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Englische Sprache ist voll einsylbiger Worte; die längeren werden zusammengezogen und nach dem Schall im Munde, nicht nach den Sylben gerechnet; bei uns Deutschen ist Alles dies anders. Und doch hat die Englische Prosodie Auskünfte getroffen, vor denen wir uns noch fürchten, und lieber unsre Sprache verderben.[1] – –


  1. So wahr dies alles in Absicht der einförmigen Jamben, zumal wenn sie hölzern gebraucht werden, seyn mag: so paßt es nicht auf andre lebendigere Sylbenmaasse, in denen das Metrum mit dem Geist und Genie des Gedichts, ja selbst mit der Physiognomie jedes Verses und jeder Strophe aufs innigste Eins wird. Keine Sprache Europa's kann sich hierinn der Griechischen so Zwanglos nähern als die Deutsche; und natürlich ist dies eine vollkommnere Versification, als wenn die Declamation eines Gedichts der Skansion desselben widerspricht und diese nur für das Auge gemacht scheinet. Auf jenem Wege ist auch die innigste Zusammenschmelzung der Poesie und Musik allein möglich. Klopstock hat diesen Weg der Poesie eröfnet, und andre haben sich eigne Fußsteige gebahnet, so daß wir zur unskandirten Barbarei nicht mehr zurückkehren können, noch dörfen.
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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Fünfte Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1793, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_V.djvu/300&oldid=- (Version vom 1.8.2018)