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Joseph II., deutscher Kaiser.
Geb. d. 13. März 1741, gest. d. 20. Februar 1790.


Der reinste, glänzendste Stern am Himmel der ruhmreichen Geschichte Oesterreichs, Kaiser Franz I. und Maria Theresias Sohn und Liebling, später der Stolz und die Bewunderung der ganzen deutschen Nation. Die Erziehung Joseph’s leiteten tüchtige Männer, ausgezeichnet zum Theil durch Wissenschaft, zum Theil durch Feldherrengaben und Kriegsruhm. Fürst Karl Batthyani als Obersthofmeister, Staatssecretair Joh. Christ. von Bartenstein, die Jesuitenväter Franz und Porchhammer u. a. Doch fühlte nicht minder des strebenden Jünglings frischer Geist den Druck der oft allzueng gezogenen Bande, wie Preußens großer Friedrich sie gefühlt, der des künftigen Kaisers leuchtendes Vorbild wurde, zu dem es ihn voll Bewunderung und Verehrung zog, so daß er ihn im Jahre 1769 besuchte. König Friedrich II., der große Gegner Maria Theresias, erwiederte diesen Besuch im darauf folgenden Jahre im Lager zu Mährisch Neustadt, und so zeigten beide Monarchen dem staunenden Europa ein Beispiel, das in neuester Zeit ein bedeutungreiches Echo fand.

Das Jahr 1764 hatte Joseph die römische Königskrone gebracht, das folgende setzte ihm die Kaiserkrone auf das Haupt, aber noch hielt die erhabene Mutter die Zügel der Lenkung ihrer Staaten fest in der starken Hand, wie sie es gewohnt war, denn der vom Herzen treffliche Kaiser Franz I. war als Regent nur ein Schatten. Erst als auch über Maria Theresia der stille Genius 1780 die Fackel gesenkt, konnte Joseph II. sagen: nun bin ich Kaiser. Sein Geist flog seiner Zeit auf Adlerflügeln voran und voraus; Ideen, welche nach und nach in den Völkern Wurzel faßten, und erst nach seinem leider viel zu frühen Ableben allgemeinere Geltung gewannen, waren ihm schon gekommen, hatte er schon verwirklichen wollen mit seinem warm für das Wohl der Menschheit schlagenden Herzen: religiöse Duldung, Glaubensfreiheit, Befreiung der Israeliten vom Kettendruck christlicher Unduldsamkeit und grausamer Härte, Tilgung des Aberglaubens durch Beschränkung und Unterdrückung von dessen Nährquellen, aber ach, alle

„Die ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
Hat man von je gekreuzigt und verbrannt!“