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Zwecke der Darstellung jedes Bildes müssen seinen Gesichtspunkt, mithin auch seine ganze Zeichnung jedesmal verändern; die innern Regeln seiner Vollkommenheit aber bleiben demohngeachtet immer dieselben. Wäre es unserm Bau und der harmonischen Stimmung unsrer Seelenkräfte nach möglich, daß in Einem Gegenstande für uns sich Wahrheit, Lebhaftigkeit und Klarheit in gleichem Grade verbinden ließen; warum sollten sie nicht mit einander dürfen verbunden werden? In Gott ist die höchste Wahrheit, Lebhaftigkeit und Klarheit, ohne daß Eine dieser Eigenschaften die andre schwächte, ohne daß er sich Einer derselben schämen dürfte. Es ist also nur ein Bettelstolz der sogenannten obern Kräfte der Seele, daß sie sich ihrer Schwestern, die sie verächtlich die niedern nennen, als unächter Geschwister oder als dienender Mägde schämen. Von Sinnen und der Erfahrung gehet unser Erkänntniß aus und auf sie kommt alles zurück: ohne Glieder und

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Dritte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1787, Seite 098. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_III_098.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)