Was wenigen Künstlern zu Theil wurde, unter glücklichen
Verhältnissen von Jugend an eine ungestörte
vielseitige Ausbildung zu erlangen, war Mendelssohn
in der schönsten Weise beschieden und hat sicher nicht
am Wenigsten beigetragen ihm seine hervorragende
Stellung anzuweisen. Sein Vater, ein wohlhabender
Bankier, konnte ihm nicht nur alle Mittel einer sorgfältigen
Erziehung gewähren, sondern den von seinem
Vater Moses Mendelssohn ererbten Geist echter Humanität
und feiner Bildung. Die Mutter, eine Schwester
des bekannten Reisenden Bartholdy, eine Frau von
scharfem Verstand, rastloser Thätigkeit und strengster
Pflichttreue, leitete selbst die Erziehung des Knaben.
Obgleich in Hamburg geboren, wurde er, da seine
Eltern bald von dort weggingen, in Berlin erzogen und
genoß alle Vortheile der daselbst vorhandenen Bildungsmittel.
Seine Lehrer in der Musik, für welche sein
Talent früh hervortrat, waren Ludwig Berger und
Zelter. Jener, aus Clementi’s Schule hervorgegangen,
ein Meister solider Technik, und geist- und gemüthreicher
Spieler, legte den Grund zu der tüchtigen und
edlen Virtuosität Mendelssohns, welche die Mittel der
Technik vollständig beherrscht, um sie dem künstlerischen
Geist unterzuordnen. Zelter, der mit väterlicher Liebe
an seinem Felix hing, richtete unnachsichtig seinen Geist
und seine Bestrebungen auf die höchsten Muster der
Kunst, überhaupt auf das Tüchtige und Ernste hin.
So legte er den Grund zu der gründlichen und vollendeten
Meisterschaft in der Form, welche Mendelssohn
in selbständiger Kraft durch eigene unausgesetzte Studien
sich erwarb. Wie sehr aber die musikalischen Anlagen
des Knaben auch in einer außerordentlichen Produktivität
hervortraten, so wurde über deren Pflege doch nichts
versäumt, was nach irgend einer Seite hin seinen Geist
ausbilden konnte, und er besuchte nach gründlicher Vorbereitung
im Jahre 1827 die Universität. Zu den
Begünstigungen seiner Jugend gehörte es, daß er durch
Zelter Göthe nahe trat, der durch herzliche Theilnahme
seine Bestrebungen anfeuerte und förderte. Zur Vollendung
seiner Bildung machte er mehrere Reisen nach
England (1829), Italien (1830), Paris (1832)
und dann nach London. Nachdem er seit 1833
Ludwig Bechstein: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen. Georg Wigand's Verlag, Leipzig 1854, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zweihundert_deutsche_M%C3%A4nner_in_Bildnissen_und_Lebensbeschreibungen.pdf/257&oldid=- (Version vom 20.8.2021)