Sieben Predigten in Nürnberg zu St. Aegydien (2. Auflage)/Vorwort
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Sofern, was hier geäußert ist, wider die gewohnte und beliebte Rednerweise unsrer Tage anläuft, möchte es durch Vergleich folgenden Stücks aus Fenelons anderem Gespräch von der Beredsamkeit Nachdruck erhalten, – desto mehr, weil es die weltberühmten Redner der alten Heiden und ihre Weise gegenüber der neuen Weise zeigt:
- „Was gab man denn vor Alters einer Rede für eine Form oder Gestalt? – – Ich will es euch bald sagen: man theilte eine Rede nicht ein, sondern man unterschied darin alle Dinge, welche nöthig hatten, unterschieden zu werden, mit gehöriger Sorgfalt. Man eignete einer jeden Sache ihre rechte Stelle zu, und man untersuchte gar fleißig, an welchen Ort man jegliche Sache setzen sollte, um sie zu kräftigem Eindruck desto geschickter zu machen. Oftmals würde eine Sache eben so viel, als Nichts geachtet worden seyn, wenn man sie bald anfangs gesagt hätte; allein sie bekommt die Kraft eines endlichen Ausspruchs, wenn sie auf| einen andern Ort verspart wird, wo der Zuhörer schon durch andere Dinge vorbereitet ist, ihre ganze Stärke und Nachdruck zu empfinden. Oftmals setzt ein einziges Wort, welches seinen Platz recht glücklich gefunden hat, die Wahrheit in ihr völliges Licht. Man muß zuweilen eine Wahrheit bis zum Ende der Rede gleichsam verhüllt lassen. Dieses versichert und lehrt uns Cicero. Es muß sich überall eine ganz genaue Verbindung der Beweisgründe finden: der erste muß den Zuhörer immer zu dem andern vorbereiten, und der andere den ersten gleichsam unterstützen. Man muß bald anfangs die ganze Materie überhaupt vorzeigen und den Zuhörer durch einen sittsamen und einnehmenden Eingang, wie auch durch eine fromme und aufrichtige Art, die sich in allen äußerlichen Manieren und Geberden zeigt, liebreich gewinnen. Hernach stellt man die Grundsätze fest, hierauf bringt man die Facta oder Thaten auf eine schlichte, deutliche und begreifliche Weise vor, indem man sie auf die Umstände gründet, deren man sich bald hernach wird bedienen müssen. Aus den Grundsätzen oder besondern Geschichten zieht man die Folgen heraus; und muß man die Beweisrede dergestalt ordnen, daß alle Gründe einander die Hand bieten und helfen, damit sie leichtlich behalten werden. Man muß die Sachen so einrichten, daß die Rede immerfort wächst und zunimmt, und der Zuhörer je mehr und mehr das Gewicht der Wahrheit fühlt. Alsdann muß man mit den lebhaften Abbildungen und Bewegungen, welche geschickt| sind, die Gemüthsleidenschaften zu erwecken, völlig herausrücken; zu dem Ende muß man die Verbindung, welche die Gemüthsleidenschaften untereinander haben, wohl verstehen, nämlich diejenigen, die man gar bald und viel leichter, als andere erwecken kann, und die zur Erregung der andern dienen können; endlich auch diejenigen, welche die größte Wirkung thun können, und mit welchen man die Rede schließen muß. Es ist oftmals gar bequem, zum Ende eine Recapitulation oder kurze Wiederholung des Inhalts zu machen, die da in wenig Worten die ganze Kraft des Redners zusammenfaßt, und das Allerbeweglichste, was er gesagt hat, wieder vor Augen stellt. Im übrigen muß man diese Ordnung nicht gar zu genau immer auf einerlei Art beobachten. Eine jegliche Materie hat ihre Ausnahme und auch ihre Eigenschaften. Hiezu kommt noch dieses, daß man auch selbst in der Ordnung eine fast unendliche Varietät oder Veränderung ausfinden kann. Diese Ordnung, die uns ungefähr so von Cicero ist angezeigt worden, kann nicht, wie ihr selbst sehet, in einer Rede, welche in drei Theile zerschnitten ist, richtig gehalten, noch in einem jeglichen Theil insonderheit beobachtet werden. So wird denn freilich eine Ordnung erfordert; aber eine solche Ordnung, die man nicht gleich beim Anfang der Rede den Zuhörern verheißt und entdeckt. Cicero sagt, es sey fast allezeit am besten, sie zu verstecken und den Zuhörer dahinzuführen, ohne daß er es gewahr werde. Ja, er sagt wohl gar mit ausdrücklichen| Worten (denn ich entsinne mich derselben gar wohl), daß ein Redner die Ordnung verstecken soll, auch sogar bis auf die Zahl seiner Beweisgründe, dergestalt, daß man sie nicht zählen könne, ob sie schon an und für sich unterschieden seyen, und daß man keine deutlich angemerkte Eintheilung der Rede solle sehen lassen. Allein die Plumpheit der letzten Zeiten ist so groß worden, daß man die Ordnung in einer Rede nicht erkennt, es sey denn, daß derjenige, der sie hält, bald bei dem Anfang den Zuhörern davon Nachricht gebe und sich bei einem jeglichen Punkte aufhalte.“
Die oben geäußerten Gedanken über das Predigen werden es glaublich machen, daß der Verf. alleine dem Wunsche des Verlegers nachgab, wenn er die nachfolgenden, allerdings sehr geringen Arbeiten dem Drucke wieder überließ. Es steht indeß in der Hand des HErrn, auch das Geringste und Verächtlichste zu erwählen, um da oder dort an einer Seele im Verborgenen Barmherzigkeit zu üben und Ehre Seines Namens einzulegen.
Friede mit dem Leser!
B. 4. Junius 1836.
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