels hat angeordnet, daß alle Theater, Kinos, Konzerte usw. bis Sonnabend zu schließen haben. Man macht Reklame mit deutschem Heldenmut. – Es sind Flieger in der Luft, in der Ferne hört man Kanonendonner. Ich denke, daß Fritz heute schon in Bln. sein wird u. warte auf seinen Anruf, – leider vergebens. – In der letzten Woche machte die Batterie am Hohen Ufer wieder Uebungsschießen, jedoch nicht, wie sonst immer, auf eine Zielscheibe auf See, sondern über den Bodden in Richtung auf Born. Es kommt mir dabei der Gedanke, ob das schon ein Einschießen sein kann für den Anmarschweg von Stralsund her? Wenn Schweden kommen, so müssen sie von dort her kommen. Falls die Schweden unseren norwegischen Küstenschutz vom Rücken her angreifen, müßte ein gleichzeitiger Angriff der Engländer von See her leicht glücken. – Der Präsident von Finnland scheint sich auch schon den Rücken decken zu wollen. Er hat bei der Eröffnung des finnischen Parlaments gesagt, daß man, falls die Achsenmächte den Krieg verlieren, Finnland keinen Vorwurf machen könne, daß es seine Freiheit verteidigt habe. – Gestern Nacht ist Köln wieder schwer bombardiert worden. –

[3]
Donnerstag, den 4. Februar 1943.     

     Nun fängt Deutschland an, ein Tollhaus zu werden, die letzten Zeichen des endgültigen Zusammenbruchs beginnen sich zu zeigen. Nach neuester Verfügung sind alle Geschäfte, außer Lebensmittelgeschäften u. kriegswichtigen Betrieben zu schließen, d.h. alle kunstgewerblichen Geschäfte, alle Buchhandlungen, Schmuckläden, aber auch Kleidergeschäfte usw. sind zu schließen. – Solche Maßnahmen können ja höchstens eine Woche durchgeführt werden, dann ist der Zusammenbruch da. – Die Russen stehen inzwischen vor Orel u. Kursk. – Man hört den ganzen Tag u. besonders abends Motorengeräusch in der Luft, von Zeit zu Zeit Kanonendonner u. Fliegerbomben. Oblt. Dr. Krappmann war am Nachmittag kurz bei mir. Er beruhigte mich wegen Schweden. Nach seiner Ansicht kann Schweden unsere Küstenverteidigung in Norwegen wohl im Rücken angreifen, sodaß wir einen gleichzeitigen Angriff von See her wahrscheinlich nicht abwehren könnten, doch hält er Schweden für zu schwach, eine kriegerische Landung etwa bei Stralsund zu riskieren. Er war informiert über das Vorhandensein einer Armee auf Cypern, hatte aber von der Türkei nichts gehört, obgleich es in der Zeitung steht, allerdings in Form einer ganz harmlos aussehenden Notiz. Nachdem ich ihm meine Ansichten auseinandergesetzt hatte, fand auch er die Flankenbedrohung höchst gefährlich. Er sagte mir auch, daß alle Küstenbatterien Befehl bekommen hätten, sich auf Landziele einzuschießen, so wird auch er schon ab 15. Februar wieder in Richtung Born schießen. Er hält die Gefahr des Russeneinbruchs in Deutschland für größer, als ich es tue, denn ich glaube immer noch, daß England u. Amerika den Russen zuvorkommen werden. Uebrigens steht nach den Informationen des Dr. K. auch auf Island eine amerikan. Armee, die ja nur dem Angriff auf Norwegen dienen kann. –

     Vor einem Jahre prahlte Hitler, er wolle aus Stalingrad kein zweites Verdun machen, er wolle deshalb den Rest nur mit Stoßtrupps nehmen. Wenn ich nicht irre, hat uns Verdun rund 75000 Tote gekostet. Was uns nun Stalingrad gekostet hat, wird sich erweisen. – Hitler hat immer erzählt, wir hätten den ersten Weltkrieg wegen unserer schlechten Führung verloren. Als im Frühjahr der Führer den Angriff auf Stalingrad u. den Kaukasus befahl, weigerte sich sein Generalstabschef v. Halder u. er wurde in die Wüste geschickt dafür. Es wurde gemacht, wie der Führer wollte. Gut, als sich dann aber herausstellte, daß man Astrachan nicht nehmen konnte, hätte eine kluge Führung den Rückzug von Stalingrad befehlen müssen, denn dieser spitze Keil war auf die Dauer nicht zu halten. Dieser eitle Gefreite aber erklärte: „Wo ein deutscher Soldat einmal steht, da geht er nicht mehr weg.“ Die 6. Armee bekam also Befehl, stehen zu bleiben, – u. nun ist sie hin. Und dieser Narr schreit jetzt, – oder läßt schreien, – daß das ganze deutsche Volk siegen oder untergehen müsse. Nachdem er uns mit seiner [4] eitlen Großmannssucht u. der Dummheit seiner Mitarbeiter in diese Lage gebracht hat, schreit er nun: „Ihr müßt alle kämpfen!“ Er selbst schreit übrigens schon nicht mehr, – er hat es am 30. Januar nicht gewagt, vor das deutsche Volk zu treten, sondern er hat seine beiden Komplizen Göring u. Goebbels vorgeschickt. –

     Heute abend leutete Fritz aus Bln. an. Er wohnt bei seinen künftigen Schwiegereltern u. es scheint diese Sache in Ordnung zu gehen. Er soll nach dem Urlaub nun doch mit seiner ganzen Buchhandlung nach Toulouse übersiedeln, ich habe ihm geantwortet, daß ich das nicht glaube. – Am Montag wird er bei uns sein. –

     Gegen 9 Uhr wurden wir aus Hamburg angerufen, doch war der Teilnehmer inzwischen besetzt. – Wer es auch gewesen sein mag, – er wird gewiß im Luftschutzkeller sitzen u. deshalb auf den Anruf verzichtet haben.

     Ich sah ein Bild im Rostocker Anzeiger: Der Führer verabschiedet, sich von Generaladmiral Raeder. Man sieht Raeder in strammer, soldatischer Haltung vor dem Führer stehen, im Gesicht unverkennbar ein Anflug von Spott, – der Führer selbst mit immer mehr gebogenem Rücken, schlaff u. etwas gedunsen, ein wenig imponierender Anblick. Man muß an das Märchen vom Fischer un sin Fru denken: „Dein Olsch sitzt all wieder auf ihrem Pißpott!" –

Freitag, 5. Januar 1943.     

     Martha geht es besser, aber sehr langsam. Fritz leutete wieder an, ich bat ihn, zu Loescher zu gehen u. zu kaufen, was er kriegen kann, denn er hat uns einiges angeboten. Es ist jetzt wirklich gleichgültig, was man kauft, wenn man nur sein Geld los wird, das bald keinen Pfifferling mehr wert sein wird. Der wöchentliche Artikel im Reich von Goebbels scheint den Zweck zu verfolgen, die Engländer von der Gefahr zu überzeugen, die der Bolschewismus auch für England ist, falls er siegt. Das mag wohl sein. Bisher hieß es immer, daß Deutschland ganz Europa vorm Bolschewismus rettete, – jetzt scheinen Herrn Goebbels Bedenken zu kommen. Glaubt er etwa, jetzt ein Bündnis mit England gegen den drohenden Bolschewismus erreichen zu können? – Die Zeitungen sind voll von Betrachtungen über die jüngsten Maßnahmen. Diese sind aber eher geeignet, im Volke auch noch die letzte Siegeszuversicht zu töten, – man ist überall sehr niedergeschlagen, ja, verzweifelt. Goebbels hat in seinem Artikel gesagt: „Das Volk will Taten sehen!“ – Das ist der Schlüssel zu diesen unsinnigen Maßnahmen: man will dem Volk wieder mal etwas hinwerfen. Juden sind keine mehr da, auf die man das Volk hetzen kann, jetzt nimmt man die „Nichtstuer“, – die nächste Etappe werden die Kaufleute sein, deren Geschäfte man geschlossen hat, u. schließlich allgemein die „Besitzenden“, die man ausplündern kann. – Der Rummel mit den „Helden von Stalingrad“ hält ebenfalls immer noch an. Hitler u. seine Freunde kämpfen ja in der Tat um ihre nackte Existenz. Nun [5] reden sie dem Volke ein, daß es seine Existenz wäre u. drohen mit dem Bolschewismus. Sie lassen das Volk für sich kämpfen, während sie selbst wie der Obergruppenführer, „General“ Lorenz u. Herr v. Alvensleben, der inzwischen ebenfalls „General“ geworden ist, irgendwo in Sicherheit sitzen. Dieser Herr v. Alvensleben besuchte uns vor zwei Jahren, als er auf seiner Jagd in der Nähe von Barth war. Zu einer Zeit, als schon niemand mehr Benzin hatte, fuhr er in seinem Auto von Berlin nach Barth zur Jagd u. von dort zu uns. Er behauptete, verwundet gewesen zu sein, doch gelang ihm der Nachweis nicht, als ich ihn näherhin fragte. Er erzählte, daß er Hauptmann sei in seinem früheren Regiment u. er meinte großspurig, daß er im Frieden als Nationalsozialist zwar Brigadeführer in der SS sei, daß er aber im Kriege bei seinem Regiment als schlichter Hauptmann Dienst tue. Neulich sah ich ihn auf einem Bilde mit seinem Freunde u. Vorgesetzten Himmler abgebildet als „General des Polizei“ v. Alvensleben. Er hat also ebenfalls den Kampf um seine Existenz dem Volke überlassen. So drückt sich diese ganze Bande in bequemen Posten herum, aber das Volk verteidigt inzwischen ihre Existenz.

Sonnabend, 6. Februar 1943.     

     Martha gings heute wieder schlechter. Dr. Meyer war da u. stellte eine Herz=Affektion fest, verordnete absolute Ruhe. – Frau Westerich rief aus Hamburg an u. fragte nach Wohngelegenheit hier, um den Fliegerangriffen zu entgehen. Sie hat ein 5 Monate altes Kind. In allen Briefen, die wir bekommen, steht etwas von Bombenschäden, Bränden usw. Es geht zum Ende, möchte es doch rasch gehen. – Mussolini hat sein gesamtes Kabinett umgebildet, er selbst hat das Außenministerium übernommen. Die neuen Minister sind alte Parteimitglieder. Vor einer Woche hat er den Oberkommandierenden abgesetzt. – Die Russen stehen jetzt am ganzen Oskol u. weiter im Norden dicht vor Kursk u. Orel. Im Süden haben sie Bataisk genommen und Zeisk, damit ist der Rückweg über Rostow endgültig abgeschnitten, es ist nur noch ein Brückenkopf vor der Krim in unserer Hand. Wir werden sicher große Verluste an schweren Waffen u. Kriegsgerät haben. Bei den einfachen Leuten im Dorf setzt sich immer mehr die Ueberzeugung durch, daß Stalingrad allein auf die Schuld des Führers kommt. Hätten die Leute das nur früher eingesehen. – „Das Volk will Taten sehen.“ Unter diesem Motto hat jetzt der Wirtschaftsminister Funk seine neuen Verordnungen erlassen über die Schließung der Betriebe. Das Resultat davon wird eine heillose Verwirrung sein, die bald auch die Rüstungsbetriebe zum Stillstehen bringen wird. –

[6]
Dienstag, 9. Februar 1943.     

     Gestern kam Fritz mit dem Auto der Batterie. Martha war zum ersten Male wieder auf, aber doch noch sehr schwach. Ich fürchtete, daß die Aufregung ihr schaden würde, aber es geht heute ziemlich gut.

     Fritz brachte wie immer viel Leben, aber auch Unruhe. Abends erzählte er von den Tagen in Berlin im Hause der Eltern seiner Braut, die man nun wohl so nennen darf. Die Eltern dieses Mädchens sind noch schlimmer, als wie ich sie in Erinnerung hatte, – gänzlich disziplinlose, verantwortungslose Intellektuelle. Das Mädchen ist noch sehr jung u. steht zu ihren Eltern in heftiger Opposition, – man wird da viel zu tun haben, um sie in Ordnung zu bringen; aber da sie offenbar Fritz schon von früher Kindheit an sehr zugetan war u. ihn jetzt ehrlich liebt, so kann man hoffen, daß sie einer Erziehung zugänglich ist. Die weitere Entwicklung, Heirat usw. ist freilich noch nicht geklärt. Möge Gott seine Gnade über dem jungen Paare walten lassen, – der Geist des Großvaters möge sie schützen. –

     In Italien ist der frühere Außenminister Graf Ciano, Schwiegersohn von Mussolini, Gesandter beim Vatikan geworden. Das kann nur bedeuten, daß Italien die Vermittlung des Papstes um einen Frieden anruft, – wahrscheinlich mit Hitlers Einverständnis. – Jetzt, wo diesen Halunken die Felle wegschwimmen, laufen sie zum hl. Vater, daß er das Unglück abwenden soll, den sie bis dahin nur immer beschimpft haben!

Mittwoch 10. Februar 1943.     

Marthas Gesundheit wird besser, aber sehr viel Schwung noch nötig. Fritz geht ganz auf in seiner jungen Liebe. Plan erörtert, ob seine Braut für einige Tage herkommen soll, doch könnte sie nur am Sonntag kommen u. da fährt kein Autobus von Ribnitz. Er wird's aber schon machen.

Im Heeresbericht werden nach wie vor alle Angriffe der Russen blutig zurückgewiesen, – in Wahrheit aber haben sie Kursk u. Bjelgorod erobert u. stehen jetzt dicht vor Charkow. Damit haben sie also schon mehr zurückerobert, als wir ihnen seit Frühjahr 1942 abgenommen haben. In der Zeitung ist viel von der Neutralität der Türkei die Rede, – die Enttäuschung wird um so größer sein. Vorgestern Nacht waren viele engl. Flieger in der Luft. Bomben wurden nicht abgeworfen, wahrscheinlich haben sie die Ostsee vermint.

Mittwoch 17. Februar 1943.     

     Die ganze Woche ging hin mit der Beschäftigung mit Fritz u. seiner Braut. Sie kam am Sonnabend Nachmittag u. war für uns sofort eine sehr angenehme Ueberraschung. Sie ist sehr jung, am 15. Oktober erst 18 Jahre alt geworden, macht aber den Eindruck einer Zwanzigjährigen. Sie ist ziemlich groß u. schlank, etwas größer als Fritz, hat eine gute, elastische Figur, von sehr ruhigem, zurückhaltendem Wesen. Nach Ueberwindung der ersten Schüchternheit, die ich sofort dadurch bekämpfte, daß ich zu ihr Du sagte u. sie aufforderte, dasselbe uns gegenüber zu tun, entfaltete sie sich nach u. nach als ein warmherziges Geschöpf, dessen Verstand das Gefühl mindestens [7] beherrscht. Von mädchenhafter Sentimentalität keine Spur. Sie ist sachlich, reell, offen, ohne Hintergedanken u. in jeder Weise sehr geeignet, für Fritz eine gute Frau abzugeben. Sie ist Fritz an Verstand überlegen, wodurch der große Altersunterschied von 17 Jahren gut ausgeglichen ist – u. für Fritz ist es gut, wenn er eine Frau mit kühlem Verstand hat. Erotische Spannungen habe ich nicht bemerkt, diese Dinge scheinen bei beiden keine sehr große Rolle zu spielen, u. das ist sehr gut. Alles Elend meines Lebens ist immer nur daher gekommen. Es war deutlich zu fühlen, daß sie sich bei uns von Tag zu Tag immer wohler fühlte, immer mehr auftaute u. Vergnügen an unserer Gesellschaft fand. Beide, Fritz u. Margret, waren jeden Abend mit uns zusammen, ohne daß, ihr unsere Gesellschaft langweilig wurde, vielmehr schien es im Gegenteil, daß sie sich überaus wohl bei uns fühlte. – Selbstverständlich drehten sich die Gespräche vorwiegend um die Zukunft der jungen Leute u. ich war sehr dafür, diese möglichst bald in gesicherte Bahnen zu lenken. So haben wir vorerst den Plan gefaßt, daß die Hochzeit gleich nach Ostern, also im Mai, stattfinden soll, – ein schöner Monat zum Heiraten! Die Hochzeit soll möglichst hier bei uns stattfinden u. wir werden natürlich alles tun, um dieselbe so schön wie möglich zu gestalten. Heute Mittag um 12 Uhr fahren beide wieder nach Berlin, Fritz fährt dann morgen nach St. Quentin. Ich habe Margret einen langen, ausführlichen Brief an die Eltern mitgegeben u. ich hoffe, daß diese sich unseren Vorschlägen anschließen werden. Fritz wird nun vor viel Unruhe stehen, denn wenn er nach St. Qu. zurückkommt, wird sich inzwischen entschieden haben, was mit seiner Frontbuchhandlung wird u. ob er wirklich nach Toulouse kommt. Mit Fritz geht, seitdem er Soldat ist, alles so planmäßig für ihn günstig, daß ich darüber immer nur voll Staunen bin. Wie auch jetzt die Veränderung sein wird, die ihn in St. Qu. erwartet, wird sie für ihn bestimmt gut sein, denn es besteht für mich garkein Zweifel, daß Gott ihn zum Ziele führt. Dieses sichere Gefühl habe ich auch von Anfang an in Bezug auf seine Braut gehabt u. ich werde darin nicht getäuscht sein, zumal ich zu meiner großen Freude festgestellt habe, daß Margret, so weit das bei Protestanten üblich ist, in christlichem Geiste erzogen ist u. ganz bewußt daran festhält, obgleich die Schulerziehung dem sehr entgegengesetzt ist. Ich kann mir von ihr gut denken, daß sie eines Tages katholisch werden könnte, sie hat dazu zweifellos Anlage – u. das ist vor allem in Bezug auf Fritz sehr gut, der anders kaum zum Katholizismus kommen wird. So aber wäre es gut möglich. – Margret erzählte übrigens, daß ihre Mutter bereits eine leise Neigung zum Katholizismus hätte. – Natürlich ist sie ganz frei von nationalsozialistischer Gesinnung, wie auch ihr Elternhaus u. ihre beiden Schwestern. Der Vater war früher Studienrat, war sieben Jahre in Italien (Rom) Professor an irgend einem Institut, nach dem 1. Weltkriege Reichstagsabgeordneter für die demokrat. Partei, – die Mutter eine geborene Seeberg, Tochter des bekannten Theologen Reinhold Seeberg u. Schwester des Theologieprofessors Erich Seeberg, – dieser sehr fatalen Erscheinung, – der [8] hier ein Sommerhaus besitzt u. sich mit seiner Familie hier viel aufhält. Zum Glück ist er mit seiner Schwester ganz zerfallen, sodaß eine verwandtschaftliche Beziehung zu dieser Familie von uns vermieden werden kann. Margrets Vater lebt als freier Schriftsteller u. hat als solcher einen gewissen Namen. –

     Die Russen haben in dieser Woche Rostow u. Woroschilowgrad zurückerobert u. heute eroberten sie Charkow. Dieser letztere Erfolg ist gefährlich. – Von Stalingrad hat es gehießen, daß das Opfer der 6. Armee, die dort vernichtet wurde, in Kauf genommen werden mußte, weil es nur dadurch gelungen sei, den weiteren Vormarsch aufzuhalten. Er ist aber nicht aufgehalten worden. – Also war das Opfer umsonst! Jetzt wird weiter geopfert. Bei Stalingrad war es die 6. Armee, jetzt ist es der Mittelstand der Heimat, dem man die Geschäfte u. die Werkstätten schließt, denen man die Arbeitsräume wegnimmt, denen man die Schreibmaschinen u. Büromöbel fortnimmt, u. die man in Fabriken steckt, wo sie ungeeignet sind zur Arbeit. Es ist ein toller Wahnsinn! Ob unser Geschäft geschlossen wird, wissen wir immer noch nicht. Wahrscheinlich haben die Arbeitsämter so viel zu tun mit dieser unsinnigen Erfassung, daß sie dabei zu unserem entlegenen Dorf garnicht kommen.

     Bemerkenswert ist, daß bei der großen Umbildung des italienischen Kabinetts Mussolini selbst das Außenministerium übernommen hat, aber sich als Unterstaatssekretär den früheren italienischen Gesandten in London gewählt hat. Dazu Graf Ciano als Botschafter beim Vatikan! Diese Kombination wird dadurch noch deutlicher.

     Hitler hat in diesem Jahre schon fünf Feldmarschälle ernannt. Wo sind bloß die vielen Feldmarschälle geblieben, die er schon nach dem Polenfeldzug ernannt hat? – Ein Gerücht, Hitler habe den Oberbefehl niedergelegt, ist dementiert worden, dafür hat Stalin einen neuen Feldmarschall ernannt, nämlich den General, der ihre jetzige Offensive führt.

Freitag den 19. Februar 1943.     

     Gestern Abend fand eine große Kundgebung im Berliner Sportpalast statt, auf der Dr. Goebbels redete. Die Veranstaltung wurde, wie das jetzt immer üblich ist, erst kurz vorher bekannt gegeben, teils, um eine Störung durch die Engländer zu vermeiden, teils wohl auch aus Angst vor Attentaten oder sonstigen Störungen. Dr. Goebbels redete zwei geschlagene Stunden. Seine Rede bestand aus zwei Teilen. Der erste Teil war eine sehr alarmierende Darstellung der Lage an der Ostfront mit einem kaum noch verhüllten Appell an die Engländer, doch endlich die Gefahr des Bolschewismus einzusehen, der an der Kanalfront nicht Halt machen würde. Dieser Teil war stark mit Hassausbrüchen gegen die Juden gewürzt. Dann schwenkte er plötzlich um u. versicherte, daß wir stark genug wären, die Ostfront zu halten, ja, daß wir im Frühjahr wieder zur Offensive übergehen würden, – u. zu diesem Zweck solle nun der totale Krieg noch totaler werden. Dieser zweite Teil stand wieder unter dem Motto [9] „Das Volk will Taten sehen!“ – Diese Taten bestehen nach Dr. Goebbels zunächst einmal darin, daß alle Nachtlokale, Amüsierbetriebe u. Luxusrestaurants geschlossen worden sind u. Herr G. nahm Gelegenheit, hierbei aufreizend von den Besuchern dieser Lokale zu sprechen. Sodann verkündete er, daß er das Reiten auf Straßen u. öffentlichen Plätzen verboten habe, damit die schlichte Arbeiterfrau von solchem Anblick nicht schockiert werde. Im Grunewald u. sonstwo ist das Reiten demnach also auch weiterhin erlaubt. Es ist also praktisch so, daß die reichen, draußen wohnenden Leute davon unberührt bleiben, während die in der Stadt gelegenen Reitinstitute, die ihre Pferde stundenweise vermieten, nun sehen können, wie u. wo sie künftig ihre Pferde bewegen können. „Das Volk will Taten sehen!“ – Sodann kündigte Herr G. rücksichtslose Maßregeln gegen Drückeberger, besonders Frauen der höheren Kreise an u. erging sich in aufreizenden Bemerkungen über diese „Nichtstuer“. Zum Schluß stellte Herr G. zehn Fragen, die natürlich alle mit Begeisterung bejaht wurden: ob das deutsche Volk noch das Vertrauen zum Führer habe, – ob es den Krieg bis zum Weißbluten fortsetzen wolle, – ob das Volk sechzehn Stunden täglich arbeiten wolle usw. – – Vor einiger Zeit erzählte Herr Dr. W. –, der wieder einmal in Berlin bei seinen Parteifreunden gewesen war, – wie diese Freunde, die ausnahmslos gut bezahlte Parteiposten haben, im Luxus schwelgen. Sekt wird wie Wasser getrunken u. die Speisetafel biegt sich unter der Last der Speisen, wenn diese Leute ihre Gelage veranstalten. Einige seiner Freunde waren bei Herm. Göring zum Geburtsag gewesen, dort war dasselbe Bild. Göring schenkte seiner Frau ein schweres, goldenes Armband. Wenn wir Gold haben, ohne es abzuliefern, steht darauf Zuchthaus. – Die gestrige Veranstaltung im Sportpalast wirkte auf mich wie ein gellender Schrei der Angst, – man kann vermuten, daß es noch viel schlimmer steht, als wir ahnen. Zugleich war die Veranstaltung eine Kampherspritze für das Volk u. eine zunächst noch etwas vorsichtige Aufreizung zum Klassenhaß. Die Wut des Volkes soll rechtzeitig abgelenkt werden.

Sonntag, 21. Februar 1943.     

     Gestern den Entwurf für Fritzens Kriegstrauungs=Anzeige fertig gestellt. Nachmittags rief Erichson an, der grade gekommen war. Ich fragte ihn, ob Klischierung u. Druck möglich sei. Er sicherte mir zu, daß er alles machen wolle. Abends Dr. Wessel, ein politischer Kannegießer. Als er kam, war er voll Zustimmung zur Goebbels=Rede. Ich fragte ihn dann nach u. nach aus über das, was er von der Geburtstagsfeier Goerings wußte. Danach muß es also sehr hoch hergegangen sein. Eine z. Zt. berühmte Sängerin – ich kenne ihren Namen nicht weiter – hat dabei mitgewirkt u. für ihre Bemühung ein goldenes Armband mit Brillanten erhalten. Der ganze Festrummel soll einschließlich der Geschenke, die deutsche Firmen gemacht haben! – einen Totalwert von schätzungsweise 5 – 6 Millionen Mark gehabt haben. Also auch hier „totaler Krieg“. – Ich fragte dann weiter, ob Emmy Goering [10] ihr sämtliches Dienstpersonal entlassen habe, – oder wenn nicht, ob sie als Rüstungsarbeiterin in die Fabrik ginge, – wie Dr. Goebbels es in seiner Rede von allen Frauen, „ob hoch oder niedrig“ verlangt habe. Dr. W. wußte es nicht, glaubte es aber nicht. Ich fragte weiter, ob er derartiges von anderen Frauen der Minister oder hohen Bonzen, etwa von der Frau des Herrn Dr. Goebbels wisse oder glaube. Er verneinte. Ich fragte dann weiter, ob dann wenigstens die Frau des Bürgermeisters von Ribnitz dergleichen täte. Er verneinte auch das. Ich fragte dann, ob wenigstens seine eigene Frau in die Fabrik ginge, – etwa zu Bachmann. Auch das verneinte er, doch fügte er hinzu, daß sie es erst dann tun würde, wenn die Frauen der Bonzen das Gleiche tun würden. – Ich fragte, ob er glaube, daß die Minister u. Bonzen wie wir monatlich nur eine einzige Glühlame zu 25 Volt erhielten, ob sie sich zur Kohlenersparnis auf ein einziges oder zwei Zimmer beschränkten. In dieser Weise fragte ich immer weiter, bis er wutschnaubend auf alle diese Minister u. Bonzen, vor allem auf Dr. Goebbels schimpfend abzog. Eine Viertelstunde genügte also, um seine Begeisterung in das Gegenteil zu verkehren. Er versuchte, sich zu retten, in dem er erzählte, es würden nunmehr aus den Betrieben eine Million kriegstaugliche Soldaten herausgezogen, dazu kämen drei Millionen, die aus der Organisation Todt herausgezogen würden. Mit diesen vier Millionen Mann würden die Russen im Sommer wieder bis zur Wolga zurückgetrieben werden. Ich fragte, bis wann diese Aktion abgeschlossen sein würde. Er sagte: bis zum 15 März, – der Führer hat das befohlen. Ich fragte, wie lange wohl die Einkleidung u. Ausbildung dieser vier Millionen dauern würde, wobei ich nur eine normale, infanteristische Ausbildung annahm. Er meinte: Zwei Monate. Das wäre also der 15. Mai. Ich fragte, wie lange wohl die Zusammenstellung dieser Vier=Millionen=Armeen zu schlagkräftigen Verbänden dauern könne. Er meinte: einen Monat. Also bis zum 15. Juni. Ich machte darauf aufmerksam, daß die Russen gegenwärtig damit beschäftigt seien, ihren Angriff auf Poltawa u. auf Dniepropetrowsk vorzutragen, – wo also die Russen wohl am 15. Juni stehen würden, beim endlichen Beginn unserer Offensive? Diese Frage tat er mit einer verächtlichen Handbewegung ab, – die Russen würden jetzt nicht mehr weiter kommen. – Ich meinte, ob wir nicht vielleicht diese ganze Sache mit Rußland von Anfang an unterschätzt hätten. – „Na ja“ – meinte er verlegen werdend. – Aber gesetzt den unwahrscheinlichen Fall, daß die Russen wirklich nicht mehr weiter kommen sollten, ob denn die Engländer u. Amerikaner in der ganzen Zeit bis dahin garnichts tun würden, fragte ich weiter, z.B. Angriff auf Rommel in Afrika mit starker Uebermacht, Angriff auf Nordnorwegen mit Schwedischer Unterstützung, Angriff auf Griechenland, Angriff durch die Türkei hindurch. Auch solche Fragen tat er verächtlich ab. Die Türkei bliebe neutral, das wüßte er ganz genau von seinen Parteifreunden, welche beste Beziehungen hätten usw. [11] Ich glaube, Herr Dr. W. wird sich im Laufe dieses Sommers noch oft wundern u. noch oft Gelegenheit haben, seine zuversichtliche Begeisterung innerhalb von zehn Minuten ins Gegenteil zu verkehren. – „Wir vertrauen auf den Führer!“ – hinter diese Parole ziehen sich jetzt all diese politischen Kannegießer zurück, ohne zu merken, daß dieser Führer der Oberkannegießer ist. Dieser Oberkannegießer hat garnicht geahnt, wie stark Rußland ist, weil er seine Spione u. Spitzel nur im Inneren des Landes verwendet hat, anstatt sie nach Rußland zu schicken. Er hat darauf vertraut, was ihm der Sektreisende v. Ribbentrop gesagt hat u. was dieser wieder von anderen gehört hat. Nun mit einem Male ist „Europa in Gefahr!“ War Europa etwa nicht schon in Gefahr, als Hitler Oesterreich, die Tschechoslowakei, Polen, Holland, Belgien, Serbien, Griechenland angriff? Dieser Mann ist nur imstande, das in Rechnung zu stellen, was in seinem eigenen Kannegießer=Gehirn vorhanden ist, in die Gedanken seiner Gegner vermag er sich nicht zu versetzen. Das aber ist die Voraussetzung einer erfolgreichen Politik.

     Bei Ausbruch des russischen Krieges behauptete Hitler, daß es die letzte Minute gewesen sei, ehe Rußland über uns herfiel. Einige Monate – oder etwa ein Jahr später verkündete der andere Oberkannegießer, Hermann Goering, der erstaunt aufhorchenden Welt, daß dieser Krieg gegen Rußland die geniale Idee des Führers gewesen sei, indem er dadurch die reichen Rohstoffgebiete der Ukraine für Deutschland erobert habe, da wir sonst wegen Rohstoffmangels den Krieg nicht hätten gewinnen können. Jedermann wußte das natürlich, aber daß ein führender Minister so abgründig dumm sein könne, es öffentlich auszusprechen, das war mehr, als man erwarten durfte. – Dennoch vertrauen alle auf den Führer, obgleich dieser ebenso öffentlich eingestanden hat, sich über die Stärke Rußlands geirrt zu haben.

     Herr Dr. Goebbels beklagt sich in der letzten Nr. des Reich, daß die Engländer seine hysterischen Hilfeschreie als Friedensfühler auslegten u. beruft sich darauf, daß die Nazis schon vor 20 Jahren auf die Gefahr des Bolschewismus hingewiesen hätten. Es ist aber doch wohl ein Unterschied, auf die Gefahr des Bolschewismus in Propagandareden hinzuweisen, – ein Bolschewismus, von dem wir damals übrigens durch Polen getrennt waren, – oder ob man auf Grund eines Irrtums in diese Gefahr tatsächlich verstrickt wird, wie Hitler es getan hat. – Herr Goebbels fragt ganz dummdreist: „Ist unsere militärische Lage so beschaffen, daß wir in unserer Siegeszuversicht auch nur im Geringsten schwankend werden müßten?“ – Jawohl, Herr Goebbels, – unsere militärische Lage ist allerdings so, – u. das sog. Feldherrngenie des Gefreiten Adolf hat uns in diese Lage gebracht, – sonst wären Ihre ganzen Reden, Herr Goebbels, barer Unsinn u. Demagogie. Dann wäre Europa eben nicht in Gefahr! Herr G. behauptet, wir hätten „bisher nur mit der Linken geboxt“ – jetzt wären wir dabei die „Rechte zu bandagieren“. – Das ist Faselei, Herr Goebbels! – Aber Herr G. weiß genau [12] was ihm u. seinen Freunden im Falle einer Niederlage blüht. Er schreibt heute im Reich: „Wir hätten keine Gnade, sondern nur Rache, Wut, Vernichtung zu erwarten!“ – Jawohl, Herr Goebbels, so ist es, – jedoch nicht „wir“, – wie Sie es meinen, d.h. das ganze deutsche Volk, – u. womit Sie uns Angst machen wollen, – sondern „Sie u. Ihre Genossen“. – Und dieser Tag wird kommen! Ihre hysterische Angst davor ist nicht umsonst. Möge Gott verhüten, daß das ganze deutsche Volk in Ihren Untergang hineingerissen wird.

Dienstag, 23. Februar 1943.     

     Heute Brief von Dr. Bohner. Sehr höflich. Er ist prinzipiell mit allem einverstanden, was ich ihm betr. Heirat vorgeschlagen habe. –

     Die Offensive der Russen, die in letzter Zeit schon den Anschein erweckte, als ob sie wesentlich mühsamer vorwärts käme, scheint jetzt abgestoppt zu sein. Unser Heeresbericht meldete heute einige hoffnungsvolle Erfolge, doch muß man abwarten, ob sie aufrecht erhalten werden können oder gar ausgebaut werden können. Es wäre gewiß zu wünschen. – Die Engländer scheinen am Sonntag den 25. Jahrestag der bolschewistischen Armee in ganz England groß gefeiert zu haben, der engl. König hat sogar an Kalinin einen Ehrensäbel gesandt. Man kann es nur mit Kopfschütteln vernehmen, ebenso wie die in allen Kirchen, auch den katholischen, angeordneten Gebete für die Russen. Vielleicht wollen sich die englischen Christen üben, ihre Feinde zu lieben! –

Nachbar Papenhagen erwartete heute Mittag Tochter u. Schwiegersohn aus Hamburg. Beide Krank. Es gab keine Möglichkeit, die beiden von Ribnitz hierher zu bringen, da der Autobus Dienstags u. Freitags nicht fährt u. sonst kein Mensch Benzin hat. Abends bekam ich von Wustrow Nachricht, daß beide dort mit dem Werkauto der Firma W. Bachmann angekommen sind u. erst einmal dort bleiben.

Donnerstag, den 25. Februar 1943.     

     Gestern nachmittag waren Peter Erichson u. Frau Ristow bei uns. Erichson wie immer voller Geschichten u. Neuigkeiten. Etwas anstrengend. Martha sah den ganzen Tag über nicht gut aus, klagte abends über Halsschmerzen u. Schwere in den Gliedern. Ich schickte sie früh ins Bett, gab ihr Tabletten u. machte ihr einen Halsumschlag. Sie hat, wie sie sagt, ganz gut geschlafen, war aber heute morgen nicht viel besser, legte sich bald nach dem Frühstück wieder hin. Ich gab weiter Tabletten. Die Halsschmerzen hörten auf, aber nun klagt sie über dieselben Kopfweh, die sie schon neulich hatte. Sie ißt nichts. Habe eben Temperatur gemessen, sie hat kein Fieber, aber einen roten Kopf.

     An Fritzens Braut Margret geschrieben als Antwort auf ihren Brief, denn Martha, die heute schreiben wollte, kommt nun doch nicht dazu. –

     Wie ich gerüchtweise höre, soll morgen eine Versammlung stattfinden [13] wegen des Arbeitseinsatzes. In Mecklenburg ist man schon tüchtig dabei, die Leute einzuziehen, in Althagen sollen vier Mädchen eingezogen sein, – sonst nichts. Das wäre nicht viel. In den Städten ist man eifriger, denn: „Das Volk will Taten sehen!“ Man hat bereits viele Geschäfte geschlossen u. die vorhandene Ware beschlagnahmt, – zum Einkaufpreis – oder vielmehr zum Preise, der in der Inventur angegeben ist, d.h. also, daß Gegenstände zu hohen Preisen, die jahrelang im Geschäft liegen u. an denen man in der Inventur Abschreibungen vorgenommen hat, auch weit unter dem eigenen Einkaufspreis beschlagnahmt werden. So zahlt der Mittelstand den Krieg. Auch Büromöbel, Schreibmaschinen usw. werden beschlagnahmt, selbstredend auch zum Inventurpreis, – da ist es schon besser, wenn eine Fliegerbombe das Geschäft einschmeißt. All die kleinen Geschäftsleute, die auf diese Art stillgelegt werden, werden niemals wieder zu einer eigenen Existenz kommen, – besonders für deren Söhne, die an der Front stehen, eine erfreuliche Aussicht. Sie verteidigen an der Front mit Einsatz des Lebens die Heimat u. das sog. Vaterland, während dieses selbe Vaterland ihnen im Rücken die Existenz ruiniert. Das ist nun diesmal wirklich ein „Dolchstoß in den Rücken“. Inzwischen fahren die Herren Lorenz u. Genossen in ihren Autos zur Jagd.

     Ein Fall in Warnemünde. Die Frau eines Offiziers, der an der Front steht, ist Aerztin. Sie besucht Kranke. Sie kommt in eine Familie, wo Freundinnen der Hausfrau grade zu Besuch sind. Man redet über allerhand, natürlich auch über Politik. Die Aerztin sagt, daß der Gauleiter Hildebrandt eine Geliebte haben u. mit ihr ein Kind haben soll. Die Geliebte soll sehr feudal in irgend einer prächtigen Villa untergebracht sein. Die Aerztin geht weiter, kommt nach Hause u. wird vor die Polizei geladen. Es ergibt sich, daß eine der Freundinnen diese Geschichte ihrem Mann erzählt hat, der ist sofort zur Polizei gelaufen u. hat Anzeige gemacht. Die Aerztin hat Gift genommen u. ist tot, der Mann an der Front? –

     Jetzt werden die fünfzehnjährigen Schuljungens zur Flak eingezogen. Sie bekommen eine Uniform an u. werden militärisch ausgebildet. Der Unterricht soll in verkürzter Form nebenher weitergehen durch besondere Lehrer, die ebenfalls Uniform tragen müssen. Diese Jugend wird einmal im gewöhnlichen Leben stehen müssen, dazu die jungen Soldaten, die schon lange an der Front sind, vielleicht das Ritterkreuz tragen. Sie werden nach dem Kriege von vorn anfangen müssen. Das war schon nach dem ersten Weltkrieg ein schweres Problem, nach diesem Kriege wird es noch schwerer sein, besonders, wenn diese jungen Leute in ihre von Bomben zerstörten Heimatstädte zurückkehren werden u. keine Existenz mehr haben.

     Die Lage an der Ostfront scheint fortschreitend besser zu werden, falls der Heeresbericht die Wahrheit sagt u. man nicht Erfolge erfindet, um die gefährlich abgesackte Stimmung zu heben.

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Sonntag, 28. Februar 1943.     

[14]      Gestern Marthas Zustand sehr schlimm, heute Besserung. Es fällt doch furchtbar schwer, einer Kranken dauernd die ganze Rücksicht entgegenzubringen, die sie verlangen kann, wenn man selbst übermüdet ist, wie ich es gestern war, nachdem die Nacht vorher schlimm war u. mir nur wenig Schlaf erlaubte, besonders wenn ich selbst meine gebrochenen Knochen dann mehr fühle, als es sonst normalerweise der Fall ist. Zum Glück ist Martha ein dankbarer Mensch, der sich schon über Kleinigkeiten freut.

     Vorgestern Brief an Margret u. an den Vater Dr. Bohner, gestern an Fritz, den ich aber noch nicht absandte, weil Nachricht von ihm kam, daß die Verlegung seiner Buchhandlung an die Kanalküste nach Le Tréport nun verfügt worden sei. Er wird den Umzug in dieser Woche durchführen müssen, wodurch er zunächst einmal der Heldensuchaktion einigermaßen entzogen ist. Da die Kanalküste direkte Front ist, mag es hoffentlich sein, daß man dort keine Helden sucht, indem dort eben schon alle Helden sind. Diese Nachricht kam gestern nach einem langen Brief von Vorgestern, dem ersten nach seinem Urlaub. Er drückt darin seine dankbare Beglückung aus, daß wir seiner kleinen Braut so herzlich entgegengekommen sind.