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„Das hässliche Scheusal hat die drei verwaisten Kinder zu sich genommen!“

„Die sechs Kinder hungern! Sie muss doppelt so viel arbeiten! Ohne Rast und Ruhe durchwatet sie den Schlamm der Strassen, schiebt ihren Handkarren und kreischt mit gellender Stimme: Schöne Waare! Kauft!“

Der Vorzug dieser Prosaidyllen ist, dass Huysmans hier häufig feiner und akkurater zeichnet, dass er die Holzkohle auf die Seite legt und zur Radiernadel greift.

Die zwei grössten Stücke aus Croquis Parisiens sind in der That wie mit dem Grabstichel entworfen; es sind Les Folies-Bergère und Le Bal de la Brasserie européenne. Man erinnere sich der sorgfältig ausgeführten Aquarellen in Zola’s Une Page d’amour. Еs sind Ansichten von Paris; Paris im wechselnden Tageslicht, bei Sonnenschein, bei Sturm und Regen. Huysmans malt in gleicher Weise das Innere der Häuser. Er radiert den früher allgemein besuchten Vergnügungsort Les Folies-Bergère, und als Seitenstück dazu einen Soldatenball in Grenelle, einem der abgelegensten Viertel von Paris.

Die Seiltänzerkünste zweier Akrobaten, eines Engländers mit seiner Frau, die an Trapezen hängen und sich hoch an der Decke des Darstellungsraumes hin und her schwingen, während das opalfarbige elektrische Licht sie mit einem silbernen Nimbus umgibt, diese Künstler, von denen einer am Schluss unter plötzlichem Verstummen der Musik, nach einem heftigen Knall das Trapez loslässt, um von dem anderen aufgefangen zu werden und in ein grosses Netz zu fallen, — diese in unserem Jahrhundert so hoch bewunderte Muskelvirtuosität, diesen kindischen Genuss eines Haufens von Müssiggängern und Tagedieben beschreibt Huysmans meisterhaft in dem glänzendsten Französisch, das man sich nur denken kann. Der Jubel des Publikums, wenn das halsbrecherische Stück gelungen ist, das Erscheinen der Luftspringer nach dem Hervorruf, die Verbeugungen des Mannes, die Kusshände der Frau, und der kurze, kindische Trab, in dem sie die Bühne verlassen, — nichts ist vergessen.

Noch ausführlicher und nicht weniger genial ist der Soldatenball in der Brasserie européenne geschildert. Huysmans sitzt unweit zweier Bürgerfrauen, Madame Haumont und Madame Tampois. Man tanzt auf Asphalt unter einem Glasdach, das eiserne Pfeiler stützen. Unteroffiziere und Soldaten aller Waffengattungen treten auf dem Tanzplatz auf. Die Tänzerinnen sind zum grösstenteil sehr ruhig. Sie sind meistens in Gesellschaft von Verwandten, die eben so ruhig auf rings an der Wand hinlaufenden Bänken sitzen und dem Ball bewundernd zusehen.

Zahlreiche Personen in strenggezeichneten Typen, zwei oder drei freche Tänzerinnen, lärmende Schlächter aus dem Abattoir von Grenelle, Kürassiere und Artilleristen, wogen durcheinander. Dichte Staubwolken steigen vom Boden auf; das schmetternde Dröhnen der Musik übertönt jeden anderen Laut. Eine stickende Atmosphäre erfüllt den Saal, gar mancher möchte dem Gedränge entrinnen. Unter dem Tanzsaal ist eine Kaffeeschänke, die überfüllt ist von Soldaten. An den Wänden hängen allerlei Waffen und neben Helmen mit schwarzen oder roten Pferdeschweifen Schakos und rote Käppis. Der Lärm vermehrt sich. Es wird tapfer getrunken, es wird sehr reichlich soupe à l’oignon bestellt. Schon wirft man drohende Blicke um sich her. Bald beginnen Schlägereien.

Empfohlene Zitierweise:
diverse: Zeitschrift für französische Sprache und Litteratur. Oppeln und Leipzig: , 1889, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:ZfSL_-_50.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)