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Orthodoxie, aus seinen Schuljahren her; er las deshalb nur selten seine Bekenntnisse und De Civitate Dei. Dagegen durchblätterte er zuweilen die Psychomachia des Prudentius, des Schöpfers des allegorischen Genres in der Poesie, oder die Werke des Bischofs Sidonius Appolinaris, der den heidnischen Olymp mit geistreicher Wehmut bekämpft.


V.

Wir gaben einen möglichst getreuen Bericht von den Aussprüchen Huysmans’ über Des Esseintes’ Bibliothek. Dass dieser wunderliche Nervenleider ein gründlicher Kenner der lateinischen Litteratur ist, kann ohne parteilich erscheinen zu wollen, durchaus nicht geleugnet werden. Nun tritt plötzlich Huysmans auch als ein Mann der klassischen Bildung auf, und zeigt eine Belesenheit in der lateinischen Litteratur von sechs Jahrhunderten, wie wir sie nur selten bei den Vorkämpfern der neuesten litterarischen Helden finden.

Das Kapitel über die Des Esseintes’sche Bibliothek bietet eine so merkwürdige Probe von Gelehrtheit, wie wir sie bei dem Verfasser von Marthe, von Croquis Parisiens, von En Ménage gewiss nicht erwartet hätten. Aber in einer Hinsicht überrascht uns Huysmans’ Urteil über die lateinische Litteratur durchaus nicht. Nach seiner Meinung müssen alle Schriftsteller, die bis jetzt allgemein für Meister gehalten wurden, als böse Buben aus dem Vorhof des Tempels gejagt werden.

Vergil wird als Plagiator an den Pranger gestellt, Horaz wird ein Stümper genannt, Cicero als aufgeblasener Grosssprecher beiseite geschoben. Huysmans — denn Huysmans und des Esseintes sind hierin ganz identisch — findet Geschmack an Lucanus, weil dieser Dichter durch die wunderlichste Wahl seiner Ausdrücke sein Publikum kitzelt; vor allen liebt er Petronius und Apulejus, weil sie die einzigen Romanschreiber des Altertums sind, weil ihr Realismus vor nichts zurückschreckt.

Es geht damit, wie mit seinem Urteil über die Malerei. Was allgemeine Anerkennung findet, weist er weit von sich ab. Was die verflossenen Jahrhunderte unter Zustimmung aller Autoritäten für schön hielten, nennt Huysmans hässlich. Es muss nach seiner Meinung ein Ende gemacht werden mit der Herrschaft früher beweihräucherter Schriftsteller; die Götter müssen von dem Altare gestürzt und die Halbgötter darauf erhoben werden. Der unter den Malern begonnene Bildersturm muss mit den lateinischen Dichtern und Prosaschreibern fortgesetzt werden.

Was für ein wunderliches Buch A Rebours ist, zeigt deutlich dies geistreich geschriebene Kapitel über die Geschichte der lateinischen Litteratur, das nur geschrieben ist, um den eigenartigen Seelenzustand Des Esseintes’ zu schildern. Mit solchen ausführlichen Einschiebseln ist der Roman ganz und gar überladen. So kauft zum Beispiel jener moderne Einsiedler bei Chevet im Palais-Royal eine Schildkröte, und lässt die Schale des Tieres vergolden und mit kostbaren Steinen verzieren. Bei der Auswahl dieser Steine fügt er eine ausführliche Stelle über Edelsteine ein, die wiederum eine ungewöhnliche Kenntnis und ein ganz besonderes Interesse an fabelhafter Pracht à la Tausend und eine Nacht' oder à la Fortunio verrät. Diese Vorliebe für orientalisch-romantische Pracht begleitet Des Esseintes in allen Augenblicken seines einsamen Lebens. Der Thee, den er trinkt, wird durch besondere

Empfohlene Zitierweise:
diverse: Zeitschrift für französische Sprache und Litteratur. Oppeln und Leipzig: , 1889, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:ZfSL_-_58.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)