Seite:Zeitschrift fuer Rechtsgeschichte Germ. Abt. Bd 20 197.JPG

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

des ganzen Wahlcollegiums betrachtet hat, so haben wir im kaiserlichen Land- und Lehnrechtsbuche ein classisches Beispiel für die Fortdauer der germanischen Rechtsanschauung, für die Anwendung des germanischen Majoritätsprincips auf die Königswahl auch noch zur Zeit des Kurfürstencollegiums. Dieses Rechtsbuch stellt nämlich als Grundregel für jede Wahl, und so auch für die Königswahl, den Satz hin, dass jederzeit die Minderheit der Mehrheit Folge leisten müsse. Indem es die Mitwirkung aller Kurfürsten in einer Wahlversammlung voraussetzt, bringt es sogar die Siebenzahl der Kurfürsten mit dieser Idee in Uebereinstimmung und hebt ausdrücklich hervor, dass aus diesem Grunde die Zahl der Wähler ungerade festgesetzt worden sei[1]. Diesen Grundsatz wird man in analoger Weise auch auf den Fall anwenden müssen, wenn die Kurfürsten, in zwei Lager gespalten, getrennt vorgehen wollten. Dann bestand in jedem Lager für die Minderheit gegenüber der Mehrheit die Folgepflicht.

Unter diesen Verhältnissen lag das Schwergewicht auch jetzt noch naturgemäss in den Vorverhandlungen. Dieser Anschluss an die Mehrheit musste eben vor der eigentlichen Stimmenabgabe erfolgt sein und er kam wohl so zu Stande, dass die Minorität erklärte, bei der nun folgenden Abstimmung, die unter den Kurfürsten nach einer gewissen Reihenfolge stattfand, den Candidaten der Majorität zu nominiren. Inwieweit die Minorität sich aber dadurch, dass die Majorität

  1. Ich möchte daher Schuster in M. Bd. III. S. 403 ff. nicht beipflichten, wenn er in der Stelle des Schwabenspiegels (Art. 130) einen der germanischen Auffassung fremden Gedanken erblickt, der zum erstenmale, schon in einem Schreiben Innocenz III. auftritt und von dort vielleicht in das Rechtsbuch Aufnahme gefunden hat. M. E. ist zwischen beiden Quellen ein tiefgehender Unterschied. Der Papst stützt sich, wie oben gezeigt wurde, auf das kirchliche Recht. Das Rechtsbuch hingegen wendet die alte germanische Vorstellung von der Bedeutung und dem Werthe der Stimmenmehrheit auf die Königswahl durch die Kurfürsten an. Darum ist es auch nicht richtig, wenn Rodenberg bei Gierke, Untersuchungen a. a. O. S. 57 Note 2 in der Stelle des Rechtsbuches nur eine Forderung des Spieglers und nicht die Wiedergabe geltenden Rechtes sieht. Ganz zu verwerfen ist die von Zöpfl in seiner Rechtsgeschichte Bd. II. S. 247 vorgetragene Ansicht.
Empfohlene Zitierweise:
Alfred von Wretschko: Der Einfluss der fremden Rechte auf die deutschen Königswahlen bis zur Goldenen Bulle. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1899, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_fuer_Rechtsgeschichte_Germ._Abt._Bd_20_197.JPG&oldid=- (Version vom 1.8.2018)