Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1936-01-30
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Entstehungsdatum: 1936
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Originaltitel: Donnerstag, den 30. Januar 1936.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 30. Januar 1936
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Einführung

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Der Artikel TBHB 1936-01-30 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 30. Januar 1936. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über vier Seiten.

Tagebuchauszüge

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[1]
Donnerstag, den 30. Januar 1936.     

[1]      Auf meinem Kalender steht: 1933, Adolf Hitler wird Reichskanzler. – Der Tag heute wird draußen offenbar groß gefeiert. Drei Jahre lang werden wir nun von den Nationalsozialisten regiert, jetzt beginnt das vierte u. letzte Jahr, das sich Hitler damals ausbedungen hatte u. nach dessen Ablauf er Rechenschaft ablegen wollte.

     Es ist zweifellos, daß der Nationalsozialismus viel erreicht hat, nur ein Dummkopf könnte es leugnen. Deutschland nimmt in Europa wieder eine Stellung ein, man rechnet mit Deutschland, das ist wahr. Aber wie war es denn vorher? War vorher Deutschland ohne Stellung in Europa? war Deutschland etwa ein luftleerer Raum?

     Sicher nicht. Bloß war seine Stellung ganz anders. Deutschland war damals ein besiegtes u. niedergerungenes Land ohne Armee, ohne Soldaten, ohne Kanonen. Es war ein Land, welches nach diesem Kriege u. nach dieser Inflation mit einer beispiellosen Energie sich emporarbeitete. Die Wirtschaft u. das Unternehmertum hatte seine Kräfte ungeheuer angespannt, Wissenschaft u. Kunst ebenfalls, u. so besaß Deutschland eine Stellung in Europa, da um so weniger die Achtung versagt wurde, als man vor diesem wehrlosen Lande keine Furcht zu haben brauchte. – Diese Entwicklung war noch längst nicht abgeschlossen. Selbstverständlich hatten sich bei dem angespannten Aufstreben der Wirtschaft auch Wirtschaftsformen ergeben, die nicht immer schön waren, sie waren zum Teil noch das Erbe aus der Kriegs- u. Nachkriegszeit, in der ja jede Moral untergraben worden war. Auch ist es richtig, daß die Juden sich diese Situation zu Nutze gemacht hatten u. bis in die höchsten Ämter eingedrungen waren. Auch in der Wirtschaft waren sie mächtig. Indessen hatte gerade die letzte Zeit vor dem Umsturz sich bemüht, diese Auswüchse zu beseitigen, – das Deutschland Brünings, mit Hindenburg an der Spitze begann, das Vertrauen des Auslandes auch auf politischem Gebiete zu gewinnen u. man konnte mit vollster Hoffnung in die Zukunft sehen. Da aber wurde Brüning, kurz vor Erreichung dieses Zieles, gestürzt. Der General Schleicher u. der lavierende Papen versuchten, die Erfolge Brünings zu halten u. möglichst doch noch zu verwirklichen; aber Papen, der sicher ein unklares Spiel trieb, dem er garnicht gewachsen war, spielte – ohne es zu wollen, – den Nationalsozialisten die Macht in die Hände. – Es wird wohl erst einer späteren Generation bekannt werden, welches Spiel hinter den Kulissen damals gespielt wurde, um den alten Hindenburg zu übertölpeln. – Herr von Papen wird dabei eine beachtliche Rolle gespielt haben. Der Lohn ist ihm dann später ja auch von den Nationalsozialisten ausgezahlt worden u. er kann sich freuen, heute eine unbekannte Statistenrolle in Wien spielen zu dürfen.

     Heute nach drei Jahren ist die Stellung Deutschlands eine andere. – heute hat man wieder Furcht vor Deutschland, u. das ist der bedeutendste Erfolg des Nationalsozialismus, auf den er stolz ist. Die Furcht, die die anderen haben, ist ihm ein Beweis der Macht, – u. darauf ist er stolz. Nur ist nicht zu erkennen, welcher Vorteil uns aus dieser Macht erwächst. Auch vorher ist es niemandem eingefallen, uns etwa anzugreifen, – das wäre nach dem Lokarnovertrage u. vor allem nach der vielfachen Eifersucht der anderen Mächte garnicht möglich gewesen. Zu [2] einer einfachen Verteidigung unserer Grenzen hätte überdies unser kleines Heer völlig ausgereicht. Man sagt sich also mit Recht im Auslande, daß diese Macht Deutschlands doch irgend einen positiven Zweck haben muß u. man kann sich diesen Zweck nicht anders deuten, als daß damit im Weltkriege verlorenes Gebiet zurückgewonnen werden soll. Das aber bedeutet natürlich Krieg – u. vor nichts hat man so große Angst, wie davor. Deshalb kann Hitler noch so viel seine Friedensliebe überall versichern, – kein Mensch glaubt an die friedlichen Absichten dessen, der mit der Waffe droht.

     Was hat nun dieser Machtbesitz bisher bewirkt? Erstens hat alle Welt Angst u. rüstet sich. Aber Danzig, der Korridor u. Oberschlesien sind vorläufig noch unerreichbare Güter ebenso wie Eupen u. Malmedy. Der Versuch, Österreich zu schlucken, ist gescheitert, hat aber die nächstliegenden Absichten des Nationalsozialismus ins klare Licht gestellt. Man weiß nun Bescheid, – u. wenn Hitler kürzlich einer Jouralistin, einer ausländischen, – mit der Miene eines Biedermannes erklärt hat, daß die Anschlußfrage in Deutschland nicht interessiere, so erkennt das Ausland darin nur Hinterhältigkeit, u. mit Recht, – denn das kann ihm kein Mensch glauben. Furcht u. Misstrauen nach außen, das ist zunächst einmal der Erfolg dieser ersten drei Jahre. Man weiß, daß unsere Friedensliebe nur so lange dauern wird, bis ein Krieg Erfolg verspricht, – einmal wird u. muß er kommen. Und bis dahin wird man alles tun, um ihn zu verhindern, d.h. man wird gegen Deutschland sein. – Dieser Krieg aber wird kommen, weil er ganz einfach in der Ideologie des Nationalsozialismus begründet ist. Es fragt sich nur, wann dieser Krieg ausbrechen wird. Jeder Mensch in Europa weiß das, u. so ist das Leben jedes Menschen in Europa beherrscht von der Furcht u. von der Unsicherheit vor diesem drohenden Ereignis. Ein jeder lebt in dem Bewußtsein, daß Deutschland der Friedensbrecher sein wird, u. deshalb ist Deutschland gehaßt. – Furcht u. Haß, – das ist die Stellung, die Deutschland in Europa hat u. die es dem Nationalsozialismus zu danken hat. Vielleicht wird eine spätere Generation anders darüber denken. Vielleicht wird Deutschland aus diesem Kriege siegreich hervorgehen u. mit Waffengewalt all die geheimen nationalsozialistischen, außenpolitischen Träume verwirklichen, – dann wird es der Tyrann ganz Europas werden. Der Haß wird ins Ungemessene steigen, es wird eine furchtbare Rache geben, – das Ende Europas. – Oder Deutschland verliert den Krieg. – Wer mag wissen, was Gott in Seiner unerforschlichen Vorsehung beschlossen hat. –

     Welche Erfolge hat nun der Nationalsozialismus innenpolitisch? Man nennt da Vieles. Da ist zunächst die Reichseinheit, die Voraussetzung des Machtwillens ist u. die man nur von hier aus werten kann, – denn von wirklicher Einheit ist ja garkeine Rede. Und dann die neue Armee, die wiederum aus der Reichseinheit folgt. Die Rückgewinnung der Saar wäre so wie so auch ohne Nationalsozialismus erfolgt. Und dann die Wirtschaft, die man durch Gewaltmaßnahmen angekurbelt hat. Der Rückschlag, der daraus folgen muß, muß erst einmal abgewartet werden, noch hat er nicht eingesetzt, aber er muß ja kommen. Bis dahin sind die Deutschen untereinander mißtrauisch. Alle grüßen laut: „Heil Hitler“, – aber heimlich ballen sie die Faust in der Tasche. Selbst die Mitglieder der Partei untereinander sind voller Mißtrauen, so wie [3] Goebbels, Göring, Rust, Schacht u. wie sie alle heißen, sich nicht gegenseitig trauen u. teilweise in ganz offener u. unverhüllter Feindschaft leben. Goebbels u. Göring grüßen sich nicht, Rust wird über die Achsel angesehen. Reden von Schacht werden verheimlicht u. die Veröffentlichung verboten. So wie diese Führer es vormachen, so geht es hinab bis zum letzten SA=Mann. Jeder hat sein Spezialgebiet, auf dem er sich austobt, bis zum Herrn Staatsrat Streicher, der mit seinem „Stürmer“ das Ansehen deutscher Geistigkeit u. Kultur im Auslande so untergräbt, daß diese Zeitung nicht mehr ins Ausland gesandt werden darf. Ich hörte, daß der öffentliche Handel dieser Zeitung in ganz Schlesien verboten ist, weil man sich vor den Polen u. den Tschechoslowaken deshalb geniert. – Dazu tritt dann noch Herr Alfred Rosenberg, der die deutsche Kultur u. Geistigkeit zu bestimmen hat u. mit seinen ehrgeizigen Helfershelfern den Kampf gegen den Katholizismus eröffnet hat. Die Verseuchung u. Verhetzung dauert nun drei Jahre lang u. wird mit steigender Planmäßigkeit betrieben. Bisher haben die Katholiken auf Geheiß ihrer Bischöfe Gewehr bei Fuß gestanden u. offenbar hat man ihnen dies als Furcht u. Schwäche ausgelegt. In Wahrheit aber ist in diesen drei Jahren der zunehmenden Hetze der Katholizismus innerlich erstarkt u. gewachsen. Wenn mich mein Gefühl nicht ganz verlassen hat, so dürfte diese Zeit des Duldens u. Abwartens nun vorüber sein, die kurze, sachlich-knappe Verlautbarung der ungewöhnlichen, außerplanmäßigen Bischofskonferenz letzthin deutet darauf hin.

     In der evangelischen Bevölkerung treiben die Dinge ebenfalls in dieser Richtung. Auch hier ist in den Kreisen der sog. Bekenntnisfront eine Klärung, Reinigung u. Erstarkung zu erkennen, während die anderen, die schon vorher der Religion gleichgültig gegenüberstanden, sich nun deutlich von jenen getrennt haben.

     Man kann also ruhig, feststellen, daß diese sog. „Reichseinheit“ eine reine Zwangssache ist, erzwungen durch Macht. Innerhalb der Partei herrscht Mißtrauen u. Zank, die frühere evangel. Kirche hat sich auf das kleine Häuflein der Bekenntnisfront zurückgezogen u. wird befehdet von den ausgeschiedenen Neuheiden, – u. die Katholiken sind mehr oder weniger offen in der Rolle von Staatsfeinden. Das ist die Einheit des Deutschen Volkes! – oder der Erfolg des Nationalsozialismus nach den ersten drei Jahren. Im Hintergrunde irgendwo unsichtbar lauern die Kommunisten. –

     Und was wird nun dieses vierte Jahr bringen, nach dessen Ablauf Adolf Hitler dem Deutschen Volke Rechenschaft zu geben vesprochen hat? Wird er dieses Versprechen noch einhalten können?

     Er ist einmal am Kehlkopf operiert worden. Man hat offiziell darüber berichtet. Nun ist die Operation wiederholt worden, – u. diesmal hat man nicht berichtet, sondern man hat es zu verheimlichen versucht. Wer etwas verheimlicht, muß die Wahrheit fürchten. Es ist mindestens der Erfolg dieser Verheimlichung, wenn heute alle Welt von der tuberkulösen Kehlkopferkrankung des Führers spricht, – wenn man davon spricht, daß sein Leben nur noch nach Monaten begrenzt ist, – u. wenn man bereits die unmöglichsten Kombinationen über seine Nachfolge anstellt. – Die Unmöglichkeit dieser Kombinationen zeigt nur zu deutlich, daß [4] jeder Mensch ratlos vor dieser Möglichkeit steht. – Möge der Herrgott uns behüten! – –

     Gestern feierten nun auch Maria u. ich unser fünfzehnjähriges Jubiläum. Maria hatte in lieber Weise für allerhand materielle Genüsse des Leibes gesorgt u. sie war sehr lieb u. nett. Wir sprachen viel in der Dämmerung über das verflossene, gemeinsame Leben, das voll so vieler wunderbarer Unwahrscheinlichkeiten war, u. ebenso sprachen wir von Gegenwart u. Zukunft. – Die mehrfachen Operationen, die sie durchgemacht hat, machen ihr jetzt oft Ungelegenheiten u. sie wird dadurch immer ernsthafter zu dem Gedanken geführt, ihr Geschäft in Ahrenshoop aufzugeben, da sie sich den Anstrengungen nicht mehr gewachsen fühlt. Sie denkt sich eine Zukunft in einer kleinen, berliner Wohnung, die sie mit mir teilen möchte, um sich dann ganz dem religiösen Leben hinzugeben. Auch meine Existenz hier im Christkönigshause ist ja keinesfalls etwas Endgültiges, das hat mir ja das Scheitern meines Planes sehr deutlich gemacht; aber 2 – 3 Jahre werden wohl noch darüber hingehen. Der Gedanke, einmal dieses ehemalige Klosett hier wieder verlassen zu dürfen, um in der freundlichen Gesellschaft Marias den Lebensabend zu verbringen, ist ungemein schön, – zu schön, als daß ich mich getraue, daran zu denken. Aber sie geht sehr ernsthaft mit diesem Gedanken um u. ich lasse sie gern dabei. Möge der liebe Gott uns beide führen. Gestern in der Frühmesse habe ich erneut unsere Freundschaft Gott geweiht u. daß Gott mit großer Gnade auf uns herabblickt, das ist ja zweifellos. Möchte Er uns nur immer Seinen Willen kund tun, damit wir niemals etwas aus eigenem Willen tun, – oder gar gegen Seinen Willen, was ganz schrecklich u. das größte Unglück wäre. Jetzt aber fühlen wir beide uns so deutlich in Gottes Hand daß uns daraus immer wieder von Neuem ein Glücksgefühl befällt u. wir voll jubelnder Dankbarkeit sind gegen unseren gütigen Vater. Es ist wirklich so, daß wir uns fühlen wie die Küchlein unter Seinen schützenden Flügeln u. daß wir immer nur unsere Darkbarkeit stammeln können, für das Glück u. die übergroße Gnade, die Er uns zuteil werden läßt. –