Sonette aus dem Westen
1.
Am Baum des Urwalds.
Ob meinem Haupte rauscht die Sykomore,
Trompetenblumen träumen abendstill;
Vom Nest am Berghang lockt der Whip-poor-will,
Und leise ruft das Wildhuhn aus dem Rohre.
Da blitzt es hell aus fernem Dämmerflore,
Ein Pfiff ertönt, anschwellend, laut und schrill,
Und überflockt von weißem Dampfgequill
Jagt dort der Zug aus dunklem Felsenthore.
Mit glüh’nden Augen winkt die Eisenschlange
Aus einer Welt, die längst mein Fuß gemieden,
Mir flücht’gen Gruß herab vom Bergeshange;
Dann hat der Felswand Dunkel uns geschieden,
Noch klirrt es leise auf dem Schienenstrange –
Und wieder: Abendruh und Urwaldfrieden …
2.
Verborgene Schätze.
<poem>Am Morgenroth zog ich dereinst von dannen;
Der Drang zur That hieß übers Meer mich wagen
Hier, wo dem Klugsinn tausend Essen ragen,
Hofft’ ich der Jugend Ueberschwang zu bannen.
Doch ob der Träume schönste auch zerrannen,
Seit ich entfloh’n dem Rhein und seinen Sagen,
Umsonst sucht’ ich die Märchen zu verjagen,
Die mir ins Herz gerauscht die deutschen Tannen.
Nun will im Abendroth mein Tag sich neigen,
Am fremden Himmel fremde Sterne glimmen.
Was mir die Welt an Schätzen gab zu eigen,
Seh’ ich wie Rauch im Dämmergrau verschwimmen,
Und leis nur rauschen in entlaubten Zweigen
Von Glück mir noch die deutschen Märchenstimmen …
3.
Treue Freunde.
<poem>Zwei Freunde gaben freundlich mir Geleit
Vom Rheingauthal, voll Veilchenduft und Reben,
Weit übers Weltmeer durch ein wirres Leben,
Bis zu der Steppe ferner Einsamkeit.
Sie folgen mir, getreu in Freud’ und Leid,
Um das verwaiste Herz ans Licht zu heben,
Wenn trüb des Heimwehs Schatten es umweben
Im starren Banne der Verlassenheit.
Und ob ich auch Genossen viel gefunden,
Seit ich, der Heimath fern, die Welt durchzieh’,
Nie waren Freunde treuer mir verbunden,
Und was mir Liebes auch das Leben lieh,
Das Beste fand ich doch in heil’gen Stunden
Bei deutschem Lied und deutscher Poesie!
Ohio Konrad Nies.