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Gotthold Ephraim Lessing.
Geb. d. 22. Jan. 1729, gest. d. 15. Febr. 1781.


Eine der Centralsonnen des deutschen Geistes, wie sie in großen Zwischenräumen der Literaturgeschichte meist fern von einander glänzen und mit dauernden Strahlen die Welt erleuchten, Geistessonnen, die nie erlöschen und an deren Flammen andere Genien ihre Fackeln entzünden.

Lessing’s Geburtsort ist das Städtchen Kamenz in der Lausitz; sein Vater war Prediger daselbst und ein fleißiger, gelehrter Mann von strenger Richtung, der eine Zeitlang den Unterricht des Sohnes selbst leitete, bis er letzteren in die Stadtschule nach Königsbrück that, von wo aus der junge Lessing auf die berühmte Klosterschule zu St. Afra in Meißen kam. Dort weilte und lernte er vom 12. bis zum 17. Jahre, legte guten Grund in den klassischen Wissenschaften, in Philosophie und Mathematik, übte sich selbst in poetischen Versuchen und bezog, auf das beste vorbereitet, 1746 die Universität Leipzig in der Absicht, nach des Vaters Wunsche dort Theologie zu studiren. Aber der Genius in ihm drängte ihn nach freieren Sphären des Gedankens hin, zu den schönen Künsten des Geistes, wie zu denen körperlicher Ausbildung durch reiten, tanzen, fechten u. s. w. Der Zauber der Bühne unter der Neuberin lockte ihn mächtig an, edle Freundschaft beglückte ihn, und genialische Gedanken hoben ihn in das Reich der Freiheit und der Humanität, in deren Dienst Lessing zum Fortbildner der Menschheit berufen war. Von hoher und schöner Gestalt, leichter und doch kräftiger Haltung, von untadelhaften Formen war der junge Student eine Herzen gewinnende Erscheinung, wie nach ihm der geistesverwandte Goethe – aber der freiere Umgang, den er sich wählte, und das verlassen der theologischen Laufbahn bewogen den Vater, ihn nach der Heimath zurückzurufen. Ungern verließ Lessing den Kreis liebgewonnener Freunde in Leipzig, zu denen Weiße, die beiden ältern Schlegel, Mylius u. a. gehörten, gab sich daheim ernsten Privatstudien hin und kehrte dann später doch wieder nach Leipzig zurück, dichtete Lieder, Epigramme und Fabeln, und wurde für das Theater durch Stücke thätig, denen der Beifall nicht mangelte. »Damon«, »die alte Jungfer«, »der junge Gelehrte« traten in dieser seiner Anfangsperiode in die Welt.