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Walther Kabel: Zwei Johannistage (Salonblatt, Jahrgang 6, No. 42)

Zwei Johannistage.
Skizze von Walther Kabel.
(Nachdruck verboten.)

Johannistag war’s. Ich lag auf dem Divan, und die Nachmittagssonne erhellte durch die geschlossenen Vorhänge das Zimmer so wohlig, meine Gedanken waren bei ihr, und ich sehnte mich. Halb träumend eilte mein Denken Monate zurück, zurück zu jenem Abend, an dem ich sie auf der Straße ansprach und sie so empört war, sie, das Kind armer Eltern, das auch seine Erziehung und seine Grundsätze hatte … Ja, empört! … Und doch … Mochte sie nun fühlen, daß ich vielleicht anders war wie die übrigen mit ihren ebenso glatten Phrasen und siegesgewissen Mienen, mochte sie Sehnsucht empfinden in all ihrer Verlassenheit nach einem Menschen, den ihre Einsamkeit mit einem Schimmer von Glück erfüllen sollte, – wir kamen ins Gespräch, trafen uns wieder, und die alte Tante dort in der Vorstadt mußte für sie immer öfter als Vorwand zum Ausgehen herhalten. Und dann, Wochen waren vergangen, dann fühlte ich, daß ich sie liebte, dieses zierliche, schlanke Geschöpf mit dem feinen, blassen Gesichtchen und dem ernsten Zug um den schön gezeichneten Mund. Es wurde Winter, und unter den beschneiten Bäumen auf dem alten Festungswege habe ich sie zum ersten Male geküßt. … Wie hat sie mich damals aus dunkelumränderten Augen so flehend angeschaut, in meinen Armen gezittert, – und wollte doch nicht von mir lassen, küßte mich immer, immer wieder. Eine feine Röte war ihr in das bleiche Antlitz gestiegen, ihre Blicke waren so dankbar, und trotz des billigen Röckchens und des dünnen Jacketts fror sie nicht mehr. … Öfters küßten wir uns dann – außerhalb des Tores auf einsamen Wegen und im Frühling in dem großen, stillen Park, wo einsame Lauben uns verbargen und diskrete Kellner bedienten. Aber sie hatte stets nur wenige Stunden für mich, immer mußte sie pünktlich um sieben Uhr abends daheim bei der alten, mürrischen, halbgelähmten Dame sein, der sie Stütze und Gesellschafterin war. … Und nahte die Trennung, so wurde sie stiller und stiller. Ihr schien vor der Heimkehr zu grauen, vor dem düsteren Hause, in dem ihre Jugend eingesperrt war … vielleicht für immer. … Oft kamen ihr dann Tränen in die Augen; und ich küßte sie ihr fort, streichelte das liebe Gesicht und hätte sie auf den Arm nehmen mögen und dem Glück entgegentragen, dem Glück, das in ihren tiefen Augen wohnte … nur für mich. … Das Herz wurde mir weit vor Mitleid, und ein Gefühl wuchs darin empor, ein mir neues Empfinden, über das ich lächeln wollte zuerst, – ich, der noch vor wenigen Monaten mit dem Thema Weib fertig zu sein glaubte. …

Ein Klopfen störte mich aus diesen lieben Erinnerungen auf. Meine Wirtin kam, reichte mir ein Brieflein, dessen steile, große Handschrift ich nur zu gut kannte. Von ihr …, wenige Zeilen, darunter nur die Anfangsbuchstaben ihres Namens, zwei Buchstaben, die ich geküßt, immer wieder geküßt habe. Und in dem Brieflein stand mit schlichten Worten, daß sie endlich meiner Bitte willfahren und zu mir kommen wollte, auf eine kurze Stunde … „Ich will Dir zeigen, wie ich Dich liebe, wie ich Dir vertraue. Deine Bilder und all das andere, von dem Du mir so oft erzählt hast, Deine alten Waffen und die geschnitzten Möbel möcht’ ich mir anschauen … und Deine lieben, lieben Augen, die mich so glücklich machen …“

Dann bin ich aufgesprungen und pochenden Herzens im Zimmer auf- und abgewandert, habe die Uhr auf den Tisch gelegt und die Minuten gezählt, ging vom Schreibtisch zum Schrank, schob hier ein Bild zurecht und ordnete dort Bücher, legte Zigaretten auf die flache Muschel und beschaute prüfend die Likörgläschen. Meine Unruhe wuchs, je näher der Zeiger der Drei rückte. Dann öffnete ich die Entreetür, horchte hinaus und lehnte sie leise an. … Endlich ein flüchtiger Schritt. Ich sehe ihr blasses, ängstliches Gesicht, nehme sie in die Arme, wie sie war, in Hut und Jackett, presse sie an mich und bedecke ihr Gesicht mit Küssen, bis ihr Schirm klatschend zu Boden fällt und wir halberschreckt lachend auseinanderfahren. … Vor dem Spiegel ordnete sie ihr Haar, und ich habe dabei nach ihren Händen gehascht, bis sie flehte: „Nur einen Augenblick!“ … Dann dankte ich ihr, daß sie gekommen war, sich überwunden habe, stammelte vor Glück und küßte ihre weißen Hände, kniete vor ihr und barg mein Gesicht in den Falten ihres Kleides. … Ich war trunken vor Seligkeit und doch so verständig. …

Sie streichelte mir sanft das Haar, und ihre Finger fuhren mir zärtlich über den Scheitel, so zärtlich, daß es mich überrieselte und ich nach diesen Fingern griff und sie einzeln an die Lippen preßte. … Neugierig hat sie dann mein Zimmer sich angesehen, die vielen Bilder und Nippes, die Raritäten und Nichtigkeiten, die ich im Laufe der Jahre angehäuft hatte. … Aus Schubladen und Schränken habe ich immer mehr herausgekramt. Zwischenein nippte sie an dem Likör, knabberte Konfekt und küßte mich. Ich hatte sie auf den Schoß genommen und sah ihr kleines Ohr, die reizenden Löckchen und den weißen Hals, bog oft ihren Kopf herab und tauchte mein Gesicht in das weiche Haar, trank den Duft und trieb tausenderlei Narreteien. Sie war eine andere geworden in meiner sicheren Wohnung. Die erste Angst hatte ich ihr bald weggeküßt, und silberhell lachte sie über dies und das und schwatzte so liebes, törichtes Zeug … Auch ernst haben wir miteinander gesprochen und uns die Worte von den Lippen abgelesen und gefühlt, wie unsere Seelen sich immer näher zueinander fanden. Wir sahen uns an, und eine Zärtlichkeit strahlte in den Augen, so rein, so tief, daß mir ein nie empfundenes Liebesahnen aufging. …

Vor dem Spiegel standen wir Arm in Arm, so ganz dicht beieinander, und lachten unser Spiegelbild an. … Dann ließ sie mich los und trat einen Schritt zurück, sah mir lange forschend ins Gesicht, daß mir’s fast unbehaglich wurde. Langsam stahl sich um ihren Mund ein eigenes, seliges Lächeln, sie legte die Arme um meinen Hals, mit zärtlicher Vorsicht, und dann zog sie meinen Kopf zu sich herab und küßte mich. Und leise sagte sie: „Du wirst mich nicht verlassen, Gerd, – nicht wahr, nie, nie. … Meine Eltern wollen mich verheiraten, Gerd, – denk’ dir, gestern haben sie’s mir geschrieben. Den Stationsvorsteher aus meiner Heimatstadt haben sie mir ausgesucht … so groß und so dick ist er, und solchen Wachtmeisterschnurrbart hat er!“ Und lachend zeigte sie mit ihren weißen, schmalen Händen die Abmessungen.

Da kroch mir plötzlich die Angst zum Herzen, die Angst vor dem, was nun kommen würde, kommen mußte … Ich wich ihrem Blick aus, aber sie merkte nichts in ihrem felsenfesten Glauben an die Größe meiner Liebe.

„Gerd, und den Mann soll ich heiraten, ich, die durch dich so verwöhnt ist, so sehr, durch deine Manieren,

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Zwei Johannistage (Salonblatt, Jahrgang 6, No. 42). „Salonblatt“ G.m.b.H., Dresden 1911, Seite 1337. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Johannistage.pdf/1&oldid=- (Version vom 1.8.2018)