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modernen Romane viele gute Seiten haben. Ich behaupte nur, daß sie als Gattung ganz ungenießbar sind.

Cyrill: Das ist wahrhaftig eine sehr ernste Beurteilung, aber ich muß sagen, ich glaube, in einigen deiner Glossen bist du ziemlich unbillig. Ich liebe „The Deemster“ und „The Daughter of Heth“ und „Le Disciple“ und „Mr. Isaacs“, und „Robert Elsmere“ verehre ich geradezu. Nicht als ob ich ihn als ernsthaftes Buch betrachten könnte. Als Darlegung der Probleme, vor die sich der ernste Christ gestellt sieht, ist er lächerlich und veraltet. Er ist lediglich Arnolds „Literatur und Dogma“, aber ohne Literatur. Er bleibt ebensoweit hinter der Zeit zurück wie Paleys „Evidences“ oder Colensos Methode der Bibelexegese. Auch kann nichts eindrucksloser sein als der unglückselige Held, der feierlich das Anbrechen einer Zeit verkündet, die längst heraufgekommen ist, und ihre wahre Bedeutung so völlig verkennt, daß er sich vornimmt, das Geschäft der alten Firma unter einem neuen Namen fortzuführen. Andrerseits enthält das Buch einige gute Karikaturen und eine Masse schöne Zitate, und Greens Philosophie versüßt die bittere Pille des Romans, den die Verfasserin dazu gegeben hat, sehr angenehm. Ferner muß ich meinem Erstaunen Ausdruck geben, daß du nichts über die zwei Romanschreiber gesagt hast, in denen du immer liest, Balzac und George Meredith. Sie sind doch sicher alle beide Realisten?

Vivian: Ah! Meredith! Wer kann ihn auf eine Formel bringen? Sein Stil ist durch Blitze erleuchtetes Chaos. Als Schriftsteller hat er alles gemeistert außer der Sprache: als Romanschreiber kann er alles, nur keine Geschichte erzählen: als Künstler ist er alles, nur nicht deutlich. Jemand bei Shakespeare – Touchstone, glaube

Empfohlene Zitierweise:
Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/18&oldid=- (Version vom 1.8.2018)