Stunden der Andacht/Gebet am Grabe des Gatten

« Gebet am Grabe der Mutter Stunden der Andacht Gebet einer Mutter am Grabe ihres Kindes »
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Am Grabe des Gatten.

„Ich bin ein Weib mit beschwertem Herzen,
Und schütte meine Seele vor Gott aus.”
 (Sam. I., 1, 15.)

Hierher, in die stille Behausung des Todes, ziehet mich mein Herz, das öde und traurig ist, wie dieser Ort selber. Von Grabesnacht umfangen ruhet hier der theure Gatte, und auf seinen Hügel mögen meine heißen Thränen hinfließen, mögen meine Klagen sich ergießen in ungestörtem Lauf. Fern vom Gewühl des Lebens, entweihet hier kein fremder Blick, kein theilnahmloses Wort meinen Schmerz; nur du, o Gott, bist hier Zeuge meines Grames, der so tief in meiner Seele sitzt, daß mir das Leben in seiner ganzen Schönheit nun verdüstert erscheint, und all seine Freuden nur wie in einem dunklen Trauerflor gehüllt entgegen treten.

Mögest du, Allvater, mir nicht zürnen, daß ich so bitterlich klage, daß meine Seele so tief trauert über das, was du geschickt [131] und gefügt hast. Mein Gott, nicht vermesse ich mich, gegen deine Schickungen zu murren und deine Wege zu tadeln. Du bist der Gott der Liebe und der Weisheit; welcher Sterblicher vermöchte dich zu begreifen und zu erfassen, wer sich erkühnen, dein Walten zu richten und zu dir zu sagen: Was thust du da! Was du thust, ist wohlgethan, und ich bete dich im Staube an und verehre in Demuth deinen unerforschlichen Rathschluß. Doch kann ich gebieten meinem Herzen, daß es nicht empfinde das Mißgeschick, kann ich sagen zum Schmerz: „Fliehe mich,” zu meiner trauernden Seele: „Sei heiter.”

Und wie sollte meine Seele nicht trauern, da ihre Schwesterseele von ihr geschieden, wie sollten meine Augen sich nicht mit Thränen füllen, da meiner Tage glänzendstes Gestirn erloschen ist, da meines Hauses Pfeiler und Stütze gebrochen, meines Lebens Blüthe und Schmuck hingewelkt und meines Herzens Theuerstes dem Moder preisgegeben ist! –

Doch nein, sein irdischer Theil bloß, der Körper nur, die Staubeshülle ward zurückgegeben dem Staube, von wannen er ist genommen, doch sein edleres Ich, sein unsterblicher Theil, sein Geist lebt fort mit all seinem Denken und Fühlen, mit all seiner Treue und Liebe. –

„Es kehrt der Staub zurück zur Erde, von wannen er ist genommen, und der Geist steiget empor zu Gott, der ihn gegeben.” Also steht es geschrieben in deinen heiligen Schriften. – Daran will ich mich halten. Der Gedanke sei Trost in meiner Trauer, und Balsam für die Wunde meines Herzens, daß der Tod nicht ganz das Bündniß unsrer Herzen kann aufgelöset haben, und wie meine Liebe ihm folgt ins Jenseits, wird auch er segnend und liebend niederblicken auf mich und meine Kinder, die er verwaist hinterlassen hat; wie ich betend mein nasses Auge zu dir, mein Gott, erhebe, um die Himmelsseligkeit für ihn zu erflehen, wird er hinwieder dein Erbarmen und deine Gnade anrufen für unser Heil hienieden, und so werden unsre Seelen sich begegnen an deines Thrones Stufen!

Mein Leben aber, das nun seines irdischen Schutzes entblößt ist, meine Kinder, die ihres Vaters und Verpflegers, ihres Führers und Vertreters beraubt sind, vertraue ich dir, allgütiger Vater im Himmel, der du ein Vater der Waisen, ein Sachwalter der Wittwen bist in deiner heiligen Höhe. Laß deine Liebe mich umfahen, deine Allmacht mich kräftigen, deine Allweisheit [132] mich erleuchten, daß ich stark und muthig durchs Leben schreite, daß ich die Pflichten und Aufgaben, die in doppeltem Maße auf mich fallen, mit männlichem Geiste und weiblichem Gemüthe vereint zu erfüllen verstehe, um meinem Hause mit Verstand und Kraft vorzustehen und allen seinen Bedürfnissen zu genügen. Amen.