Gottlob Nathusius, aus einer schwedischen Familie (Nat-Hus,
d. i. Nachthaus), von der ein Glied – der Familientradition
nach – zu Dr. Luthers Zeit nach Wittenberg gekommen,
dessen Nachkommen dann durch viele Generationen hindurch
Predigerstellen im Chursächsischen bekleidet, – wurde zu Baruth
(im jetzigen Regierungsbezirke Potsdam) geboren, wo sein Vaker
chursächs. Steuereinnehmer mit 5 Thlr. 20 Sgr. monatlichem
Gehalte war. Nur die besondere Betriebsamkeit einer ebenso
frommen als industriösen Mutter, die bei ihrer Arbeit mit
heller Stimme die alten Kirchenlieder zu singen pflegte, machte
es möglich, die zahlreiche Familie durchzubringen. Der höchste
Wunsch unsres Gottlob war, zu studiren, und um ein Unterhaltsmittel
auf Schulen und Universitäten zu besitzen, hatte
er sich mit großem Eifer auf die Musik geworfen. Allein die
schreckliche Hungerzeit in den 70ger Jahren schnitt ihm jede
Aussicht dazu ab, und er mußte in eine harte 6jährige Lehre
in einem Berliner Materialladen eintreten, wo er besonders
bei seiner Schwächlichkeit, Armuth und seiner anerzogenen
Gewissenhaftigkeit, die den bösen Schlichen der älteren Genossen
widerstand, viel zu leiden hatte. Doch erwarb ihm
diese, als sie an den Tag kam, die Zuneigung des Principals.
– Die Makulatur, woraus er Tüten drehen mußte,
studirte er, um sich zu bilden, sowohl in Bezug auf Inhalt
als Styl durch (Gellerten bekannte er in letzterer Beziehung
das meiste zu verdanken, und der Erwerbung einer leichten
und natürlichen Schreibart statt des verschrobenen Geschäftsstyles
verdankte er nachmals sein erstes Fortkommen). Das
Frühstück versagte er sich und kaufte von den gesammelten
Dreiern, die er dazu erhielt, Bücher beim Antiquar. Heimlich
des Nachts machte er sogar chemische Experimente, und neben
dem dürftigen Tütchenverkauf der Wirklichkeit führte er endlich
eine ausgedehnte ideale Handlung mit selbsterlernter doppelter
Buchhaltung und mit fingirten Speculationen und Korrespondenzen
in alle Weltgegenden. Und so geschah es, daß er
unmittelbar aus diesem Detailgeschäfte, und erst 24 Jahr alt,
einen Ruf als erster Buchhalter an ein angesehenes Magdeburger
Handelshaus erhielt. – Sein neuer Principal starb
bald darauf kinderlos und verordnete, daß sein kaufmännisch
ungebildeter Schwager Richter mit Nathusius zusammen das
Geschäft übernähme, dessen Rechnungswesen übrigens in großer
Unordnung war. Als Nathusius nach einem Jahre die Bilanz
zog, fand er, daß er eigentlich eine bankerotte Handlung übernommen
hatte. Ein hitziges Fieber, das ihn dem Tode nahe
brächte, war die Folge dieser stillen Entdeckung. Ein alter Nachbar,
an den er sich m der Verlegenheit wandte, borgte ihm auf
den Schimmer der einsamen Lampe, den er so oft in später
Nacht von Nathusius Comtoire bemerkt hatte, und das Geschäft
kam bald in Schwung. Nathusius verband damit eine
Tabaksfabrik, indem er ein ganz neues, auf chemische Kenntnisse
gegründetes, und dadurch eben einfaches und natürliches
Ludwig Bechstein: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen. Georg Wigand's Verlag, Leipzig 1854, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zweihundert_deutsche_M%C3%A4nner_in_Bildnissen_und_Lebensbeschreibungen.pdf/275&oldid=- (Version vom 14.9.2022)