B. Du irrst, wenn du das von allen glaubest. Denn, mögen einige solche Fortpflanzer des Irrthums gewesen seyn: so ist doch allenthalben die unendliche Schwachheit der menschlichen Natur so sichtbar, daß viele von ihnen sie nicht nur nicht verheelt, sondern offenbar gezeigt haben. Dies könnte uns zur Sicherheit gnug seyn, wenn wir nicht weit begieriger auf Absurditäten, als auf Vernunft wären.
A. Dörfen wir denn nicht hoffen, daß wir alle einmal, wie in das Schloß der Wahrheit versammlet, einmüthig nur das erwählen, was überall das beste, und verwerfen, was hier, dort und da ungereimt und eine Misgeburt ist?
B. Das wollen wir Gott überlassen. Mir scheint jedes Zeitalter an seinen Lastern und Irrthümern krank zu liegen, die dann freilich dem folgenden Zeitalter ungereimt scheinen; indessen wird die Albernheit nie aus der Welt geschaft, sondern nur verändert.
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Fünfte Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1793, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_V.djvu/167&oldid=- (Version vom 1.8.2018)