CVIII. Damaskus in Syrien Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band (1836) von Joseph Meyer
CIX. Suli
CX. Die Ruinen von Petrah (Edom) in Arabien
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SULI

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CIX. Suli.




In der Landschaft Albanien umziehen und scheiden gleichsam von der übrigen Erde hohe Gebirgskämme einen Raum von etwa 11 Geviertmeilen, den Kräfte, die nicht der Natur anzugehören scheinen, in schauerlich-prachtvolle Formen drückten. Gegen hundert Felspyramiden, meistens kahles Gestein, steigen aus tiefen, dunkeln Thälern, oder von finstern Schluchten und bodenlosen Abgründen umgeben, empor, in denen man das Rauschen unterirdischer Gewässer hört. „Man denkt ein übrig gebliebenes Stück vom alten Chaos zu sehen,“ sagt ein reisender Britte.

Es ist diese unheimliche Gegend jene berühmte, in der, nach der Mythe der alten Griechen, die Giganten einst den Himmel stürmten, und wo der Acheron strömt, an dessen Ufern die Geisterschaaren der Verstorbenen irrten. Seit alter Zeit war sie unbewohnt und von Menschen gemieden. Erst zu Anfang des 17ten Jahrhunderts suchten einige christliche Familien aus Albanien, als die Türken mit Feuer und Schwert ihr Vaterland verwüsteten, hier ein Asyl. Allmählich gesellten sich mehre zu ihnen, und gemeinschaftlich erbauten sie dann auf eine der unzugänglichsten Spitzen [47] ihrer Berge eine Veste: Suli. An den Engpässen, die über das Gebirge in die Ebenen führten, legten sie Verschanzungen an, und als durch immerwährende Zuzüge von griechischen Flüchtlingen ihre Anzahl auf einige Tausende angewachsen war, errichteten sie Burgen und Castelle auf allen Höhen. Sie bildeten einen Staat, der patriarchalische, rein republikanische Formen hatte. Jeder Hausvater war Herr in seiner Familie, im Staate waren Alle gleich. Für die Vertheidigung ihrer Unabhängigkeit mußte Jedes, das Waffen tragen konnte, ohne Unterschied des Geschlechts, oder Alters, das Leben einsetzen, und Türkenhaß war Allen ein heiliges Gebot. Gesetzbücher duldeten sie nicht; alle Streitigkeiten wurden nach den Diktaten der Vernunft und allgemeinen Moral geschlichtet. Viehzucht in den engen Thälern, Jagd in den nahen Wäldern, zumeist aber Plünderung der Türken und ihrer Freunde, waren der Erwerb dieses Volkes, in welchem sich, unter den Einwirkungen jener Verhältnisse, bald Wildheit, Unerschrockenheit, Tapferkeit, Ausdauer in Ertragung der härtesten Entbehrungen, List und Schlauheit als allgemeine Charakterzüge kund thaten. Die Sulioten wurden der Schrecken der türkischen Bevölkerung ganz Albaniens und Livadiens, und ihre Raub- und Streifzüge reichten zuweilen bis zum Oeta hin. Vergeblich sendeten die Türken mehrmals bedeutende Heere zu ihrer Vertilgung. Selten drangen die Feinde bis in ihr Gebiet, nie überwanden sie die Vesten, von denen Suli, erweitert und durch neue Werke immer mehr verstärkt, als unüberwindlich angesehen wurde. Ali, Pascha von Janina, schlau, tapfer, ein Teufel in Menschengestalt, der sich vom Bettler zum mächtigsten Vasallen und glücklichsten Rebellen der Pforte aufgeschwungen, verwendete 13 Jahre lang seine Schätze und Heere zur Erdrückung der Sulioten vergeblich; in diesem Kampfe, der einem Romane gleicht, fielen 40,000 Türken von den Kugeln und dem Schwerte der kleinen Schaar; und als die Sulioten, von Hunger und Verzweiflung getrieben, die Vertheidigung ihres Ländchens nicht länger fortsetzen konnten (1803), dann, die Aufopferung des Vaterlandes der Unterdrückung vorziehend, übergaben sie die Burgen gegen freien Abzug, und wanderten mit Weibern und Kindern nach Zephalonia, wo sie eine Freistätte fanden. Ali schleifte die Castelle bis auf die festesten, in welche er Besatzung legte. – Lange Jahre nachher wurde bekanntlich der rebellische Ali von dem Sultan auf’s äußerste bedrängt und in Janina belagert. In dieser Noth sandte er seinen Enkel an die Suliotenhäuptlinge nach Zephalonia, versprach ihnen Rückgabe ihres Gebiets und Anerkennung ihrer Unabhängigkeit, und als Bürge dieses Versprechens den Enkel selbst als Geißel, wenn sie ihm gegen die Türken ihren tapfern Arm leihen würden. Nun kamen, unter Führung des kühnen Marco-Bozzaris, die Sulioten herbei, nahmen Besitz von ihrem Berglande und kämpften für Ali mit glänzendem Erfolge. – Erst dann unterlag der alte Tyrann, als er Schurkereien gegen die Sulioten, die er tödtlich haßte, verübte und darauf von diesen verlassen wurde.

Nach Ali’s Fall zog der Heerführer der Türken, Reschid Pascha, (1822) unversehens vor ihre Felsenvesten und schloß sie ein. Dem Hunger preisgegeben, übergaben die Sulioten, nachdem alle Subsistenzmittel erschöpft und selbst [48] die eckelhaftesten Surrogate menschlicher Nahrung aufgezehrt waren, am 4. Sept. ihre Burgen zum zweitenmal den Erbfeinden, doch nicht eher, als bis unter englischer Vermittlung ihnen freier Rückzug nach Zephalonia gesichert worden war. Aus 3000 Köpfen bestand der kleine Rest des Heldenvölkchens, der den englischen Schiffen zuwanderte. Einige hundert junge Feuerköpfe, die sich zur Blutrache gegen die Türken verbrüdert hatten, zerstreuten sich in die Gebirge, da ein Räuberleben führend, ein Schrecken der Türken. – Bald nachher rief Griechenland seine Söhne zur Freiheit. Die Sulioten säumten nicht, vereinigten sich unter Bozzaris, verjagten zuerst die Türken aus ihrer alten Heimath und eroberten ihr geliebtes Suli wieder; dann fochten sie in den Schaaren der Hellenen, und bald galten sie als die Tapfersten im ganzen Griechenheere, und viele der herrlichsten Siege waren ihr Werk. Doch wurde der Sulioten Häuflein immer kleiner, und im Vorgefühle ihres gänzlichen Untergangs weihete sich Jeder dem Tode. In der Nacht des 20. Augusts 1823 überfiel Marco Bozzaris den mächtigen Pascha von Scutari im Lager von Carponissi; verwegen bahnte er sich an der Spitze seiner Fünfhundert blutige Bahn durch zwanzig tausend Türken zu dem Zelte des feindlichen Feldherrn, und im Begriff, diesen mit eigner Hand gefangen zu nehmen, fiel er, von einer Kugel tödtlich getroffen. „Ich sterbe eines Sulioten würdig!“ rief der Held, Angesichts des schönsten Siegs, und gab den Geist auf. – Sein Bruder Constantin vollendete die That, die Griechenland damals gerettet hat. 5000 Türken lagen erschlagen, alle Waffen und alles Gepäck fiel in die Hände der Ueberwinder, und die Türken gaben für dießmal den Kampf auf und zogen zu Hause. Noch einmal sah die Sulioten-Schaar die heimischen Berge und ihre verfallenen Vesten wieder; dann erhob sie von neuem das Kreuz. Mit den tapfern Philhellenen focht sie bis zu deren Untergang bei Petta, und dann in der berühmten heldenmüthigen Vertheidigung von Missolunghi. Nur Wenige blieben übrig – und diese Wenigen lösten ihr Todes-Gelübde in den spätern Kämpfen für die griechische Freiheit.

So war denn das Volk der Sulioten, bis auf die schwachen auf Zephalonia geborgenen Reste der Weiber und Kinder, von der Erde verschwunden; aber sein Ruhm und sein Andenken wird dauern, so lange die Tugend aufopfernder Vaterlandsliebe noch Verehrer unter den Menschen findet.

Unser vortrefflicher Stahlstich ist nach einer von Meisterhand an Ort und Stelle entworfenen Zeichnung gefertigt. Er gibt ein treues Bild von der Hauptveste Suli und den umliegenden (zerstörten) Castellen und zugleich einen wahren Begriff von dem Charakter dieser merkwürdigen Gegend.