oder Selbsterhöhung wieder einen andern Sinn als den bewußten. Die Selbsterhöhung des Pharisäers ist hier seine Selbstüberhebung, seine Selbstgerechtigkeit, sein Tugendstolz, seine erträumte Heiligkeit und Vollkommenheit. Er dünkt sich vor Gott rein von aller Sündenschuld. Und daß er sich rein dünkt vor Gott, das war seine Selbstgerechtigkeit. Demnach besteht die Selbsterniedrigung des Zöllners darin, daß er die Hand zum Schlage an die Brust führte und vor dem Gefühl seiner Sündigkeit und Unwürdigkeit nichts über die Lippen brachte als: „Gott sei mir Sünder gnädig!“ Die Selbsterniedrigung ist hier wieder etwas anders als die Demut, es ist die Buße, daß bußfertige Bekenntnis der Sünde. Auch zur Selbsterkenntnis in diesem Sinn werden wir vom HErrn aufgefordert. Wer sich selbst erniedrigt wie der Zöllner, in dem er sein Angesicht in den Staub legt, in dem er sich vor Gott bekennt als ein unwürdiger Sünder, aller Gnade unwürdig, aller Strafe würdig, der zeitlichen und der ewigen, der betritt den Weg zur Erhöhung, den Weg zur Rechtfertigung.
Es gibt keine heilsamere Weise der Selbsterniedrigung als das Bekenntnis der Sünde vor Gott und Menschen. Das begreift freilich die Welt nicht. In den Augen der Welt ist es keine Schande, Sünde zu tun, aber eine Schande zuzugeben, daß es Sünde ist. Vor Gott und Menschen seine Sünde bekennen, heißt bei ihr, sich selber schänden und blamieren. Aber so heißt es nicht in Gottes Augen, auch nicht in den Augen der Kirche. Buße zu tun aber ist niemand anders fähig als ein Christ, den der Geist Gottes regiert.
Schon das ist Selbsterniedrigung, wenn jemand vor dem allwissenden Gott, dem nichts verborgen ist, an seine Brust schlägt und sich als einen Sünder bekennt. Und die wahre Demütigung, die dem alten Menschen zu Leibe geht, ist das Bekenntnis, die Beichte vor Menschen, sei es vor dem Beleidigten oder vor dem Beichtvater. Dies ist, wie Luther sagt, der rechte Weg zur Gnade und zur Vergebung. Denn in diesem Zusammenhang, wie der HErr das Wort im Schlusse des Gleichnisses braucht, bedeutet Selbsterhöhung Selbstgerechtigkeit, und Selbsterniedrigung ist die Buße und ein bußfertiges Bekenntnis. Aber die Erhöhung, die dem bußfertigen Bekenntnis folgt, ist eine furchtbar ernste Sache. Wenn der Pharisäer
Johannes Deinzer: Zwei Predigten vom sel. Missionsinspektor Johannes Deinzer. ohne Verlag, Bryan (Ohio) 1908, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Predigten_vom_sel._Missionsinspektor_Johannes_Deinzer.pdf/12&oldid=- (Version vom 30.6.2016)