Skizzen aus deutschem Frauenleben in fremden Zonen

Textdaten
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Autor: Hertha Ika
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Titel: Skizzen aus deutschem Frauenleben in fremden Zonen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 722–723
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Herausforderungen beim Führen eines Haushalts für nach Argentinien ausgewanderte Frauen
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Skizzen aus deutschem Frauenleben in fremden Zonen.

Ein Haushalt in Argentinien.
Von Hertha Ika.

Wanderlust war seit jeher dem Deutschen eigen. Nach allen Weltteilen ergossen und ergießen sich Ströme deutscher Auswanderer und in die fernen fremden Länder ziehen mit ihren Männern viele deutsche Frauen, um mit ihnen das ersehnte Lebensglück zu erkämpfen und das unvermeidliche Leid zu tragen. Beim Wechseln der Heimat fällt der Frau das härtere Los zu. Der Mann findet sich eher in die fremden Verhältnisse; er bleibt zumeist bei seinem Beruf, in einem ihm wohlvertrauten Wirkungskreise.

Die Frau fühlt sich doppelt fremd in der Fremde, denn zumeist ist sie gezwungen, ihren Haushalt bis in die kleinsten Dinge nach einem neuen Muster einzurichten. Man muß eine Frau sein, um fühlen zu können, was das bedeutet. Das deutsche Heim läßt sich nicht über das Meer tragen, und wenn auch in den deutschen Häusern jenseit des Oceans deutscher Geist und deutscher Fleiß walten, so ist doch die Wirtschaft eine andere, und erst nach vielen Mühen und herben Enttäuschungen pflegt sich die Ausgewanderte in die ihr völlig ungewohnten Verhältnisse zu finden.

Auch ich war einmal eine solche; auch ich habe jenseit des Oceans als deutsche Hausfrau aus bürgerlichem Mittelstande mein Haus besorgen müssen. Meine deutschen Schwestern in der Heimat werden gewiß gerne zuhören, wenn ich aus meinen Erinnerungen schöpfe und ein wahrheitsgetreues Bild eines argentinischen Haushalts entwerfe.

Die Seereise ist beendet; hinter uns liegt der weite Ocean, der uns von der Heimat trennt. Wir sind nun inmitten des bunten, uns so fremdartigen Treibens in einer argentinischen Stadt, in Buenos Aires oder Rosario, auf der Suche nach einer Wohnung. Da erlebt die deutsche Hausfrau in der Regel ihre erste Ueberraschung. Die meisten Häuser sind hier dem Klima entsprechend leicht gebaut und einstöckig; doch vergebens suchen wir unter ihnen eins, das nach unserem Sinne eingerichtet wäre. Es sind Bauten mit flachen Dächern, 8 bis 9 m Front und 70 bis 80 m Tiefe. Durch die mit einem schweren eisernen Klopfer versehene Hausthüre tritt man in den Flur, von dem aus eine Thür zu dem einzigen nach der Straße gelegenen Zimmer, der sogenannten Sala, führt. An diese Sala schließen sich nun alle übrigen Zimmer hintereinander an. Dieselben haben sämtlich Verbindungsthüren untereinander und je eine Thür nach dem Hof, die, mit Glasscheiben versehen, die Stelle eines Fensters vertritt. Dieser gemauerte Hof, Patio genannt, bildet einen wahren Reiz des argentinischen Hauses. Er ist fast in allen Fällen mit den schönsten Blattpflanzen in Kübeln, mit Rosen, Jasmin, Jelängerjelieber etc. ausgeschmückt, er ist der Tummelplatz der Kinder, die dort unter Aufsicht der Mütter im Schatten spielen können, und auch das Lieblingsplätzchen der Hausfrau, wenn sie am Nachmittag, mit einer Handarbeit oder einem Buche versehen, die Kühle genießen will.

Die Anordnung der Zimmer in dem argentinischen Hause ist fast immer dieselbe: erst kommt die bereits erwähnte Sala, dann, etwa 2 m zurückgebaut, die Antesala oder das Entree, darauf je nach der Größe des Hauses 2 bis 3 Schlafzimmer und das Eßzimmer, das den Patio abschließt. Hinter dem Eßzimmer folgen, wiederum 2 m zurücktretend, die übrigen Räume, etwa noch ein Schlafzimmer, die Vorratskammer und die Küche, von welcher außen eine Treppe zu dem über der letzteren gelegenen Mädchenzimmer führt. Ein Staket oder eine niedrige, zierlich durchbrochene Mauer schließt den durch das Zurücktreten der hinteren Zimmer gebildeten zweiten Patio ab, der aber meistens schmucklos und nur mit Ziegeln gepflastert ist, während der erste häufig grau und schwarze Mosaik oder sonst hübsche viereckige rote Ziegelplatten aufweist, mit denen auch die Hausgänge meistens ausgelegt sind, während sämtliche Thürschwellen, die nach außen führen, stets aus Marmor bestehen. Ein solches argentinisches Haus macht bei erster flüchtiger Besichtigung wohl einen gefälligen Eindruck; freilich vermißt die deutsche Hausfrau sogleich Räume, die ihr unentbehrlich scheinen, wie einen Trockenboden für die Wäsche und – den Keller. Unterkellert ist keins dieser leichtgebauten Häuser; manchmal nur zeigt der Vermieter mit großem Stolze eine versteckte Luke mitten im Eßzimmer; beim Oeffnen derselben wird ein viereckiges dunkles Loch sichtbar, das den Namen Sotano, d. h. Keller, führt. Das Loch hat etwa 1½ bis 2 m im Geviert, ist ungefähr 1 bis 2 m tief und ganz entsetzlich dumpf, da es nicht ausgemauert ist. Nach unseren Begriffen ist ein derartiger Keller natürlich unbrauchbar. Für ein solches Haus von 5 bis 7 Zimmern werden nach deutschem Gelde etwa 90 bis 150 Mark monatliche Miete verlangt.

Wir sind handelseinig geworden und beziehen unser neues Heim. Da thut vor allem eine gründliche Reinigung dringend not. Die eingeborenen Frauen sind nicht gerade fleißig und geweckt und die Dienstboten unsauber; so fehlt es auch in den Häusern nicht an Ungeziefer, für dessen Vermehrung ja das Klima des Landes sehr günstig ist. Wegen dieser Plage weisen auch die Wände der meisten Häuser keine Tapeten, sondern nur einen einfachen Wasserfarbenanstrich auf. Dafür sorgen die Argentinier durch eine andere Einrichtung für Nistplätze dieser Plagegeister. In den besseren Häusern sind die Fußböden mit festgenagelten Teppichen belegt, die höchstens bei einem Umzuge aufgenommen und gründlich gereinigt werden. Was sich darunter ansammelt und fröhlich lebt, läßt sich leicht denken.

Eine weitere Ueberraschung erlebt die Hausfrau in der Küche. Ein Glück, wenn sie jemand zur Hand hat, der die Sache schon kennt, denn mit dem Herd und dem Feuer weiß sie nicht fertig zu werden. In der argentinischen Küche ist ein gemauerter Herd vorhanden, der aber nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit den deutschen Kochöfen hat.

Es ist ein etwa 1 m breites und 2 bis 3 m langes Gemäuer, in welchem sich 2 bis 4 Vertiefungen befinden. In jeder derselben ist ein eiserner Rost eingelassen und unter diesem befindet sich eine Oeffnung zum Herausnehmen der Asche. Das Feuerungsmaterial besteht aus Holzkohlen, welche durch rasches Fächern mit einem Palmblatt, der pantalla, zu prasselnder Glut entflammt werden.

In einfachen Verhältnissen, wo die Hausfrau selbst am Herde stehen muß, sieht man sehr bald die Vorteile eines solchen Holzkohlenfeuers ein. Dasselbe verbreitet sehr wenig Hitze, was bei dem heißen Klima von großem Vorteil ist, ist sehr sparsam, da es, einmal in Brand gesetzt, lange Zeit weiterglüht, ohne auszubrennen, und sehr reinlich, da es, einmal in Glut, absolut keinen Rauch entwickelt oder gar Ruß absetzt. Einen Kuchen kann man auf diesem offenen Feuer allerdings nicht backen, weil man keinen heizbaren Bratkasten (Ofenröhre) hat, aber die Verhältnisse des Landes bedingen eine leichte, einfache Küche, und wenn man länger im Lande weilt, gewinnt man auch der argentinischen Küche Geschmack ab, wo alle Gerichte schnell auf offenem Feuer zubereitet werden. Wenn man nicht zu anspruchsvoll ist, nicht zu sehr am Althergebrachten hängt, kann man in Argentinien ganz gut leben, sogar als Hausfrau des Mittelstandes bequemer als in Deutschland. Bäcker, Milchmann, Metzger und Kolonialwarenhändler kommen jeden Morgen vorgefahren und fragen nach den Wünschen ihrer Klienten. Ambulante Gemüse- und Obstverkäufer bieten täglich ihre Waren an den Thüren feil und die schönsten Flußfische werden frühmorgens von flinken Italienern ausgetragen, die hier namentlich als Händler fungieren. Das Fleisch ist prachtvoll und außerordentlich billig, da Argentinien einen ungemeinen Reichtum an Rindvieh-, Schaf- und Schweineherden besitzt.

In Zucker eingekochte Früchte, namentlich Pfirsiche, Feigen und Birnen sowie Quitten, werden in Mengen gegessen, die einer deutschen Hausfrau anfangs ganz unglaublich vorkommen. Sehr bald jedoch wird sie den Verhältnissen des Landes Rechnung tragen, wenn sie einigermaßen praktisch ist, und ihren Küchenzettel dem Klima anpassen, welches kräftige, leichtverdauliche Kost und sehr wenig erhitzende Gewürze vorschreibt. Ein Mittagessen nach deutscher Art wird zu kostspielig und die Bestandteile eines solchen sind in manchen Fällen gar nicht zu haben. Kartoffeln z. B. sind verhältnismäßig sehr teuer (das Kilo kostet 15 bis 20 Pfennig) und verschwinden deshalb als Ergänzung der Gemüse, wofür sie in Deutschland so beliebt sind. Statt dessen wird viel Brot gegessen, welches schön weiß, kräftig und schmackhaft ist. Auf Obstsuppen muß die Hausfrau auch verzichten, denn Heidel- und Kronsbeeren wachsen nicht in Argentinien, ebenso würde sie dort Johannistrauben, [723] Stachelbeeren und Himbeeren vergebens suchen. Vereinzelt kommen Kirschen vor, Erdbeeren dagegen giebt es in Hülle und Fülle, allerdings nicht im Walde, sondern in wohlgepflegten Anlagen. Das hauptsächlichste Obst sind Pfirsiche, die in großen Wäldern angepflanzt werden, und Trauben, während Birnen und Aepfel aus Uruguay, namentlich von Montevideo, importiert werden. Bananen und Feigen wachsen hier ebenfalls, haben jedoch nicht soviel Aroma wie in Brasilien, und Orangen kann man um geringen Preis das ganze Jahr haben. Im großen und ganzen lebt und ißt man kräftiger und besser als in Deutschland, wenn auch viel einfacher. Und doch ist das Leben in Argentinien nicht billig. Was es hauptsächlich verteuert, sind die Arbeitslöhne. Alle Handwerker, zumeist eingewanderte Europäer, lassen sich ihre Arbeiten sehr teuer bezahlen. Zu Umänderungen an Kleidungsstücken[WS 1], Reparaturen des Schuhwerks, zum Aufpolieren von Möbeln entschließt man sich darum äußerst schwer, weil neues nicht viel mehr kostet und besser aussieht. Eine Argentinierin bessert kein Leinenzeug aus, ebensowenig versteht sie Strümpfe zu stopfen oder zu stricken, und im Laufe der Zeit nimmt wohl auch die deutsche Hausfrau etwas von der Gleichgültigkeit und dem Sichgehenlassen ihrer südländischen Mitschwester an, weil das Klima eben dazu herausfordert.

In Deutschland arbeitet die Hausfrau am meisten an den gemütlichen langen Winterabenden im wohldurchwärmten Zimmer. In Argentinien kennt man die Annehmlichkeit geheizter Räume nur in sehr beschränktem Maße, da meistens nur ein Zimmer, gewöhnlich das Eßzimmer, sich einer Vorrichtung zum Heizen erfreut. Dieselbe besteht in einem offenen englischen Kamin, der bekanntlich den Davorsitzenden röstet, während die Entfernteren vor Frost schaudern. Es wird ja nun nicht sehr kalt in Argentinien, da das Thermometer fast nie auf den Gefrierpunkt sinkt, doch macht sich hier ein geringer Wärmegrad weit unangenehmer fühlbar, weil der Körper durch die große Sommerhitze viel empfindlicher wird. Wenn daher im Juni, Juli und August die kalten Winde wehen und das abscheuliche Regenwetter eintritt, geht die ganze Familie spätestens um 10 Uhr zu Bett, das den besten Schutz gegen alle Ungemütlichkeiten der Witterung gewährt. Im Sommer denkt man erst recht nicht viel an Stricken oder sonstige Handarbeiten in den Mußestunden. Wenn die Hausfrau bei +28 bis 30° Réaumur im Schatten die Kinder besorgt, die Zimmer gesäubert und die Mahlzeiten gekocht hat, ist sie in der Regel so müde und abgespannt, daß sie gern am Abend ausruhend im halbdunklen Patio sitzt, wo wenigstens hin und wieder ein Luftzug die heiße Stirne kühlt, während im Zimmer eine unerträgliche Schwüle herrscht und ein Schwarm Mosquitos, vom Licht angezogen, seinen Rundtanz um die Lampe aufführt.

Unter diesen Umständen ist eine deutsche Hausfrau in Argentinien auch gar nicht so sehr erpicht darauf, die in Deutschland vor allen großen Feiertagen üblichen Scheuerfeste zu feiern. Das im allgemeinen trockene Klima bedingt viel Staub, der beim geringsten Winde durch alle Ritzen dringt und sich überall festsetzt, bei heftig bewegter Luft aber alle Möbel und Geräte mit einer dicken Staubschicht bedeckt, so daß eine einigermaßen ordentliche Hausfrau Tag für Tag gründlich säubern lassen muß. Auch große Wäsche wird in den wenigsten Fällen abgehalten.

Es ist im allgemeinen Sitte, täglich die angesammelte Kinder-, Küchen- und Wollwäsche auszuwaschen, da dieselbe bei dem eigentümlichen Klima ein Aufbewahren in schmutzigem Zustande nicht verträgt. Größere Stücke an Leib-, Bett- und Tischwäsche übergiebt man ebenso wie die Stärkewäsche den Waschanstalten, welche dieselbe erstaunlich schnell und billig waschen und plätten, und zwar beides ganz vorzüglich. Auf dem Lande übernehmen Wäscherinnen dieses Geschäft, aber niemals im Hause, sondern stets in ihrer Wohnung oder am Fluß.

Die argentinischen Dienstmädchen mögen nicht allzuviel arbeiten, sind aber, hiervon abgesehen, bei richtiger Behandlung stets willig und dienstbereit. Sie nehmen mit der einfachsten Kost, dem bescheidensten Lager vorlieb und sind namentlich von einer rührenden Anhänglichkeit an die Kinder des Hauses, welche sie ganz ausgezeichnet zu unterhalten und zu beschäftigen wissen. Ausdauernd sind sie dagegen leider gar nicht, und gar leicht wird ihnen regelmäßige tägliche Arbeit zu viel. Wenn sie 6 bis 7 Monate auf einer Stelle gewesen sind, fühlen sie plötzlich das Bedürfnis, sich wieder einmal einige Zeit dem dolce far niente hinzugeben, und gestehen dies der Señora in naivster Weise ein. Kein Zureden hilft, sie warten im besten Falle, bis man anderweitig Hilfe gefunden hat, oder lassen auch die Hausfrau in der größten Arbeit sitzen. In Argentinien besteht nämlich beim Dingen von Dienstboten keine gesetzliche gegenseitige Kündigungsfrist. Man kann ein Dienstmädchen ohne Angabe stichhaltiger Gründe von einem Tage zum andern entlassen, anderseits können Dienstboten eine mißliebige Herrschaft ebenso behandeln, wobei die letztere in den meisten Fällen viel schlimmer wegkommt, da Dienstboten dort im Lande sehr gesucht sind und teuer bezahlt werden. Gute Köchinnen erhalten 40 bis 70 Mark monatlich, Stubenmädchen und „Mädchen für alles“ 25 bis 35 Mark, Kindermädchen von 10 bis 14 Jahren bereits 10 bis 20 Mark, und deutsche Dienstboten machen meistens noch größere Lohnforderungen.

Das sind die eigenartigen Verhältnisse, in welche viele deutsche Frauen jenseit des Oceans auf Argentiniens Boden sich schicken müssen.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Keidungsstücken