Fichte erwarb sich den Namen eines großen deutschen
Philosophen, und gründete sich als solcher einen bedeutenden
Nachruhm. Er wurde zu Rammenau bei
Bischofswerde in der Oberlausitz geboren. Da er glänzende
Gaben des Geistes, aber nicht ausreichende Mittel
zu seiner Ausbildung besaß, so nahm ein Freiherr
von Miltitz sich des Knaben an, und sorgte für dessen
Erziehung. Fichte kam zu einem Pfarrer in Niederau
bei Meißen in Privatunterweisung und dann nach
Schulpforte. Darauf besuchte er die Hochschulen Jena
und Leipzig vom Jahre 1780 an, und übernahm nach
vollendeter academischer Laufbahn vom Jahre 1784
mehrere Hauslehrerstellen. Naturgemäß konnten diese
Stellen einem selbstdenkenden Geist, wie dem seinen,
nicht zusagen, doch studirte er eifrig fort, warf sich
mit Vorliebe auf das Studium der Philosophie, und
gewann die Ueberzeugung, daß die Grundlage der
philosophischen Wissenschaft, die Bestimmungs- oder
Nothwendigkeitslehre sei. Durch diese Richtung sperrte
sich Fichte eine Anstellung im sächsischen Lande, und
die Noth trat an ihn heran mit ihren bittern Kämpfen.
Er blieb Hauslehrer, und kam 1788 als solcher nach
Zürich, wo er seine nachherige Frau, eine Nichte Klopstocks,
kennen und lieben lernte. Kant zog Fichte’s
philosophischen Sinn vorzugsweise an; um sich dessen
Studium ganz zu widmen, ging Fichte wieder nach
Leipzig und half sich mit Unterrichtsstunden durch, einer
bessern Zukunft entgegen hoffend. Aber diese Zukunft
säumte, den Vater seiner Braut traf ein empfindlicher Verlust,
und er versagte nun ein Ehebündniß, an das sich keine
Hoffnung künftigen genügenden Auskommens knüpfte.
Fichte nahm 1791 eine Hauslehrerstelle in Warschau an, aber als er an Ort und Stelle kam, mißfiel ihm die künftige Frau Principalin so entschieden, wie er ihr, und er trat daher schleunig seine Rückreise an. Auf dem Wege berührte er auch Königsberg, verweilte dort und schrieb seine »Kritik aller Offenbarungen«, welche Schrift vieles Aufsehen machte, für eine Arbeit Kants gehalten wurde, und seines Verfassers Ruhm begründete. Kant selbst machte Fichte dem Publikum bekannt, zeichnete ihn aus, und Fichte wurde nun dessen erster Jünger und Nachfolger. Unterdeß
Ludwig Bechstein: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen. Georg Wigand's Verlag, Leipzig 1854, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zweihundert_deutsche_M%C3%A4nner_in_Bildnissen_und_Lebensbeschreibungen.pdf/103&oldid=- (Version vom 14.9.2022)