Seite:Zerstreute Blaetter V.djvu/332

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Stuffen fortgieng. Es war Natur der Sache, daß die dramatische Musik vieles gewann, wozu sie im Heiligthum nie kommen konnte, insonderheit, ich möchte fast sagen, sichtbare Bestimmtheit. Sie muste an einer vorgestellten Handlung Theil nehmen, diese vorbereiten, leiten, ausdrücken helfen; tändeln und lachen, sogar niesen und gähnen mußte sie lernen. Da sie einzelne Charaktere auszudrücken, individuelle Situationen zu beleben hatte: so ward sie aufs feinste und lebhafteste charakteristisch. Dies alles lag ausser den Grenzen der heiligen Tonkunst; sie vergiftete sich selbst, wenn sie nach solchen verbotenen Früchten greifen wollte. Dafür aber blieb ihr ihr Baum des Lebens um so sicherer, die reine, allgemeinmenschliche Rührung; die dramatische Tonkunst selbst mußte nach seinen Blättern und Blüthen greifen, wenn sie aufs Herz des Menschen, nicht blos auf Auge und Ohr wirken wollte. Wie oft schließen wir unser Auge bei einer schönen Musik des Theaters, und mögen

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Fünfte Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1793, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_V.djvu/332&oldid=- (Version vom 1.8.2018)