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offen stand, und berichtete einem jungen Assistenten, den er da fand, ausführlich, was ihm zugestoßen war. Der süße Pöbel wurde durch etwas Geld, das er ihnen gab, dazu gebracht, auseinanderzugehen, und sowie die Luft rein war, ging er weg. Als er das Haus verließ, fiel sein Auge auf das Messingschild des Arztes. Da stand der Name „Jekyll“. Wenigstens hätte er da stehen sollen.

Hier war die Nachahmung, soweit sie ging, natürlich zufällig. In dem folgenden Fall handelt es sich um bewußte Nachahmung. Im Jahre 1879, ich hatte eben Oxford verlassen, traf ich bei einem Empfang im Hause eines auswärtigen Botschafters eine Frau von sehr seltsamer exotischer Schönheit. Wir wurden sehr befreundet und waren viel zusammen. Jedoch nicht ihre Schönheit zog mich am meisten an, sondern ihr Charakter, die völlige Zerflossenheit ihres Charakters. Sie schien überhaupt keine Persönlichkeit zu haben, sondern nur die Möglichkeit zu vielerlei Typen. Manchmal gab sie sich völlig der Kunst hin, verwandelte ihren Salon in ein Atelier und verbrachte zwei oder drei Tage in der Woche in Gemäldegalerien und Museen. Dann besuchte sie wieder Wettrennen, trug Reitkleider und redete nur noch von Wetten. Sie vertauschte die Religion mit dem Mesmerismus, den Mesmerismus mit der Politik, und die Politik mit dem melodramatischen Reizmittel der Wohltätigkeit. In der Tat war sie eine Art Proteus und litt mit all ihren Verwandlungen ebenso Schiffbruch wie der wunderbare Meergott, als Odysseus ihn festhielt. Eines Tags begann ein Fortsetzungsroman in einer französischen Zeitschrift. Damals las ich Fortsetzungsgeschichten, und ich erinnere mich noch an das heftige Erstaunen, das mich befiel, als ich zur Schilderung der

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Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/37&oldid=- (Version vom 1.8.2018)