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nennen, suchen und lieben, als ich Dich nennen und suchen kann; und dieser ewige Zug Deines Herzens zu dem Meinen ist mir ein eingepflanzter Bürge meiner unsterblichen Neigung zu Dir, und des immer wachsenden Genusses Deiner.

     Aber wie wird der Ewige genossen? durch Anschauung? oder durch Empfindung? Unser Autor hat eine harte Bemerkung über die Schwärmer gemacht, [1] die, recht geprüft, leider nur zu wahr seyn möchte. Es ist die allgemeine Erfahrung, daß in alle Schwärmereyen Weiber verwickelt gewesen; oft wurden die Männer nur angesteckt durch Weiber, die sie, wie es hieß, neu gebahren. Den Männern waren sie also gleichsam Mittlerinnen der Gottheit; und wie sie sich die Gottheit, insonderheit den menschlichen Gott dachten, und ihn empfanden; davon liegen ja so viele Schriften und Briefe der Welt vor Augen. Die Ohnmacht, die die heilige Thersia vor dem Altar fühlte, als der himmlische Amor ihr Herz berührte, konnte, wenn sie in diesem



  1. Hemsterhuis philos. Schriften, Th. I. S. 88.


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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_358.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)