Die gegebnen Proben zeigen, daß Weckherlin, wie alle seine Vorfahren, die Sylben zum Verse mehr zählte, als maas, lieber, wenn ich so sagen darf, sie dem Sinn nach deklamirte, als Schulmäßig skandirte. Er that dabei, was die Poesievollsten Nationen, Spanier und Italiener, (Franzosen ungerechnet) noch thun, und wovon sich die Wirkung jedem Ohr ergiebet: nehmlich, der Vers bekommt dadurch Physiognomie und Leben, es wird eine Wortfolge, wie der Geist des Gedichts und der Strophe sie gleichsam forthaucht. Die Seele des Verses belebt auch den Wortbau und der Accent, den der Dichter jetzt auf dies Wort, jetzt auf jenes, als auf seine rechte Stelle zu legen wußte, thut seine natürliche Wirkung. Dazu kommt, daß, wie schon Weckherlin anführt, die deutsche Sprache bei diesem Versbau im Besitz und Gebrauch aller ihrer schönen, vielsylbigen und zusammengesetzten Worte bleibt, die zerfetzt und zerschnitten, oder zusammengedrängt und
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Fünfte Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1793, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_V.djvu/297&oldid=- (Version vom 1.8.2018)