Maßregeln, durch welche Karl die Zustimmung der Kurfürsten von Trier und Köln zur Wahl Wenzels erkaufen mußte, gehörte die Urkunde vom 11. November 1374, durch die er die früher mit Rat und Zustimmung der Kurfürsten erlassenen Gesetze und Ordnungen, nach welchen jede künftige Königswahl zu Frankfurt am Main vollzogen werden solle, widerrief, aufhob und vernichtete, angeblich zu dem Zwecke, daß die Wahl und Kur frei sei.[1] Der Wortlaut der Urkunde ist so gefaßt, daß man allenfalls herauslesen konnte, daß nicht nur die Bestimmung über den Wahlort selbst, sondern auch alle übrigen im Zusammenhange mit ihr erlassenen Gesetze und Ordnungen widerrufen sein sollten. Ob diese Zweideutigkeit beabsichtigt war, können wir dahingestellt sein lassen; jedenfalls aber zeigt schon die unwahre und klägliche Begründung der Aufhebung, wie wenig bedenklich Karl IV. mit seinem eigenen Gesetz umsprang. Nehmen wir nun noch dazu Karls zweideutiges Verhalten in dem Streite über das Schwertträgeramt[2] sowie sein schon oben charakterisiertes Verfahren bei der Erwerbung der Mark Brandenburg im Vertrage zu Fürstenwalde, so können wir nicht anders urteilen, als daß Karl IV. sein großes Gesetz, unzweifelhaft sein größtes Werk überhaupt, mit nur geringer Achtung behandelt hat, die im merkwürdigsten Gegensatze steht zu den idealen Beweggründen und dem freien Entschluß, aus denen es entstanden war.
Karls IV. Verhalten zu seinem eigenen Gesetze trägt wohl zum Teil die Schuld, daß es auch unter seinem Nachfolger ganz zurück- und erst bei Wenzels Absetzung und Ruprechts Wahl wieder hervortritt. Freilich wird auch hier in den offiziellen Schriftstücken über diese Vorgänge die Goldene Bulle nicht angeführt; wohl aber geschieht das in Berichten von Privatpersonen. Einer dieser Berichte ist verfaßt von dem pfälzischen Rat und Notar Sobernheim und darf wegen der Stellung des Verfassers Anspruch auf besondere Beachtung erheben. Es entspricht wohl den in der Umgebung Ruprechts und seiner Wähler, der drei geistlichen Kurfürsten, herrschenden Anschauungen,
wenn er sich für die Rechtmäßigkeit der Wahl auf eine
Karl Zeumer: Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. (Teil 1). Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1908, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeumer_Die_Goldene_Bulle.pdf/247&oldid=- (Version vom 1.8.2018)