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schmeckt, und wie steil die Treppen im Haus eines Fremden sind. Im Saturn singen die Seelen nicht und selbst die, die uns führt, vermag nicht zu lächeln. Auf einer goldenen Leiter steigen und sinken die Flammen. Zuletzt sehen wir die Verherrlichung der mystischen Rose. Beatrice richtet die Augen auf das Antlitz Gottes und wendet sie nicht wieder weg. Die beseligende Schau ist uns verstattet; wir erkennen die Liebe, die die Sonne und alle Sterne bewegt.

Ja, wir können die Erde sechshundertmal[WS 1] zurückdrehen und uns eins machen mit dem großen Florentiner, am selben Altar mit ihm knien und seine Verzückung und seinen Haß teilen. Und wenn wir von der alten Zeit genug haben und unsre eigene Zeit in all ihrer Müdigkeit und Sünde gewahren wollen, gibt es nicht Bücher, die uns in einer einzigen Stunde mehr Leben geben, als das Leben uns in zwanzig schändlichen Jahren leben läßt? Dort nahe bei dir liegt ein kleines Buch, in nilgrünes Leder gebunden, in das vergoldete Seerosen geprägt sind und das mit hartem Elfenbein geglättet wurde. Es ist das Buch, das Gautier liebte, Baudelaires Meisterwerk. Öffne es bei dem trauervollen Madrigal, das beginnt

„Que m’importe que tu sois sage?
Sois belle! et sois triste!“

und du kommst zu einer Anbetung des Schmerzes, wie du nie die Freude angebetet hast. Gehe weiter zu dem Gedicht von dem Mann, der sich selbst peinigt, laß seine seltsam-schöne Musik sich in dein Hirn schleichen und deine Gedanken färben, und du wirst für einen Augenblick der werden, der es schrieb; ja, nicht bloß für einen Augenblick, sondern für viele schlaflose Mondscheinnächte und sonnenlose, öde Tage wird eine Verzweiflung,

  1. Vorlage: sehshundertmal