Skizzen aus dem Zollparlament/3. Süddeutsche Charakterköpfe

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Titel: Süddeutsche Charakterköpfe
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 382-384
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Teil 3 der Skizzen aus dem Zollparlament, Süddeutsche Charakterköpfe (2)
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Skizzen aus dem Zollparlament.
3. Süddeutsche Charakterköpfe.
Der süddeutsche Leo. – v. Schlör und Dr. Carl Barth. - Dr. Marquard Barth und die bairische Fortschrittspartei, Benzino und Jordan -

Feustel und Crämer-Dos. - Dr. Joseph Völk. - Die Badenser: Roggenbach. - Bluntschli. - Die Schwaben: Tafel - Probst - Oesterlen -

Mohl - Baihinger - Mittnacht.


Das weit größere Interesse, das man in dem Zollparlamente für den anderen nicht minder streitbaren ultramontanen Großdeutschen aus Baiern, den Dr. Johann Nepomuk Sepp hegte, den Professor an der Universität München, den Schüler Schelling’s und Görres’, den Mann, der, so lange er schreibt, gegen die Aufklärung in Worten, Thaten und Werken zu Felde zieht, zuerst, gegen Strauß, jetzt gegen Renan, den Mann, der einst das Staatsverbrechen beging, sich vom Katheder der Geschichte herab gegen die Premierschaft der Lola Montez aufzulehnen, und deshalb in seine heimathlichen Gefilde an der Ober-Isar „verwiesen“ wurde, den Mann, der weite Reisen in den Orient gemacht bis zum heiligen Grabe, in der Paulskirche saß, und reiche Schätze altitalischer und altdeutscher Maler besitzt in seinem gothischen Prachthause in München, kurz für den süddeutschen Leo, dieses Interesse hat er schwer getäuscht. Er hat nur sein interessantes Gesicht leuchten lassen über der Versammlung, nicht aber das Silber seiner Rede.

Von den reichen Talenten, die dem Minister Hohenlohe der Gesinnung und politischen Stellung nach am nächsten, von den v. Luxburg, v. Guttenberg, v. Schlör, Dr. Carl Barth u. A. sei den letzteren Beiden ein verdienter Blick gewidmet, v. Schlör ist in seinem Aeußern, seinen Reden und Abstimmungen ein würdiges Spiegelbild seines reichen braven Lebens. Er hat sich als Beamter, Anwalt, Eisenbahndirector tüchtige praktische Erfahrungen, namentlich in wirtschaftlichen Dingen geholt, ist für das deutsche Einigungswerk in der Paulskirche zu Frankfurt thätig gewesen und gegenwärtig baierischer Minister des Handels und der öffentlichen Arbeiten. Schlör ist von mittlerer Größe, breiten Schultern; fremdartig erscheint auf den ersten Anblick der dunkelbraune Teint, die blauschwarzen Haare, die buschigen Brauen, der volle schwarze Schnurrbart. So von weitem gesehen hat sein Gesicht slavischen Typus; aber das ehrliche feste Auge zeigt das deutsche Gemüth, die deutsche Energie. Schlör hat im Zollparlament wiederholt, namentlich, der Einzige unter den Süddeutschen, für die Tabaksteuer, unter großer Aufmerksamkeit und lebhaftem Beifall des Hauses gesprochen.

Wer das charakteristisch-wulstige Gesicht des Dr. Carl Barth gesehen, wird es nie vergessen. Wer ihm in das herzliche tiefe Auge gesehen, wird aber auch die Bedeutung des Mannes, auch seine dichterische Begabung wohl begreifen, wenn er auch sonst nicht wüßte, daß er daheim in Augsburg ein gesuchter Anwalt, einer der besten Vertheidiger des Landes und als Abgeordneter der bayerischen Kammer durch seine Reden für den Zollverein und das allgemeine Wahlrecht, wie durch seine langjährige Mitgliedschaft des deutschen Abgeordnetentages in den weitesten politischen. Kreisen Deutschlands rühmlichst bekannt ist. Im Zollparlament ist Barth’s Thätigkeit mehr den Berathungen vor dem Plenum, die für die Beschlüsse des Hauses entscheidend sind, als denen im Plenum gewidmet gewesen.

Noch bekannter ist sein älterer Bruder Dr. Marquard Barth, unter den Vorkämpfern für deutsche Einheit und Freiheit mit Recht genannt. Er gehörte mit zu jener denkwürdigen Deputation, die dem Könige von Preußen die deutsche Kaiserkrone anbot. Einer der Männer von Gotha, sah er doch nicht wie seine politischen Freunde der Fortbildung Deutschlands vom Standpunkte eines überlebten Doctrinarismus aus mit verschränkten Armen zu. Vielmehr stellte er sich, sobald er 1855 in die bairische Volkskammer gewählt wurde, an die Spitze der Opposition und zog ein tüchtiges Geschlecht bairischer Kämpfer für Volksfreiheit, die bairische Fortschrittspartei, heran. Seine gediegene juristische Bildung machte ihn fortan zum stereotypen Referenten über alle neuen Gesetzentwürfe, an denen Baiern in dem letzten Jahrzehent so reich ist. Augenblicklich arbeitet er an einer neuen Civilproceßordnung für Baiern. Wie sein Bruder ist er Mitbegründer und bis 1866 Mitglied der deutschen Abgeordnetentage gewesen.

Es ist keine Frage, daß die bairische Fortschrittspartei dem Zollparlament aus Baiern die größte Fülle von Talenten, die bedeutendsten Redner zugeführt hat. Hierher zählen die Pfälzer Benzino und Jordan, „der Riese von Deidesheim“, wie er im Vorparlament genannt ward seiner enormen Größe halber, damals schon ausgezeichnet durch seine maßvolle Haltung, seither als Mitglied der bairischen Kammer, namentlich aber als Bürgermeister seiner Heimath, als langjähriger Präsident der pfälzischen Handelskammer und Mitglied des Ausschusses des deutschen Handelstages, von großem Verdienst. Hierhin gehören der reichgebildete, feurige Rechtsanwalt Erhard aus Nürnberg, der tüchtige Rechtslehrer und Professor von Erlangen Marquardten, der liebenswürdige Schriftführer Schenk von Stauffenberg, die Industriellen Jansen und Pfretzschner, der alte Burschenschafter, der seit dem Frankfurter Attentat mit kurzen Unterbrechungen bis 1839 in Untersuchungshaft verbrachte und durch die groben Maßregelungen, die seiner gelehrten Ausbildung in den Weg gestellt wurden, zur Begründung seiner industriellen Carrière gezwungen ward; dann die beiden Parvenus im edelsten Sinne des Wortes, Feustel und Crämer-Doos, die sich durch ihre Begabung und ihren redlichen Fleiß aus armen Knaben mit einfacher Volksschulbildung, gestählt durch die Schule des Lebens und in ihrem Wissen bereichert durch harte Erfahrung und den edeln Wissensdurst, der den müden Körper noch zum Lernen zwingt, heraufgearbeitet haben, Jener zum Chef eines Bankhauses in Bayreuth, Dieser zum Besitzer der großen Fabrik in Doos, in die er einst als gewöhnlicher Arbeiter eingetreten. Feustel ist in der bairischen Kammer stehender Referent über Handelsverträge, Crämer-Doos über Eisenbahnverhältnisse; so sehr erkennt die Versammlung ihr sicheres Urtheil, ihr reiches Wissen an. Auch im Zollparlament sind Beide wiederholt mit Beifall gehört worden; namentlich zählt die Rede Feustel’s über die Gefahren, die der österreichisch-deutsche Handelsvertrag der deutschen Leinengarnzwirnerei bereite, zu dem Besten, was dort über Wirthschaftliche Fragen gesprochen worden ist.

Alle seine Landsleute aber überragt an Gewalt, Feuer und Feinheit der Rednergabe der Augsburger Rechtsanwalt Dr. Joseph Völk. Er ist eine jener Gestalten titanenhafter ungebrochener Urkraft mit seinem kurzen Nacken, seiner breiten Brust, seinem gedrungenen aber elastischen Körper, seinem mächtigen Haupt- und Barthaar, seiner übergewaltigen Bruststimme, wie sie nur das Jahr 1848 in größerer Anzahl im Frankfurter Parlament zu vereinigen vermochte. Im Zollparlament hat Völk kaum seines Gleichen. Aeltere Männer sagen, er habe in seiner Gestalt, seiner Stimmfülle und Redegabe und der zugleich staatsmännisch-maßvollen und gefühlswarmen Art seines Vortrags viel Aehnlichkeit mit Robert Blum. Die Gunst der Zeiten vergönnt ihm, seine Ideale bestimmter und mit mehr Aussicht auf Erfolg den Herzen seiner Hörer nahe zu führen, als es vor zwanzig Jahren der Führer [383] der Linken in der Paulskirche vermochte. In der bairischen zweiten Kammer erscheint er seit 1855 als Wortführer in allen Fragen von deutscher und europäischer Bedeutung und als der Parteiredner für die deutsche Frage. Auch er ist langjähriges Mitglied des deutschen Abgeordnetentages. Im Zollparlament steht er mit seinen Freunden zwischen den Nationalliberalen und der preußischen Fortschrittspartei und stimmte gegen den Uebergang zur einfachen Tagesordnung über die Adresse.

Noch lange werden die Badenser in dem Freiherrn Franz von Roggenbach die Erinnerung an die Tage verkörpert sehen, da Baden in den Reactionsjahren nach 1848 zuerst unter den deutschen „Staaten“ sich seines alten Ruhmes entsann: den Deutschen voranzuleuchten als ein Muster constitutioneller Regierung und, was noch höher zu schätzen, als das Land einer rein deutschen, auf Preußens Führung gerichteten Politik. Ueber sein Leben und Wirken bis zum Jahr 1863 verweisen wir unsere Leser auf die Gartenlaube jenes Jahres. Es ist bekannt, daß er zwei Jahre später seinen Ministerposten freiwillig aufgegeben und mit einer öffentlichen Erklärung beim Ausbruch des Krieges die geliebte Heimath verlassen, alle erneuten Anerbietungen aber, in den preußischen Staatsdienst und nach dem Kriege wieder in einen badischen Ministerposten oder die badische Kammer einzutreten, abgelehnt hat. Dagegen hat er die Wahl seiner engsten Heimath, des Wiesenthals, die er mit dem Dichter Hebel gemein hat, zum Zollparlament angenommen. Mit Unrecht wird Roggenbach zu denen gerechnet, die jetzt schon den Eintritt Badens in den Norddeutschen Bund unbedingt verlangen. In seiner Heimath kennt man in ihm den Vertreter einer besonnenen, abwartenden Anschlußpolitik. Der von ihm unterzeichnete Antrag auf Uebergang zur motivirten Tagesordnung über die von den Nationalen eingebrachte Adresse hat diesen Standpunkt Roggenbach’s auch vor Deutschland klar ausgesprochen. Leider sollte es seine einzige Leistung im Zollparlament sein. Eine Depesche rief ihn an das Krankenlager seiner hochbetagten edeln Mutier, das ihr Sterbelager sein sollte. Vom Grabe der Mutter kehrte er noch in den letzten Tagen des Zollparlaments wieder zu seinen Pflichten als Abgeordneter zurück.

Wie ganz anders der Mann, der neben Roggenbach sitzt, der berühmte Professor des deutschen Staats- und Privatrechts in Heidelberg, Geheimrath Bluntschli! Seine Züge, sein bartloses, scharfgeprägtes, von vielen charakteristischen Falten durchzogenes Gesicht, das ruhige prüfende Auge, der feine, geschlossene, häufig lächelnde Mund, der eminent geistvolle und doch zugleich behäbige Ausdruck des Ganzen bekunden, daß der große Gelehrte nicht nur deutscher Professor gewesen ist. Noch mehr erinnert die etwas beleibte Gestalt in ihrer nachlässig vorgebeugten Haltung, die lebhaften, fast derben Handbewegungen, vor Allem der entschieden schweizerische Accent an seine Zürcher Abstammung. Man sieht dem Manne seine sechszig Jahre nicht an. Und in der That folgt er der Entwickelung der deutschen Dinge mit demselben Feuergeiste, mit dem er sich vor achtunddreißig Jahren in die Reformbewegung der Schweiz warf, immer mit dem vergeblichen Streben, eine Mittelpartei zwischen den conservativen und radicalen Extremen zu schaffen.

Nach vielbewegter und bedeutender öffentlicher Wirksamkeit als Staatsmann sehen wir ihn in den gegenwärtigen politischen und volkswirthschaftlichen Parteibestrebungen unter den entschiedensten Gegnern eines süddeutschen Sonderbundes, unter den wärmsten Verfechtern eines sofortigen Anschlusses Badens an den Norddeutschen Bund daheim und im Zollparlament. Er hatte die – übrigens sehr harmlose – Metz’sche Adresse mitunterzeichnet. Er war der nach der Geschäftsordnung einzige Redner, der gegen den Antrag auf einfache Tagesordnung das Wort ergreifen durfte, und in meisterhafter Weise sprach er über die höchsten Fragen deutscher Nation, über die Stimmung der süddeutschen Stämme im Gegensatz zu der der Regierungen, die allerdings theilweise sehr andere Wünsche hegen, als die Verwirklichung der deutschen Staatseinheit.

Wer die Rede gelesen, wird gestehen, daß sie zu den besten Mustern deutscher Beredsamkeit zählt. Wer sie hörte, hatte nicht die volle Empfindung ihres Werthes. Bluntschli spricht so langsam, als ob man nachschreiben müsse; das hat er vom deutschen Professor. Er ist aber auch gewöhnt, bei Unterbrechungen, die ihm der Anstand seiner ultramontanen Feinde aus Baiern, Schwaben und Baden sehr ungenirt zu Theil werden ließ, das zuvor Gesagte zu wiederholen, oder mit dem schweizerisch accentuirten Rufe: „Ja wohl, ja wohl!“ zu bestätigen, woran der Norddeutsche nicht gewöhnt ist. In Baden soll Bluntschli auch in Volksversammlungen beliebter Redner sein; jedenfalls ist er durch den Glanz seines Namens, sein eminent ruhiges klares Urtheil und seine hohe Begabung eine der größten Zierden des Zollparlaments.

Den beiden Genannten gegenüber werden wir auch die übrigen deutsch- und römischgesinnten Abgeordneten aus Baden in einem nachträglichen Artikel zur Darstellung bringen, um uns hier sogleich den Vertretern des Schwabenlandes zuzuwenden. Denn einen bedeutenderen Eindruck, als die badischen, machen die „Großdeutschen“ oder, wie sie sich nennen, „großdeutschen Demokraten“, die Würtemberg zum Zollparlament gesandt hat: Oesterlen, Probst, Tafel, Erath, Freisleben, Ammermüller und die der Richtung nahestehenden Schäffle und Bayhinger. Im Gegensatz zu den badischen Großdeutschen mit ihrem Bündniß zwischen Radicalismus und Ultramontanismus ist nämlich bei den Würtembergern die warme Ueberzeugung von der Wahrheit und Richtigkeit ihres politischen Glaubensbekenntnisses nicht zu verkennen. Sie hatten das Unglück, aus einem Wahlkampf hervorgegangen zu sein, der an wilder Leidenschaft, an gegenseitigen Anschuldigungen, an häßlichen Mitteln der Wahlbeeinflussuug, an den gröbsten, lästerlichsten Schimpfreden gegen Norddeutschland und Preußen kaum noch in dem Wahlkampf zwischen Bamberger und Dumont in Mainz seines Gleichen sah. Daher wurden sie bei ihrem Eintritt in’s Zollparlament von mindestens zwei Dritttheilen der Mitglieder als die geschworenen Feinde des Norddeutschen Bundes, des deutschen Gesammtstaats überhaupt, angesehen. Bewiesen nun auch ihre verschiedenen Abstimmungen, daß man sie im Ganzen durchaus nicht unrichtig beurtheilte, wenn man sie für unversöhnliche Gegner der durch das Jahr 1866 geschaffenen Zustände und jeder Erweiterung der Zollvereinsverträge hielt: so errangen sich dagegen ihre Personen die Achtung aller Parteien des Hauses. Daß sie ihren Standpunkt mit Geschick, aus innerer Ueberzeugung und nur aus dieser vertraten, daß sie nach ihrer Weise deutsch dachten, daß ihre Ehrenhaftigkeit und Bravheit über jedem Zweifel erhaben sei, das war die Allen gemeinsame Empfindung bei der persönlichen Bekanntschaft mit diesen Männern.

Hier das ehrwürdige weiße Haupt des ältesten Süddeutschen, des Rechtsanwalts Tafel aus Stuttgart, des ewigen Jünglings, wie seine Freunde ihn nennen, der mit seinen siebenundsechszig Jahren in vierzehn Tagen sechsundzwanzig Wahlreden gehalten hat. Im Zollparlament hat er dafür stets geschwiegen, wie der Feldherr der Seinen von seinem Platze aus die Taktik seiner Truppen ordnend. Diese Taktik war allerdings nicht immer eine sehr glückliche. Namentlich verdarb sie der Abgeordnete Probst am 18. Mai durch die Heftigkeit, mit der er die gerade von den „Schwaben“ gern vermiedene Debatte über die deutsche Frage hervorrief. Das Verhalten der Würtemberger an diesem Tage führte zu ihrer dauernden Isolirung. Probst ist über Mittelgröße, schlank, einundfünfzig Jahre alt, mit graublondem Kinnbart und einem Gesicht, in dem sich viel Welterfahrung und feine Beobachtung, stets aber, wenn er von der Tribüne redet, die unangenehme Empfindung ausspricht, daß er an eine große Majorität gegnerischer Anschauungen sich wendet. Dieses Gefühl schien seine Rede sehr häufig zu beherrschen; er sprach dann unsicher, fast verlegen, er hielt ein advocatorisches Plaidoyer für den und jenen Paragraphen des Zollvereinsvertrags, schützte die Einrede der Inkompetenz vor, ließ manchmal auch eine Replik und Duplik einfließen, kurz behandelte die deutsche Frage nach der Schablone eines gemeinen Civilprocesses.

Es ist schade, daß Oesterlen, der von seinen Landsleuten wohl als der begabteste Redner mit Recht genannt wird, nur einer Berliner Volksversammlung, niemals aber dem Zollparlament die Ehre seines Auftretens in einer wichtigen, und namentlich in der deutschen Frage vergönnt hat. Er ist neunundvierzig Jahre alt, wie Probst Advocat in Stuttgart. Nur aus der Ferne vermochten wir uns seinen markigen Kopf zu betrachten.

Wie Erinnerungen aus längst vergangenen Tagen gemahnte es uns, wenn die würtembergischen Schutzzöllner Mohl und Vayhinger das Wort ergriffen. Es schien dann, als ob alles das, was seit den Zeiten List’s in Deutschland gegen die schutzzöllnerischen Theorieen List’s geschrieben und geschehen, als ob die herrliche Entwickelung unseres Handels, unserer Industrie, die [384] wir der schrittweisen Annäherung zum Freihandelssysteme im Anschluß an die westeuropäischen Culturstaaten, den Handels- und Schifffahrtsverträgen mit diesen verdanken, für diese beiden würtembergischen Obersteuerräthe in und außer Diensten nicht vorhanden sei, wobei, um Irrthümer zu vermeiden, bemerkt werden mag, daß Mohl außer Dienst, Vayhinger im Dienst ist. In Würtemberg gelten sie Beide für die Vertreter der einzig richtigen Nationalökonomie. Im Parlament hatten sie ein sehr entgegengesetztes Schicksal. Sie hatten das Höchste erreicht, wenn es ihnen gelang, während ihrer Reden den Ernst des Hauses zu bewahren. Vayhinger hatte noch den leichteren Standpunkt, er hat über ein ungewöhnliches interessantes Aeußere zu verfügen. Seine Haare sind ungescheitelt nach hinten gekämmt und hängen unordentlich, lang gewachsen tief in den Nacken. Durch die Brille blitzt ein lebendiges Auge, die Nase ist für diese groben Gesichtsmassen verhältnißmäßig fein, der Mund ungewöhnlich groß und beweglich, Backen und Kinn sind mit einem ansehnlichen sogenannten Demokratenbart bewachsen, die Kleidung ist nicht gerade gewählt, die Gestalt groß, beleibt, die Sprache hastig, dem schwäbischen Dialect unter allen am meisten fröhnend.

Moritz Mohl hat ein ungewöhnliches Aeußere. Er ist unter Mittelgröße, steif, pedantisch von Bewegungen, in einen braunen, unmodischen Rock gekleidet, wie es dem alten Junggesellen ziemt. Sein Gesicht ist mumienhaft vertrocknet, die Backenknochen vorstehend, die Augen klein, blaßblau, wehmüthig zum Himmel gerichtet. Auf der Oberlippe trägt er einen völlig weißen, nach unten zu immer dicker werdenden Schnurrbart, am Kinn einen kurzen, weißen Henri quatre, auf dem Haupt eine braun-olivengrüne Perrücke, die die Stirn bis auf ein kleines Dreieck fast vollständig bedeckt. Mit diesem provocirenden Aeußeren, an das man sich erst gewöhnen muß, tritt er auf die Tribüne und läßt die alten Schlagwörter der ältesten Schutzzolltheorien rinnen. Mit neuen statistischen vermeintlichen Beispielen versehen, weissagt er dann von der Herabsetzung der Lumpenzölle den Untergang der deutschen Industrie und den Hungertod Hunderttausender, wie er ihn einstmals für Würtemberg vor dem Eintritt Würtembergs in den Zollverein weissagte. Das Eine ist Mohl nicht abzusprechen, große Gelehrsamkeit – sein Bericht über den preußisch-französischen Handelsvertrag betrug siebenundachtzig Druckbogen, aber er wurde erst nach Annahme des Vertrages fertig.

An Barnbüler’s der Lesewelt bekannter Gestalt vorübergehend, wenden wir uns zum Schluß zu dem besten Redner der Würtemberger, zu dem würtembergischen Justizminister Mittnacht. Am schärfsten zeigte er sich, als er die schwierige Aufgabe zu lösen hatte, die würtembergische Regierung gegen die Beschuldigung eines von dem norddeutschen abweichenden Wahlgesetzes und unerlaubter Wahlbeeinflussungen zu vertheidigen. Hätte er allein die Vertheidigung führen dürfen, ohne die gefährliche Beihülfe des Herrn v. Barnbüler, der Sieg des Tages wäre vermuthlich auf seiner Seite gestanden. Tiefe Stille lag auf dem Hause, als Mittnacht damals unter die Tribüne trat, vor die Bänke des Centrums, hinter ihm dichtgedrängt die Baiern und Würtemberger, sein Gesicht den Nationalen zugewendet und hier mit wunderbarer Kühnheit und Fertigkeit die unhaltbare Sache des Herrn v. Barnbüler vertheidigte, und dann wieder, als er die vom Abgeordneten Braun behaupteten Thatsachen in Abrede stellte, oder höhnisch mit den Wahlbeeinflussungen Preußens verglich, bis ihm dann Barnbüler in seiner edeln Dreistigkeit die ganze Partie verdarb. Auch Mittnacht ist nur wenig Tage geblieben, aber er hat den Eindruck hinterlassen, daß er das größte Talent, der beste Redner ist, den Würtemberg gesandt hat. Er ist, bis auf seinen niedergeschlagenen, oder den Gegenstand seiner Rede hastig und scheu streifenden Blick ein hübscher Mann zu nennen. Mittnacht ist von mäßiger Größe, hat eine bedeutende Stirn, vortreffliche, lebhafte Gesichtsfarbe, einen oratorischen Mund, einen starken, kurzgehaltenen, blonden Vollbart um Kinn und Wangen. Er spricht stets mit einer Anzahl Papieren in der Hand, laut, scharf, an Pausen des Beifalls gewöhnt.