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geistreiche Maler seiner Darstellung zu Grunde legte, und so wird sogleich das gemein-historische Bild in eine höhere, allgemeinere, religiöse Sphäre erhoben. In dieser aber vergeistigt sich alles, entzieht sich alles der sinnlichen Wahrnehmung, und strebt über die bildliche Darstellung hinaus. Der Maler mußte also zur Allegorie seine Zuflucht nehmen, und durch Andeutung das Körperliche mit dem Geistigen verknüpfen. Dies ist ihm auch vollkommen gelungen.

Es naht sich der Zug der Kinder, welche nicht recht wissen, was ihnen bevorsteht; gehorsam sind sie ihrem Anführer gefolgt. Die rohen Krieger drohen, aber die Unschuld der Kinder macht sie wehrlos. Procopius, eine große, aber verwilderte Natur, kämpft mit sich selbst; die Menschlichkeit behält das Uebergewicht. Noch ist alles furchtbar ungewiß, aber fromme Zuversicht soll uns tröstliche Gewißheit geben. Der Gott vertrauende redliche Wolf zittert nicht, er faltet die Hände, er erhebt den Blick. Fest, wie sein Gemüth, wie seine kräftige Gestalt, steht der Glaube in ihm, er ist symbolisch der Glaube selbst. Und zwei schöne himmlische Kinder gehen vor ihm her, Liebe und Hoffnung, das eine mit einem grünen Zweige, das andere in morgenrothen Gewande. Wo Glaube, Liebe und Hoffnung walten, ist der Sieg gewiß, selbst in Tod und Noth. Da aber hier drei christliche Tugenden, welche nur geistig sich anschaun, sichtlich blos andeuten lassen, personificirt erscheinen mußten, so ist dies Bild als ein religiös mystisches zu betrachten, durch welches die Idee nie ganz verkörpert, nicht ganz zur plastischen Gestalt werden kann. Ja ein zukünftiger Moment, der des Sieges des Glaubens über Fanatismus, der Liebe über Rohheit, der Hoffnung über Furcht, soll verbreitet im Gegenwärtigen liegen, und gleichsam durch dieses prophetisch angedeutet werden. An ein Kunstwerk dieser Art haben wir doppelte Ansprüche zu machen. Für’s erste, daß es verständlich sey, und sodann, abgesehen von dem geistigen Gehalt, als Bild befriedige. Beides ist dem Maler vollkommen gelungen, gewiß wird jedem die Idee durch das Bild klar, und das Bild führt zugleich den Beschauer in ein höheres Gebiet geistiger Anschauung hinüber. Das einzelne ist ansprechend, ja rührend. Die Kinderphysiognomien sind höchst naiv, und was fast noch kein Maler, außer Raphael, vermochte, in die schuldlosen, unentwickelten Züge der Kinderköpfe einen bestimmten Ausdruck zu legen und jeden individuell zu charakterisiren, hat Prof. Rösler bewundernswürdig geleistet. Die Schüchternheit der kleinen Mädchen, der Trotz einiger Knaben, die Sorglosigkeit der Jüngsten, und die Bangigkeit der Verständigern, gewährt das mannigfaltigste, sinnigste Schauspiel für Auge und Geist. So sind auch die Gesichter des Kriegsvolks sehr wahr und treffend aufgefaßt und dargestellt. Nur eins wünschten wir anders, nämlich folgendes, daß Procopius nicht zwischen dem Viertelsmeister Wolf, der zur Rechten in der Mitte seiner eigenen Kinder steht, und der Hauptgruppe des Kinderzugs zur Linken, welcher von Naumburg heranrückt, stünde. Wolf wird dadurch zu sehr von den Kindern getrennt, welche er doch anführt. Auch wollen Kenner behaupten, worüber ich nicht zu entscheiden wage, daß der Augenpunkt zu hoch angenommen sey. Ein hoher Standpunkt, scheint mir, war wohl nöthig anzunehmen, um ein so reichhaltiges Gewühl von Menschen bequem überschauen zu lassen. Da diese Bemerkungen der Würdigung des eigentlich geistigen Gehaltes keinen Abbruch thun, so durfte ich sie wohl um so unbefangener anführen.

Wir Deutsche haben, unserer mehr geistigen als sinnlichen Natur zufolge, mehr Sinn für religiöse, mystische und allegorische Gegenstände, und schon die trefflichen Werke unserer vaterländischen alten Maler beweisen es. Um so verdienstlicher war es vom Prof. Rösler, daß er dieser Neigung und der Richtung unserer Zeit sich hingab, welche nach jenen Zeiten deutscher, geistiger und weltlicher, Selbständigkeit hinweist, als noch in That und Lied und Bild frei das Gemüth dem angebornen Drange nach ewigen und überirdischen Dingen folgte, und dennoch sich von dem Irrthume so vieler Trefflichen nicht hinreißen ließ, welch, das Aeußere, Zufällige der Form von dem Wesentlichen nicht unterscheiden, und nichts weniger als unrecht verstanden, altdeutsch uns ein recht echt deutsches Kunstwerk gab.

Um den Kreis der Kunst ganz zu durchlaufen, bleibt uns noch übrig, einen Blick auf das Portrait zu werfen.

Der Portraitmaler stellt uns entweder den Charakter einer Person durch sein Werk, oder einen bestimmten Charakter durch eine bestimmte Person dar. Das eine oder das andere können wir von ihm fordern, wenn wir ihn als Künstler, nicht blos als Nachahmer eines realen Gegenstandes betrachten. In diesem Falle wird die Individualität in ein Allgemeineres aufgelöst, und das Portrait ist sodann als eine ideales Charakterbild und wahres Kunstwerk zu betrachten. In jenem Falle aber ist das Portrait nur als eine Charakterschilderung

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottlob von Quandt: Ueber die diesjährige Kunstausstellung zu Dresden. Leopold Voß, Leipzig 1818, Seite 1927,1928. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitung_f%C3%BCr_die_elegante_Welt_1818_Quandt.djvu/8&oldid=- (Version vom 10.11.2024)