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gleicher Weise angenehm ist. Gewöhnliche Menschen fühlen sich schrecklich „wie zu Hause in Zion“. Sie haben Lust, die Dichter unterm Arm zu nehmen und haben so eine hübsche dumme Art zu sagen: „Wozu sollten wir lesen, was über Shakespeare und Milton geschrieben wird? Wir können die Stücke und Gedichte lesen. Das genügt.“ Aber ein Verständnis Miltons ist, wie der verstorbene Rektor von Lincoln einmal bemerkte, der Lohn eines langwierigen Studiums. Und wer Shakespeare wahrhaft verstehen will, muß das Verhältnis verstehen, in dem Shakespeare zur Renaissance und zur Reformation steht, zum Zeitalter der Elisabeth und des Jacob; er muß mit der Geschichte des Kampfes um die Vorherrschaft zwischen den alten klassischen Formen und dem neuen Geist der Romantik vertraut sein, zwischen der Schule Sidneys, Daniels, Jonsons und der Schule Marlowes und seines größeren Sohnes; er muß das Material kennen, das Shakespeare zur Verfügung stand und die Art, wie er es benutzte, und die Bedingungen der Theateraufführung im 16. und 17. Jahrhundert, ihre Beschränkungen und ihre Möglichkeiten zur Freiheit, und die literarische Kritik zu Shakespeares Zeiten, ihre Auffassungen und Formen und Regeln; er muß die Entwickelung der englischen Sprache kennen lernen und die verschiedenen Stufen in der Geschichte des Blankverses und der Reimweise; er muß das griechische Drama studieren und die Beziehung zwischen der Kunst dessen, der den „Agamemnon“ geschaffen hat und des Schöpfers des „Macbeth“, mit einem Wort, er muß das London der Elisabeth mit dem Athen des Perikles verbinden und Shakespeares wahre Stellung in der Geschichte des europäischen Dramas und des Dramas der Welt verstehen können. Der Kritiker kann sicher