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Autor: J. F.
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Titel: September-Scenen
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aus: Die Grenzboten (1841/1842), 1. Jg., Band 1, S. 37–45
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Erscheinungsdatum: 1841
Verlag: Herbig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Band 1: SUUB Bremen = Commons
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September-Scenen.
Die vier Tage.


Als vor 11 Jahren im Juli die Pariser durch einen kurzen Kampf sich nach ihrer Meinung die Freiheit erobert hatten, da fand das Waffengeräusch ein willkommenes Echo in den Staaten des südlichen Niederlandes. Lang getrennte Feinde reichten sich in gleichem Hasse gegen den Selbstherrscher und Andergläubigen die Hände; ein viertägiges Gefecht schnitt die bisherige Ordnung auseinander, und begründete den unabhängigen, jungen Staat der Belgier.

Diese Tage, vom 23. bis 26. September, feiert die belgische Hauptstadt alljährlich, da dieses Ereigniß, namentlich für sie, ein Quell von Glück, Unabhängigkeit und steigendem Reichthum geworden ist, und scheinbar uninteressirt, sucht sie ihre Freude mit so vielen Provinzialen, als möglich zu theilen. Ein zweites Korinth oder Elis ladet Brüssel die besten Musiker, Bogen- und Rohrschützen, Ballspieler und Pferdebesitzer des ganzen Königreichs zu feierlichen Wettspielen ein, sucht ihnen den Aufenthalt in seinen Mauern so angenehm wie möglich zu machen, und entläßt die Sieger reichlich beschenkt und hoch geehrt. Und die harrenden Angehörigen, die nicht mitkonnten zu den schönen Festen, ziehen den Siegreichen im Triumphzuge entgegen und Stadt und Provinz erquicken sich in naiver Freude jahrelang an der Erinnerung des errungenen Sieges. – Die Feier beginnt herkömmlicher Weise mit einem Requiem für die gefallenen Opfer in der Parkschlacht; dießmal war die Musik von Cherubini. Aber wer kann die Musik bei solcher Gelegenheit beachten?

Man hat in Brüssel eine barocke Manier, religiöse Ceremonien bei Staats- und Stadtfeierlichkeiten zu begehen. Der ganze innere Theil der Kirche wird an solchen Tagen mit einem Spaliere von Soldaten umstellt, die unter Trommelschlag in das in unwilligem Wiederhall erdröhnende Gebäude einziehen und dazu dienen, das Volk in den Gängen von den Autoritäten im Innern zu trennen. Diese letzteren kommen langsam an, zuerst der König, oder wer von der königlichen Familie die Feierlichkeit besucht, dann die Minister, der Generalstab, die Justizbehörden etc. jedes einzelne Corps von rauschendem Trommelschlage begrüßt. Nun erst beginnt die religiöse Feierlichkeit. Aber kann man sich wohl erhoben fühlen, nachdem die Trommeln uns betäubt und jede Erregbarkeit der Nerven erstickt haben? Das Ohr physisch ermattet, ist unfähig der Seele die Erhebung zuzuführen, welche die Kirchenmusik eines Cherubini, Mozart u. s. w. ihr zugedacht. Der Gottesdienst geht wie ein Gefangener unter militärischer Bedeckung; Soldaten vorn und hinten, denn auf gleiche Weise wie sie eingetreten, entfernt sich auch die ganze Versammlung; ein lautes Commandowort erschallt, die Gewehre klirren in dem weiten Dom und unter Trommelschlag zieht die kriegerische Horde aus dem heiligen Tempel.




Gleich am Nachmittage des ersten Tages begann der erste Theil der Wettspiele mit einem Pferderennen in der dazu eingerichteten Ebene von Monplaisir.

Wer kein Pferdeliebhaber ist, kann bei solcher Gelegenheit leicht dazu gestempelt werden, wenn er die vollkommenen Gestalten in Jugendkraft und Jugendfeuer hier vorgeführt sieht, wenn er den langgestreckten Dahinschießenden mit wachsendem Interesse folgt, bis endlich unter lebhaftem Zujauchzen der auf Tribünen und Landauern, auf Omnibus, in Fiakern und auf dem nassen Boden versammelten zahlreichen Menge dem Sieger der Preis zuerkannt wird.

Leider ist aber auch das Pferdeinteresse das Einzige, was zu einem öftern Besuchen dieser Art von Wettspielen auffordert; der Mensch tritt hier ganz zurück. Wer nicht zu den ersten Staatsbeamten, oder der Pferdegesellschaft, ich will sagen der Gesellschaft der Pferdeliebhaber, gehört, muß sich seinen Platz auf einem Omnibus oder an der Leine auf der kothigen Wiese suchen, und da ein solches Fest nie ohne Regen abläuft, so fehlt es nicht an Unannehmlichkeiten mancher Art. Diesmal trat plötzlich, unerwartet und unangemeldet ein heftiger Platzregen ein. Das Volk dachte bei diesen Freiheitsfesten von seinen Freiheitsrechten Gebrauch zu machen und, wie von einem Gedanken geleitet, erstürmte es die Pferdeliebhaber-Tribüne und fing an sich behaglich und bequem einzurichten. Aber die immer mehr zuströmenden Massen wurden dem leichten Brettergebäude zu viel; mit schrecklichem Geräusche krachten mehrere Pfosten zusammen, lautes Hülfsgeschrei, vorzüglich von den Damen, ertönte, die allgemeine Verwirrung, das Rufen und Emporarbeiten der Durcheinandergefallenen ließen bedeutende Verletzungen ahnen, doch glücklicher Weise kam man mit dem bloßen Schreck davon.

Während das zu Monplaisir vor sich ging, zogen die zum Concurs angelangten Musikvereine in feierlichem Zuge in die Stadt ein.

Nicht nur jede Stadt in Belgien, sondern jedes nur einigermaßen bedeutende Dorf, hie und da selbst eine ganz kleine Gemeinde besitzt wenigstens eine Gesellschaft, die sich an bestimmten Tagen versammelt, um in sogenannter türkischer- oder Harmoniemusik verschiedene, aus Opern arrangirte Stücke, oder Variationen für einzelne Instrumente vorzutragen. Ich will mich hier nicht auf die Frage einlassen, ob die Anzahl dieser Harmonien auf wahrhaft musikalischen Sinn im Lande schließen läßt, genug, der Anschein ist wenigstens da und verdient mithin eine Aufmunterung. So waren nun alle diese Gesellschaften zu einem musikalischen Wettstreite eingeladen, und um das Herbeikommen zu erleichtern, hatte die Regierung ihnen die Eisenbahn zu freier Disposition gestellt, dabei noch Preise für die entferntesten, je nachdem sie mit oder ohne Eisenbahn kommen konnten, ausgesetzt. Da für die Sieger, außer den Lorberkränzen, noch bedeutende Geldpreise ausgesetzt waren, so läßt sich denken, wie schon seit 5 Monaten des Musizirens fast im ganzen Lande kein Ende war, so daß am bestimmten Tage über 40 Harmonien, mit der bestimmten Hoffnung des Siegs, von den Segenswünschen der Ihrigen begleitet, sich aufmachten, und zum Theil freilich etwas beschmutzt, nichts desto weniger fröhlich und guten Muthes in die Hauptstadt einzogen. Jede Gesellschaft spielte ihren Lieblingsmarsch, und obgleich kein allgemeiner Takt beobachtet werden konnte, und das Ensemble einen infernalischen, höchst unmusikalischen Lärm bildete, so gelangte der Zug doch, von unzähliger Volksmenge begleitet, von tausend und tausend Neugierigen an allen Fenstern begrüßt, bis in die Mitte der Stadt, von wo aus sich Alle in ihre verschiedenen Quartiere zerstreuten. Zu gleicher Zeit langten auf der Eisenbahn und den Diligenzen die Massen der Provinzialen an, die Alle an den Festen einen mehr oder weniger activen oder passiven Antheil nehmen wollten. Kein Wagenzug bestand aus weniger als 33 Wagen, größtentheils Waggons, und Char-a-banc’s, mit 30 Einsitzern, von zwei oder drei Locomotiven gezogen, und nun erhielt die sonst ohnehin reich bevölkerte Stadt ein neues Ansehen. In den Hauptstraßen drängten sich die Neugierigen aller Stände, in Wagen und zu Fuß, in regem Gewühl durch einander, man erfreute sich an der Pracht der Läden, man traf unvermuthet auf Bekannte ferner Städte, Unbekannte schlossen sich an einander und freuten sich der maskenartigen Begegnung. Am Abend wurden die Theater und die Estaminets (Wirthshäuser) überschwemmt, und es waren eben nicht grade fromme Psalmen die gesungen wurden. Der Südniederländer findet sich gerne in der Kirche mit seinem Gott ab, um in den Stunden der Freiheit seiner Lust den Zügel lassen zu können, da fliegen die heißen Worte, und manche wilde That, welche die Geschichte aufbewahrt, wurde in solchen Nächten geboren. Auch diesesmal fehlte es nicht an Brandfachern und Aufwieglern, man sprach von orangistischen Comploten, und von andern Liebenswürdigkeiten dieses Schlages – aber die Vorsehnung wachte in der Gestalt von eingen Tausenden bewaffneter Soldaten, welche in den Casernen consignirt waren.

Die spät zur Ruhe Gekommenen wurden am Freitage um 8 Uhr durch die donnernden Schüsse der Festkanonen aus dem besten Schlafe geschreckt, und im Nu war die Menge wieder auf den Beinen. Es ist schon an und für sich ein interessantes Schauspiel, die Straßen von Fremden im besten Putze wimmeln, die Fenster von Schönen auf das Glänzendste ausstaffirt zu sehen, und so wäre schon Jeder des Andern wegen hergekommen, nun aber brachte erst der festliche Aufzug der zum Wettstreit herbeigezogenen Harmonien neues Leben in die Scene. Eine Abtheilung der berittenen Leibwache (Guiden) des Königs, und die weitberühmte Musik der Brüsseler Harmoniegesellschaft, die dießmal, wahrscheinlich aus Artigkeit, nicht mit concurriren wollte, eröffneten den Zug. Ihnen folgten die fremden Musikvereine, jeder Verein stattlich geputzt, zum Theil in Uniform; einer, der aus Blankenberghe bei Brügge, in alterthümlicher, flamändischer Nationaltracht, mit kurzen, rothen Hosen und dreieckigen Hüten. Jede Gesellschaft trug auf einem rothen Schilde den Namen ihrer Stadt oder Commune, so wie auch ihre Fahne mit den in frühern Jahren errungenen Medaillen, vor sich her. So gelangten sie auf den breiten Theaterplatz, wo das erste Gericht über sie gehalten wurde, indem denjenigen, die das beste, oder originellste Costüm hatten, Medaillen zugetheilt wurden, wobei denn unsere Blankenbergher nicht leer ausgingen; darauf zog man feierlich in den Park. Der Park ist eine, in der Mitte der Stadt sich befindende, allerliebste Baumanlage, wo die schöne und nicht schöne Welt alltäglich sich versammelt, und der historisch dadurch merkwürdig wurde, daß hier die bedeutendsten und blutigsten Revolutionsscenen zwischen den Holländern und dem gereizten Volke vorgefallen waren. Man hatte das mittlere, dem königlichen Palaste gegenüberliegende, Thor zum Einzuge erkoren; hier standen die Statuen des Lüttichers Gretry, und des berühmten Componisten Delassus von Mons, zwar etwas roh, aber in schönen Verhältnissen und edlem Ausdrucke, in gelbem Gyps ausgeführt. Ganz am andern Ende, aber vom Eingangsthore aus sichtbar, stand der in leichter Bauart und elegantem Geschmacke, von Eisen gegossene, reich vergoldete und bemalte Kiosk, in welchem eine Gesellschaft nach der andern sich vor ihren Richtern hören lassen sollte. Die Allee, die dahin führt, war mit buntgeordneten Flaggen und Trophäen geschmückt. An der andern Seite des Kiosks erhob sich die Loge des Monarchen in prächtiger Verzierung.

Einige Verstimmung erregte es bei dem großen Haufen, daß man die Wohlthätigkeit bei dieser Gelegenheit in Contribution setzte, und von denjenigen, welche nicht zu den Gesellschaften gehörten, eine Bagatelle für den Eintritt, zum Besten der Armen, abforderte. Ein derber Flamänder, der neben mir stand, war ganz außer sich vor Zorn – „Was,“ rief er, „Entree? 25 Centimes? – Vor 11 Jahren gab man uns an diesem Tage gern 25 Franken, daß wir nur in den Park gingen und uns massacriren ließen, und jetzt, wo man Vergnügen davon haben könnte, fordert man uns Geld ab!“

Andere kränkten sich, daß der König, der am ersten Tage noch auf seiner Herreise von Frankreich begriffen war, und am zweiten dem Pferderennen beiwohnte, nicht in seiner prächtig ausstaffirten Loge erschien; und so gab es, bei all’ den Herrlichkeiten, der Schmollenden genug.

Um 8 Uhr Abends endigte der erste Tag des Concurses, und nun wurde der Park freigegeben. Die drei Harmoniegesellschaften Brüssels hatten den fremden ein herrliches Fest im Vauxhall eingerichtet, das anstoßende Theater war in einen Ballsaal verwandelt, ein Zelt, zum Tanzen, im Garten aufgeschlagen, und letzterer auf das glänzendste erleuchtet worden. Hier sammelte sich die schöne Welt der Einheimischen, und die Elite der Fremden in bunter Mischung der gesuchtesten Toilette und der staubigsten Reisekleidung.

Ein hübsches Feuerwerk, welches abgebrant wurde, warf seine Lichter auf die bunte Scene und Gruppen, und der Abend endete wie eine große Oper, die unter Gottes freiem Himmel gespielt wurde.

Am Samstag Morgen, nach den üblichen Kanonenschüssen, begaben sich die Karabiner- und Bogenschützen in geordnetem Zuge zum großen Platze, und von dort in die verschiedenen Locale, die nach der verschiedenen Schießart vertheilt waren. Um 10 Uhr begann das beliebte Brüsseler Volksspiel mit dem Balle. Um 11 Uhr wurden in der Augustinerkirche die Preise an diejenigen Schüler des ganzen Königreiches ausgetheilt, welche bei dem neulich stattgefundenen Concurse am besten bestanden hatten. Um 1 Uhr wurden die Pferderennen wiederholt. In verschiedenen Gegenden der Stadt nahmen andere Volksbelustigungen ihren Anfang. Das Wettspielen der Harmonien im Parke dauerte mittlerweile immer fort. Um 8 Uhr Abends endlich fand die Medaillenvertheilung statt, und lieferte in der That interessante Resultate. Da fand es sich denn, daß auf der einen Seite ein armes Dorf, Montaigu, dessen Harmonie erst seit Kurzem besteht, aber von einem tüchtigen Dilettanten dirigirt, und einem reichen Herrn unterstützt ist, den ersten Preis, unter den Communen zweiten Ranges, davon trug, indeß andererseits die ansehnliche Stadt Huy, die noch nie ohne Preis aus einem Concurs gegangen war, dießmal ohne die geringste Auszeichnung blieb. Man denke sich die Freude der Erstern, die ohne Hoffnung zu dem Wettstreite gezogen, und den Verdruß der Andern, die im stolzesten Selbstvertrauen gekommen. Ich sprach Jemand, der an diesem Abend zwischen den beiden Dirigenten der genannten Harmonien saß, und, da sie ihm Beide verwandt sind, nun geduldig die verschiedenen Ausrufe der Seligkeit, und die Klagen über Partheilichkeit anhören mußte.

In der That scheinen bei diesem letzten Wettstreite einige Sachen vorgegangen zu sein, die nicht in der Ordnung waren, indem einige der besten Mitglieder der Brüsseler Harmonieen, die, als Musiker von Profession, überall spielen, wo man sie bezahlt, der Eisenbahn wegen, leicht zu Mitgliedern der Societät von Hal gemacht werden konnten, und ferner bei der Gesellschaft von Alost sich, wie man sagt, ein Professor des Lütticher, und einer des Genter Conservatoriums vorfand, – kein Wunder, daß diese Gesellschaften, besonders da man bei den Variationen bedeutende Solostellen anbringen konnte, den Preis davon trugen.

Am Sonntag fand das letzte Pferderennen statt, und Nachmittags endlich jenes vielbesprochene und denkwürdige Wettsingen, wobei die Deutschen einen so glänzenden Sieg davontrugen.

Mit diesem letzten Wettspiele waren die Festlichkeiten im Ganzen zu Ende, wenn wir noch die unten näher zu beschreibende Parkerleuchtung, so wie die Preisvertheilung an die Schützen und die auf den Montag verschobene Eröffnung der neuen Nordstation hinzurechnen. Man sollte wahrlich bei der Einrichtung von Volksfesten nicht so leichtsinnig verfahren, als das gewöhnlich zu geschehen pflegt. Ein ächtes Volksfest sollte sich, streng genommen, aus dem Volke selbst bilden, daher kommt es denn, daß alles Arrangiren so leicht seinen Zweck verfehlt.

Wenn unsere Festanordner, wie es auf den ersten Anblick scheinen könnte (da ja das ganze Fest fast aus Nichts als Concursen bestand), an die olympischen Spiele gedacht haben, so haben sie einige Hauptpuncte ganz außer Acht gelassen. Wettspiele verschiedener Art fanden zwar Statt und zwar solche, wie sie für unsere Zeit völlig passen, aber man vergaß dabei auf die Zuschauenden Rücksicht zu nehmen. Bei dem Wettrennen muß das Volk im Koth waten, die Schießwetten finden in abgesonderten Localen Statt, und bei dem musikalischen Concurse begeht man die Thorheit, diejenigen, die aus Neugierde die unvortheilhaften Plätze einnehmen wollen, durch einen Eintrittspreis gar zu verscheuchen. Wenn in Paris die Ausdehnung der Stadt es als nothwendig gebietet, an der Barriere du trone ebenfalls eine Feierlichkeit zu veranstalten, während die Hauptmassen sich zu den elyseischen Feldern drängen, so ordnet man aus Nachahmung in Brüssel auf jedem Plätzchen ein anderes Volksspiel an, und vertheilt künstlich die Massen, ohne Ursache und Grund.

Eine andere Abweichung von den olympischen Spielen ist die, daß zu viele, und dann, daß Preise von Geldwerth vertheilt werden.

Wenn von sechs Streitern fünf ausgezeichnet werden, so hat der sechste eine wahre Schmach zu erdulden, und heißt es nicht allen poetischen Hauch abstreifen, wenn man nicht mehr um die Ehre, sondern um ein Stück Geld von 600 Franken zu kämpfen hat? Wenn sich zu Elis eine ganze Nation versammelte, und von den amphitheatralischen Sitzen dem siegenden Sänger ihren Beifall zujauchzte, und die Eltern ihren Kindern den Beglückten zur Nachahmung zeigten, der mit einem Lorbeerreis Ehre und Achtung für sein ganzes Leben davon trug, wahrlich, da mußten andere Gefühle entstehen, bei Zuschauern und handelnden Personen, als in einer nackten Austheilung von einigen hundert Franken! Es scheint doch allzu materiell, die Ehre sogleich abzuzahlen, und darauf hinzuweisen, daß alle diese Anstrengungen (und ich rechne hierunter ebenfalls die Preisaustheilungen unter die Schüler) doch endlich auf Gelderwerb hinauslaufen.

Daß durch die Studienpreise nur sehr Wenige im Verhältniß ermuntert, alle Andern aber entmuthigt werden, (abgesehen davon, daß man, wie oben bemerkt, allmälig lernt, nicht um der Sache, sondern um des Preises willen zu arbeiten,) hat man in Deutschland längst eingesehen, und mit Recht die Preise abgeschafft. Ebenso bin ich überzeugt, daß die Medaillen die Musikliebe auf keine Weise fördern. Ich kenne eine Harmoniegesellschaft, die schon manchen Preis davongetragen hat, gewöhnlich aber ganz miserabel spielt; nur wenn es gilt, zu einem Concurs zu gehen, macht man sich ans Ueben, und so gelingt es denn auch, nach einigen Monaten anhaltenden Studiums, die drei Stücke aufs Pünktchen einzuüben; dieß geschieht aber nicht aus Musik- sondern aus Medaillen-Liebe. Waren wohl diese goldnen Spielwerke in Deutschland nöthig, um Musikliebe zu pflanzen? Wahrlich nicht. Aber die niederrheinischen, magdeburger und berliner Musikfeste, das Fest der Mozartstiftung in Frankfurt, die großen Gesangsfeste in Würtemberg, und viele andere Vereinigungen dieser Art, wo man nicht zusammenkam, um zu zeigen, daß man es besser als ein Anderer verstehe, sondern um durch die Verbindung Vieler ein schönes, großes Ganzes hervorzubringen, diese Feste weckten die Freude an der Ausführung, obgleich man nichts Anderes mit nach Hause brachte, als die Erinnerung an einen großen und edlen Genuß.

Die Musik hat mit der Tugend das Gemeinschaftliche, daß man nur ihrer selbst willen sie lieben kann, daher sind Musik- und Tugendpreise gleich unvernünftig, und man befördert höchstens auf der einen Seite die Technik, auf der andern Lohndienerei.

Finge man an, die sich jetzt im Lande vorfindenden musikalischen Kräfte zu sammeln, und bei dergleichen Festlichkeiten (wie vor einem Jahre in Antwerpen ein Versuch gemacht wurde), große musikalische Aufführungen, wo möglich gratis, zu veranstalten, so würde eines Theils die Menge mehr erbaut werden, andern Theils aber die Liebe zur Musik eine tiefere Wurzel schlagen, als durch die Medaillenvertheilung.

Ueberhaupt muß bei einem Volksfeste auf eine Erkräftigung des Volkes und auf ein massenhaftes Einwirken gesehen werden, damit eine bedeutsame Erinnerung, eine nachhaltende Gefühlserregung bleibt. Ich erinnere mich, als bei dem Sängerfeste der Mozartstiftung in Frankfurt, die reich verzierten Schiffe von Hanau, Offenbach und Mainz die eingeladenen Sänger herbeibrachten, die schon aus der Ferne mit Kanonendonner und fröhlichem Böllerschießen empfangen wurden, welchen Eindruck es machte, als man bei dem Näherkommen der Schiffe, allmälig zwischen dem Schießen den Gesang der Gäste mehr und mehr unterschied, wie, als sie endlich, unter dem Wehen der Tücher aus allen Fenstern, ans Land stiegen, und von dem Präsidenten bewillkommnet wurden, wie da die ganze Menge in einen freudigen Willkommsruf ausbrach, und nicht aufhören wollte, Hüte und Tücher zu schwenken — ein Gefühl, die freudige, gastliche Aufnahme der Fremden, bewegte Alle. Ich sah da Greise, mit Thränen in den Augen, dastehen, und hörte sie wiederholt versichern, ein so schönes Fest noch nicht erlebt zu haben. Und doch, was war’s, prosaisch betrachtet? Ein paar verzierte Schiffe, Fremde, die ans Land stiegen, Böllerschüsse – man sollte glauben, nur ein Kind könne davon gerührt werden; aber das ist’s ja gerade, die einfachsten Mittel, wenn sie an das Gefühl sich wenden, überbieten die glänzendsten, welche für den äußern Sinn berechnet sind.

Ja, man lasse bei Volksfesten das Volk selbst thätig werden, selbst empfinden, und der Zweck ist vollkommen erreicht.

Den eigentlichen Schlußpunct der Feste bildete die glänzende, in gewisser Beziehung sogar kunstvolle, Beleuchtung des Parks. Man hatte in der That Nichts gespart. An allen Eingangsthoren, das gegen den königlichen Palast und gegen das Ständehaus ausgenommen, waren Triumphpforten, theils in gothischen, theils in türkischem, theils in maurischem, und theils in chinesischem Geschmacke errichtet, und diese mit farbigen Gläsern auf das Blendendste erleuchtet worden. Dieß brachte, vorzüglich von dem Platze aus, wo der Kiosk steht, eine überraschende Wirkung hervor, indem man zu gleicher Zeit, in größerer und kleinerer Entfernung, vier dieser Feuerthore roth, blau und weiß erglühen sah, und dazwischen in dem nun freigegebenen Park die dunkeln Menschenmassen hin und her wogten.

Nicht alle Fremden freilich, die für diesen letzten Tag nach der Hauptstadt gekommen waren, konnten dieses Schauspiels theilhaftig werden. Welche Volksmenge in Brüssel gewesen sein muß, läßt sich aus den Abfahrten jenes Abends sehen, wo doch nur diejenigen, die am meisten gedrängt waren, abgingen. Der Convoi nach Antwerpen allein bestand aus 50 Wagen, beförderte also ungefähr 1500 Personen, der vorher nach Gent und Lüttich Abgegangenen nicht zu gedenken.

Nun muß man freilich zugestehen, daß es die Septemberfeste nicht allein, wenn auch vornehmlich mitwirkende Ursache, waren, daß so Viele sich in Bewegung setzten. Wie Mancher, der in diesem Jahre die Hauptstadt besuchen, und die merkwürdige Industrieausstellung in Augenschein nehmen wollte, verschob seine Herkunft auf diese Tage, sogar einige Commissäre, welche von verschiedenen deutschen Regierungen hierhergeschickt wurden, kamen sonderbarerweise zu den Revolutionsfesten an. Diese Industrieausstellung, welche durch ihren Reichthum, Deutschland in Verwunderung setzte, durch ihre massenhafte Produktion Frankreich von dem schon begonnenen Handelstractat zurückscheuchte, und England vor diesem kleinen Staate von vier Millionen Menschen gewissermaßen erschrecken machte, diese merkwürdige Manifestation des Fleißes, der Kraft und des selbstständigen Geistes eines Volkes, ist der eigentliche Commentar seiner Revolution.

Wir behalten es uns vor, über diese denkwürdige Industrieausstellung ein eignes Wort auszusprechen, da dieselbe als die Hauptpulsader des Landes zu betrachten ist. Die Eröffnung der neuen Eisenbahnlinie, mit welcher diese, der Wiedergeburt der Nationalität geweihten Feste beschlossen wurden, scheint uns daher ein sinnreiches Symbol für die Zukunft eines Landes, dessen Selbstständigkeit nur auf der immer weiter und weiter kreisenden Thätigkeit seines industriellen Geistes ruht.

J. F.