ganz ihren Zweck verfehle. Auf dem Theater ist alles auf dramatische Vorstellung, Charakterschilderung, aufs Spiel der Personen eingerichtet; hier zeigen sich, wie gesagt, keine Personen, hier wird nichts repräsentiret. Es sind reine, unsichtbare Stimmen, die unmittelbar mit unserm Geist und Herzen reden. Wollte man biblische Geschichten dramatisiren; so gehören sie nicht für die Kirche, sondern mögen zu Hause in sogenannten geistlichen Cantaten gesungen ober gespielt werden. Vor der Gemeine verliert die einzelne Person, sie möge einen Petrus oder Johannes, eine Maria oder Magdalene vorstellen, nicht nur alles Ansehn mit ihrer Gebehrde, sondern das Wort ihrer Stimme verliert auch als Wirkung. Dies Wort muß ihrem Munde schon entnommen, und allgemeiner Gesang, ein Wort an alle menschliche Herzen geworden seyn: alsdann wirds eine Stimme der heiligen Tonkunst. So z.B. der Gesang Simeons, so selbst die Worte Christi, der Propheten und Apostel.
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Fünfte Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1793, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_V.djvu/330&oldid=- (Version vom 1.8.2018)