Matthisson war ein wahrhaft liebenswürdiger Dichter
und blieb lange Zeit Liebling seiner Nation, der sich
ebenso musterhaft als anmuthig in lyrischen Formen
bewegte und anregend und fördernd durch Sammlung
und Auswahl vaterländischer Dichter wirkte. Er genoß
als Sohn eines Predigers, zu Hohendodeleben bei
Magdeburg geboren und früh verwaist, die Erziehung
eines ihm verwandten Pfarrers in Krakau, ebenfalls
in Magdeburgs Nähe, und so mag schon frühzeitig
das Stillleben ländlichen Friedens tiefen Eindruck
in seine Seele geprägt haben, das er mit den
lieblichsten Farben in seiner Kindheitidylle: »Die Pappelweide
zittert« geschildert hat. Im 14. Lebensjahre
schied Matthisson aus dem Jugendparadiese, vom »Magnetenberg«
der Sagen – und kam auf die Schule zu
Klosterbergen, von wo er die Universität Halle bezog
und der Theologie sich widmete. Als jungen Erzieher
berief man ihn an das Philanthropin zu Dessau, doch
blieb er dort nicht lange, sondern nahm eine sich darbietende
Hofmeisterstelle bei einer Gräfin Sievers aus
Liefland an, deren Söhne er in Dessau mit unterrichtet
hatte, und mit denen er später reiste. Matthisson
lernte in Hamburg Klopstock, in Wandsbeck Claudius
kennen, Goethe’s und der übrigen berühmten Weimarer
persönliche Bekanntschaft, so wie die v. Dalberg’s hatte
er schon früher gemacht. Das Jahr 1785 führte ihn
in Heidelberg zu Bonstetten, 1786 war er in Mannheim
und im darauf folgenden Jahre in Nyon, wo
der Freundschaftsbund mit dem dort heimischen Bonstetten
sich erneute und wo der fleißige und geistvolle
Naturforscher und Naturphilosoph Charles Bonnet ihn
in die Kreise seiner Neigungen zog. Heiter angeregt
verlor sich die trübe krankhafte Stimmung, von welcher
sich Matthisson eine Zeitlang ergriffen gefühlt hatte;
er fand sich heimisch außerhalb der deutschen Heimath,
in dem milden Klima südlicher Gelände, ging 1789
als Hauslehrer nach Lyon und lernte die dort lebenden
durch und durch poetischen Menschen v. Salis und
Friederike Brun kennen, welche letztere mit ihrem
Gatten auf einer Reise durch Frankreich in die Schweiz
begriffen war. Matthisson lebte in dem schönen Kreise
gebildeter und zartfühlender Geistesverwandten theils in
Ludwig Bechstein: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen. Georg Wigand's Verlag, Leipzig 1854, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zweihundert_deutsche_M%C3%A4nner_in_Bildnissen_und_Lebensbeschreibungen.pdf/251&oldid=- (Version vom 15.9.2022)