Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1943-01-13
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Entstehungsdatum: 1943
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Originaltitel: Mittwoch, 13. Januar 1943.
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Quelle: commons:Category:Tagebuch von Hans Brass 1943
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 13. Januar 1943
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Einführung

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Der Artikel TBHB 1943-01-13 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 13. Januar 1943. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über drei Seiten.

Tagebuchauszüge

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[1]
Mittwoch, 13. Januar 1943.     

[1]      Sonntag Nachmittags bei Krappmanns zum Kaffee. Sie wohnen hübsch im Hause des Baurats Meisner in Althagen. Der Blick von der Höhe des Ufers, auf dem das Haus liegt, über den Bodden u. den kleinen Fischerhafen Althagen ist bestrickend u. gibt mir viel mehr als der freie Blick über das Meer, den man von unserem Hause aus hat u. der von allen Fremden immer so bewundert wird. – Es ist seit Sonntag sehr kalt geworden. –

Der Hyeronimus fesselt mich sehr. Abends lese ich Martha den Paulus vor. Zwar gehen beim Vorlesen die gedankentiefen Stellen verloren, aber das schadet nichts. Es ist, als ob man leicht über tiefe Abgründe hinweggleitet, ohne sie recht zu bemerken u. ohne daß man Furcht davor [2] bekommt. Solche Bücher wollen natürlich gekaut werden, ehe sie ihren Reichtum erschließen, aber beim Vorlesen tritt doch das Lebendige hervor u. füllt den Gegenstand mit Blut u. Leben. – Aus dem Nachwort des Uebersetzers zum Hyeronismus erfahre ich, daß Pascoaes ein Mann von 63 Jahren ist. Daß sein Paulus von den Theologen entschieden abgelehnt wird, ist fast selbstverständlich. Betrachtet man seine Gedanken so oberflächlich, wie Gedanken immer erscheinen, wenn sie sich in Worte kleiden u. Fleisch annehmen, so erscheinen sie wirklich sehr ketzerisch, u. das vertragen Theologen nicht. Diese sind gewöhnlich in ihrer dogmatischen Gottgläubigkeit ruhig u. satt u. das tiefe Wort des hl. Augustin „Unruhig ist unser Herz ...“ ist ihnen nur ein gemütvoller Spruch über dem Plüschsofa, auf dem sie ihr Nickerchen zu machen pflegen. „Unruhe ist die erste Menschenpflicht“, – so sagt, wie der Uebersetzer schreibt, der Spanier Unamuno. Es wäre sehr nützlich, wenn unsere Theologen etwas mehr von dieser Unruhe hätten, aber wie wenige erwachen selbst heute aus ihrem traulichen Nickerchen auf, wo die Welt in Flammen steht. Sie seufzen zwar tief u. beweglich über die „Entchristlichung“, die sich überall mehr u. mehr ausbreitet, aber sie denken nicht daran, ob ein Teil der Ursachen dazu vielleicht an ihnen selber liegt. Dabei ist es freilich schwer, zu sagen, inwiefern unsere Theologen an dieser Entchristlichung teilhaben. Ich denke dabei nicht an pflichtvergessene Pfarrer, die es immer gegeben hat u. immer geben wird, aber die bei uns in Norddeutschland, in der Diaspora, doch erstaunlich selten sind. Nein, ich denke da an die große Masse der „Ungeistigen“, die man leider auch in hohen Stellen findet. Sie sind voll eines höchst üblen geistigen Hochmutes, dessen Wurzeln wahrscheinlich in der offenkundigen Geringschätzung liegen, die ihnen von anderen Akademikern entgegengebracht wird. Sie glauben, mit diesem Hochmut sich wehren zu können gegen diese Geringschätzung, – sie pochen darauf, daß auch sie Akademiker sind u. Philosophie studiert haben. Sie sind nicht frei vom akademischen Dünkel u. leiden unter der Nichtachtung, – die Strafe für ihre Sünde. – Weil sie eine akademische Schulbildung genossen haben, glauben sie, auf jede eigene geistige Tätigkeit jetzt verzichten zu können, nachdem sie einmal ihre Examina abgelegt u. die Weihen empfangen haben. Diese Haltung wird unterstützt durch das Wesen der theologischen Wissenschaft, die ja ihre Grundlagen u. Voraussetzungen nicht philosophisch selbst finden muß, sondern die ihr durch Offenbarung gegeben werden u. an denen natürlich nicht gezweifelt werden darf. Das Verbot des Zweifels verführt sie zu geistiger Trägheit. Es scheint, daß dies um so schlimmer ist, je „hochgelahrter“ solch ein Kirchenmann ist, wogegen man mit einfachen Pfarrern u. echten Seelsorgern oft erstaunlich frei sprechen kann. Z.B. Dr. Tetzlaff u. Pfarrer Feige, den ich in diesem Sommer kennenlernte. Leider scheinen unsere Theologen den Zwiespalt zwischen dogmatischem Glauben u. dem Glauben des lebendigen Christenmenschen garnicht zu [3] spüren, oder wenn sie es tun, dann fühlt man deutlich den Hochmut des gottbegnadeten Kirchenmannes gegenüber dem einfachen „Volk“. Sie spüren den Zwiespalt schon, aber sie geben sich nicht damit ab, weil sie darin etwas Minderwertiges sehen, anstatt die Tragik darin zu erkennen. Es sind „untragische Theologen“ – trotz Verfolgung u. Konzentrationslager, – wenn sie Tragik empfinden, so denken sie dabei nur an dieses vermeintliche Unrecht, das man ihnen selbst antut. Daß eine tiefere Tragik in der Fessel des Dogmas liegt, das wollen sie nicht sehen. Sie sehen nicht die bedrängten Christenseelen unserer Zeit, seufzen aber zugleich über Gleichgültigkeit u. Entchristlichung. Pascoaes hat das in einem Brief an einen Jesuiten so ausgedrückt: „Wir sehen beide dasselbe Kreuz, Sie von den Höhen einer gnadenreichen Gewißheit, u. ich, nackt u. bloß, aus den Schächten meines brennenden Zweifels, – u. bleibt doch Christi Kreuz ...!“

     Hätten wir doch unter unseren Theologen mehr Vertreter einer solchen „tragischen Theologie“, – es würde besser um uns Christen stehen. –