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Nannte jetzt den Palmbaum seinen Bruder,

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Nannt’ die Quelle seine Schwester, labte

Sich an ihrem Trank, an seinen Früchten,
Kleidete sich in des Baumes Blätter;
Aber keines Menschen süße Stimme
Kam zu ihm die siebzig lange Jahre.

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     Endlich hört’ er eines Mannes Fußtritt:

„Dieser, sprach er, ist von Gott gesendet,
Daß er mich begrabe!“ nahm den Gast auf,
Und erzählt’ ihm seines Baums Geschichte.
„Also, hast du deine Pflicht erfüllet;

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Eil’ hinweg! für dich ist dieser Ort nicht.

Menschen sind geschaffen für die Menschen.“

     Kaum gesprochen, sank der Greis danieder
Todt; ein Sturmwind riß den Baum mit seinen
Wurzeln aus; die Quelle war versieget.


Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1797, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_6.pdf/331&oldid=- (Version vom 1.8.2018)