wenigstens theoretisch sein sollte. Das Schweigen der Goldenen Bulle von den erzkanzlerischen Rechten kann also höchstens die Bedeutung haben, daß der Gesetzgeber es vermeiden wollte, das Maß und den Umfang der Rechte ein für allemal gesetzlich festzulegen.
Ein gewisses Hindernis für eine Kodifikation der erzkanzlerischen Rechte mochte auch darin gefunden werden, daß diese nicht in völlig gleicher Weise jedem der drei Erzkanzler zustanden, und eine einheitliche Regulierung nicht durchführbar erscheinen mochte. Möglichenfalls, und das halte ich für das wahrscheinlichste, fand der Gesetzgeber gar keinen Anlaß, sich über den Inhalt der Rechte eines Erzkanzlers im Rahmen dieses Gesetzes zu äußern. In c. III und IV, wo von den Ehrenrechten der einzelnen Kurfürsten bei Hoftagen und Königswahlen gehandelt wird, war durchaus keine Gelegenheit, der Beziehungen der drei geistlichen Kurfürsten zur Reichskanzlei zu gedenken. Hier wie in den Metzer Zusätzen konnte man sich sehr wohl auf die bei festlichen Gelegenheiten nach außen hin erkennbaren Manifestationen der Beziehungen der Erzkanzler zur Reichskanzlei begnügen, diese Beziehungen selbst aber als interne Angelegenheiten unerwähnt lassen.
Freilich hat schon im Jahre 1406 König Ruprecht sich dem Erzbischof von Mainz gegenüber, als dieser gemäß den Privilegien seiner Kirche die ihm vorenthaltenen erzkanzlerischen Rechte in Anspruch nahm, für die Verweigerung dieser Rechte auf die Goldene Bulle gestützt.[1] Es war lediglich das Schweigen der Goldenen Bulle, worauf Ruprecht sich berufen konnte, und dieses konnte unmöglich den positiven Bestimmungen der Mainzer Privilegien derogieren, zumal da Ruprecht selbst diese Rechte dem Mainzer im Jahre 1400 feierlich bestätigt hatte.[2] Wenn dagegen der König behauptete, das Reich habe allzeit die Kanzlei besetzt, so entsprach das allerdings wohl den Tatsachen. Denn, so oft und deutlich auch den Erzkanzlern das Recht verliehen ist, den Hof- oder Vizekanzler und die übrigen Kanzleibeamten zu ernennen und abzusetzen, so sind die hierauf bezüglichen Bestimmungen
in der Hauptsache stets tote Buchstaben geblieben.
Karl Zeumer: Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. (Teil 1). Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1908, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeumer_Die_Goldene_Bulle.pdf/243&oldid=- (Version vom 1.8.2018)