Seite:Zerstreute Blaetter V.djvu/326

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

zwei und drei sehr unvollkommen zu uns hinüber gerettet worden. Das prächtige pange lingua gloriosi, die sapphischen und anapästischen Metra wagen sich nicht in unsern Kirchengesang, der größtentheils aus den Meistersängerzeiten seine Melodieen erhalten. In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts wollte man diesen mit weicheren, abwechselnden Sylbenmaassen vermehren; meistens aber geschah es so ganz ohne Geschmack und Würde, daß sich die neuen polymetrischen Gesänge zum Glück nicht erhalten haben; daher die ältern, unter welchen mehrere Vortrefliche sind, immer noch die vorzüglicheren bleiben. Und doch, wer sollte es dem Kirchengesange wehren, alle die Abwechselung, allen den Flug zu nehmen, den der Hymnus oder das Lied fodern? Aber Musik muß diese Melodieen einführen; sie müssen zuerst in einem größeren Gebäude der Tonkunst erscheinen, daß die Gemeine sie, unvermerkt gleichsam und willig, lerne. Was in der Welt bedeutet sonst der einzelne Vers eines Chorals, den wir

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Fünfte Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1793, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_V.djvu/326&oldid=- (Version vom 1.8.2018)