von Raphael, bald vor dem Bildnisse eines Kardinals von Alb. Dürer, und wußte nicht, welches das vollkommenste Werk von beiden sey; jenes schien ganz Geist, dieses ganz Wahrheit zu seyn. Der Deutschen Nationalgut ist Talent, der Italiener Erbtheil Genie. Mag der Geflügelte sich über die Erde emporschwingen, und in weitem Umkreise blühende Welttheile mit einem Blicke überschauen, und mühelos, einem Gotte ähnlich, mit jedem Athemzuge eine Schöpfung beleben; das stille, kräftige, beharrliche Talent, von Glaube, Liebe, Hoffnung begleitet, durchwandert Schritt vor Schritt den weiten Kreis der Erde, nichts bleibt ihm unbekannt, es gelangt allmählig, aber zuverlässig zum Ziele. Der deutsche Künstler geht diesen schönen, sichern Weg, er berathet sich mit der Natur, und sie enthüllt vor seinen Liebesblicken alle ihre Reize. Darum ist unser trefflicher Landsmann zu preisen, daß er den von der Natur ihm vorgeschriebenen Weg, den des Talents, betrat, und das Herrliche, was er leistete, gibt uns die Versicherung, daß er mit Muth, Beharrlichkeit und Fleiß den Gipfel ersteigen wird, auf welchem vor ihm so viele deutsche Männer anlangten.
Welchen Einfluß das wissenschaftliche Streben auf die Kunst in neuerer Zeit gehabt hat, zeigte Göthe, mit seinem alles durchdringenden Geiste, in einer Abhandlung über Blumenmalerei. Der Blumenpflege nahmen reiche, durch ihren ausgebreiteten Handel mit fernen Welttheilen in Verbindung stehende Holländer sich an. Dieses harmlose Geschäft war zugleich ein Ausruhn von ernster Arbeit, und ein Mittel, den erworbenen Wohlstand und ausgebreiteten Verkehr bemerkbar und gegen Mitbewerber geltend zu wachen. Eben so heiter und im bessern Sinne nur oberflächlich behandelten die Blumenmaler ihr Fach. Zu Verzierungen und Gemälden wurden Blumen an einander gereiht oder gruppirt, aber immer war es nur der wohlgefällige Eindruck, den diese zarten Wesen aus den äußern Sinn machten, den der Blumenfreund suchte und der Blumenmaler auffaßte. Was anfänglich die Liebhaberei gesammlet, herbeigeschafft hatte, fing an die Wissenschaft zu ordnen, dadurch gewannen die Gärtner an Blumen und Kräutern ein neues Interesse, und eine genauere Beobachtung der einzelnen charakteristischen und gemeinsamen Merkmale wurde erfordert. Die Blumenmaler ihrer Seits mußten diesen wissenschaftlichen Bestrebungen folgen, wollten sie sich den Beifall und die Theilnahme der Blumenfreunde in Zukunft sichern. Sie waren genöthigt, diese zarten Naturgeschöpfe mit dem geschärften Blicke des Botanikers zu betrachten, und mit dem für Form und Farbe geläuterten Sinn des Malers aufzufassen, um beide Rücksichten befriedigend in ihren Gemälden zu vereinigen. Die Lösung dieser so schwierigen Aufgabe war Moritz Tettelbach vollkommen gelungen. Ein Strauß frischer Wiesenblumen stand vor uns, als waren sie in Morgenfrühe eben erst gebrochen. Da waren wilde Rosen von sanfter Wangenröthe, welche sich ganz dem Licht geöffnet hatten. Schirmförmig breitete sich die zarte Blüthe der Garbe (Achillaea Millefolium L.) aus, im wetteifernden Wuchs hatte jedes Schwesterblümchen so weit sich hervorgedrängt, wie das andere. Der Künstler wußte diese Pflanze zu benutzen, um sein Bild zu runden. Dieser perspektivische Kunstgriff war ihm um so nöthiger, well in einem so kleinen Raume keine Haltung anzubringen möglich war, wenn er nicht, wie Johann von Huysum, Johann David de Heem, und besonders Weller von der Wahrheit abweichen, und durch eine künstliche Farbenperspektive das Auge täuschen wollte. Die Ausladungen des Straußes bildeten zarte, schwankende Kräuter und noch manches bescheidene, verschämte Blümchen senkte sein Köpfchen nach unten. Da war nichts vergessen, kein Staubfaden, keine Ader, kein Härchen. Genauigkeit und Vollständigkeit war mit Weichheit und Anmuth verbunden. Die Schwierigkeit der Gouachemalerei schien ganz beseitigt zu seyn. – So müssen Blumen gemalt werden! –
Johann Gottlob von Quandt: Ueber die diesjährige Kunstausstellung zu Dresden. Leopold Voß, Leipzig 1818, Seite 1913,1914. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitung_f%C3%BCr_die_elegante_Welt_1818_Quandt.djvu/4&oldid=- (Version vom 10.11.2024)