Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1935-09-17
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Entstehungsdatum: 1935
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Originaltitel: Dienstag, den 17. September 1935.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 17. September 1935
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Einführung

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Der Artikel TBHB 1935-09-17 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 17. September 1935. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über drei Seiten.

Tagebuchauszüge

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[1]
Dienstag, den 17. September 1935.     

[1]      Meine Zeit in Ahrenshoop erfuhr eine plötzliche Unterbrechung. Am Donnerstag Abend meldete sich der älteste Sohn Marias, – Kurt, – der hier in Berlin eine erfolgreiche Versicherungs=Agentur betreibt, nachdem er früher in der Ablegung des juristischen Referendar-Examens [2] weniger erfolgreich gewesen war, – für einen plötzlichen Besuch bei seiner Mutter an. Er wollte am Freitag kommen. Da mir das laute, aufdringliche u. unbescheidene Wesen dieses jungen Mannes einfach unerträglich ist, zog ich es vor, am Freitag Nachmittag die Flucht nach Prerow zu meinem Kollegen Theodor Schulze=Jasmer zu ergreifen, der dort ein hübsches, altes Fischerhaus besitzt u. ein vorzüglicher Graphiker ist. Er wohnt in Prerow mit seiner Frau. Er selbst hat am Strande einen sehr hübschen Laden, in dem er seine Bilder u. fremdes Kunstgewerbe verkauft, seine Frau betreibt derweil im Hause mit viel Geschick eine Pension.

     Ich ließ mich von Fritz hinfahren, Maria begleitete mich. Dieser plötzliche Abbruch meines Aufenthaltes war zwar etwas wehmütig, aber ich verband damit die Ausführung einer Absicht, die ich schon im vorigen Jahre gehabt hatte, aber nicht durchgeführt hatte, – ich wollte mir nämlich von Sch.-J. die Technik des Holzschneidens zeigen lassen. Ich habe oft bedauert, daß ich nicht Holzschnitte machen kann, besonders jetzt in meiner engen Klause, in der ich doch kaum malen kann.

     Das Ehepaar Sch.-J. ist ausnehmend nett. Mein Kollege ist kein bedeutender, aber ein guter Maler, aber wesentlich ist, daß er wie seine Frau Menschen sind ohne jeden Falsch, ohne jeden Hinterhalt. Es sind einfach unkomplizierte, grade Menschen die garnicht anders als freundlich sein können. So wurde ich herzlich aufgenommen u. gleich am nächsten Morgen ging Sch.-J. daran, mich in die Geheimnisse der Holzschnitt-Technik einzuweihen. Ich habe den ganzen Sonnabend fleißig gearbeitet, sodaß ich nun alles weiß, was dazu notwendig ist. Nun ist es an mir, das nötige Handwerkszeug zu besorgen u. mich zu üben, bis ich die Geschicklichkeit der Hand erlangt habe, die eben nur durch Übung erreichbar ist. –

     Am Sonntag früh fuhr ich nach Barth zum Hochamt, dem man grade eben zwischen dem ankommenden u. abfahrenden Zuge beiwohnen kann. Die kleine Barther Kirche ist ganz wunderhübsch, die kleine Gemeinde sehr brüderlich. Gegen 12 Uhr mittags war ich dann wieder, – etwas erschöpft u. ermüdet, bei meinen Freunden u. erlangte zu meiner Freude noch die Reste des ersten Frühstücks derselben.

     Nachmittags um 5 Uhr kam (zwar verabredet, aber doch von mir nicht ernsthaft erwartet) nochmals Maria mit Fritz u. blieb bei uns zum Abendbrot. Gestern Mittag fuhr ich selbst dann nach Berlin zurück u. war um 9 Uhr wieder zu Hause. Es ist nur ein Provisorium hier, da ich heute Nachmittag nach Biesdorf fahre. Bei der Frühmesse heute Morgen stellte ich fest, daß P. Direktor Joh. Haw hier ist u. noch ein anderer Pater aus Leutesdorf, den ich nicht kenne. Sonst scheint alles beim alten zu sein. – Nein, – auch einen neuen Bruder sah ich, einen vollbärtigen, sympatischen Menschen von etwa 35 Jahren.

     Bei meinem Mittagsgebet kam Schw. Assistentin zu mir u. flüsterte mir zu, daß sie bald nach ein Uhr zu mir kommen wolle. Die Schw. Oberin hat ja heute ihren Namenstag u. heute ist ihr also mein Bild übergeben worden. Ich wartete aber vergebens auf die Schw. Assistenten, – dafür kam gegen 2 Uhr eine andere Schwester mit einem Teller voll Kuchen u. einer großen [3] Weintraube u. einem Gruß von Schw. Assistentin u. der Versicherung, daß letztere noch zu mir kommen würde. Ich wartete das aber nicht ab sondern machte mich um 4 Uhr auf den Weg zum S-Bahnhof Warschauerstraße, um nach Biesdorf zu fahren, wo ich bald nach 5 Uhr eintraf.

     Hier öffnete mir die nette, freundliche Schwester Pförtnerin, die ich nun schon gut kenne u. die mich auch trotz des Bartes wiedererkannte. Ich bekam diesmal Zimmer 28 in der ersten Etage, schräg gegenüber meinem vorjährigen Zimmer. Ich richtete das Notwendige her, ging dann in die Kapelle, besuchte alle lieben Altäre besonders freute ich mich wieder über den sehr lieblichen Marien-Altar mit seinen künstlerisch guten, mittelalterlichen Figuren. Dann ging ich in den Park, da nach einem regnerischen Vormittag das Wetter schön geworden war. Im Park ist ein Kreuzweg aufgestellt worden. Man hat lauter kleine Kapellchen aus Backsteinen errichtet, wie sie am Rhein zuweilen sind, d.h. es sind vierkantige, gemauerte Säulchen, auf denen ein Kapellenschrein steht, der die jeweilige Stationsdarstellung enthält. Diese Darstellungen sind eine Stiftung von irgend wem; aber sie sind übler, geschmackloser Fabrik=Kitsch. Das ist nun wirklich sehr schade.

Aber sonst freute ich mich wieder über den prächtigen Park mit seinen wundervollen Bäumen u. seiner Ruhe. Es war warm genug, sodaß ich lange auf einer Bank am Teich sitzen konnte, fast bis zur Dunkelheit. –

     Es sind diesmal nur neun Herren da. Zwei davon waren vor einem Jahre auch schon da u. wir begrüßten uns freundschaftlich. Die übrigen Herren sind nette, sympatische Herren.

     Exerzitienmeister ist Pater Prinz Georg von Sachsen. Vor dem Abendessen kam dieser herein, begrüßte jeden u. stellte sich vor: „Pater Georg“. – Nach dem Essen war eine Segens=Andacht u. anschließend daran eine einleitende Ansprache.

     P. Georg ist ein vornehmer Herr, dem man den hohen Aristokraten ansieht, doch wird dieser Eindruck gemildert durch einen starken sächsischen Tonfall beim Sprechen wodurch sein Vortrag etwas Gemütliches erhält. Diese Gemütlichkeit wiederum wird reguliert durch ein äußerst diszipliniertes Wesen, welches im ersten Eindruck direkt störend ist. Sein Gesicht ist meist gespannt, anfangs erschien es mir fast verkniffen; aber als er sich dann warm gesprochen hatte, was ziemlich rasch der Fall war, wirkte diese Disziplin ungemein fesselnd. Dieser Mann hat eine Eindringlichkeit des Sprechens, die zwingend ist.

     Er besprach kurz die Tagesordnung u. beleuchtete dann den Zweck der Exerzitien. Dieser besteht nicht darin, in den Exerzitien etwas Neues zu lernen oder sonst wissenschaftliche Früchte davon zutragen, sondern der Zweck besteht darin, schlechthin besser zu werden.

     Von dem, was P. Georg sagte, war ich innerlich stark berührt u. ich erwarte von diesen Tagen viel. –