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äusserte. Im Nothfalle konnte aber auch Waffenstreit entscheiden, und der schwächere Theil unter den Willen des stärkeren gedrückt werden. Allmählich aber drangen bestimmte Normen über die Geltung der Stimmenmehrheit durch. Dem eingebrachten Urtheilsvorschlag konnte ein anderer entgegengestellt werden. Es wurde erhoben, welchem von beiden die mehrere Folge zutheil würde, und diesem mussten sich dann auch die Widerstrebenden bei Strafe anschliessen[1]. Freilich konnten sie das Urtheil auch schelten; dadurch hinderten sie das Zustandekommen eines gemeinen Urtheils vor diesem Gerichte überhaupt. Wo keine Schelte erhoben wurde, da kam es schliesslich durch das allgemeine Vollwort zu einem gemeinen Urtheil[2].

In ähnlicher Weise wurden Beschlüsse in genossenschaftlichen Angelegenheiten gefasst, namentlich wurden so die Wahlen vollzogen[3]. Auch hier konnte die Minderheit der

  1. Ein Beispiel über Verweigerung der Folge führt uns Brunner, RG. Bd. II. S. 225 Note 33 an. Es handelt sich um einen Streit zwischen 2 Kirchen über den Besitz von Eigenleuten. Es wird ein Urtheilsvorschlag auf Zeugenzweikampf eingebracht. Einer der Urtheiler verweigert die Folge und findet ein anderes Urtheil. Der Vicecomes als Richter tritt ihm bei und veranlasst die Versammlung, sich für das letztere Urtheil zu erklären. – Eingehende Darstellungen über Urtheilsfindung und Folge bringen die Rechtsbücher, und sie kennen alle das Mehrheitsprincip in der oben dargelegten Weise. So sagt der Schwabenspiegel ausdrücklich, dass, wenn die zwölf Schöffen sich nicht einigen können, „so sol die minre menge der merren volgen.“ c. 172. Vgl. dazu Ssp. Ldr. II. 12 § 9; Richtsteig Ldr. 48 § 3, Lhr. 9 § 3. Das Mehrheitsprincip kommt auch zur Geltung bei der eigenthümlichen Form der Urtheilsschelte nach sächs. Recht. Der Scheltende muss selbst-siebent kämpfen gegen sieben und „swar die mere menie segenvichtet, die behalt das ordel.“ Ssp. Ldr. II. 12 § 8. Vgl. dazu ebenda I. 18 § 3 und 19 § 2, dann III. 21 § 1 und Ssp. Lhr. 40 § 1. Vgl. auch die Goslarer Statuten 114. 44: cuiuscumque vero sententiae maior pars burgensium assensum praebuerit, eius sententia praevalebit. – Ausdrücklich ist die Folgepflicht der Minorität ausgesprochen in einem Schiedspruch zwischen Erzbischof und Stadt Cöln. Urk. vom 28. Juni 1258, bei Lacomblet, Niederrhein. UB. II. S. 249: generalem esse consuetudinem terrae et civitatum, quod minor pars sequatur maiorem in sententiis. Vgl. dazu Gierke a. a. O. Note 7, 20, 24 ff.
  2. Gierke a. a. O. Note 27, Zöpfl, RG. § 126 Note 90, 96 u. 97.
  3. Vgl. Grimm, Weisthümer Bd. I. S. 35, 76 § 11, 239 § 1,
Empfohlene Zitierweise:
Alfred von Wretschko: Der Einfluss der fremden Rechte auf die deutschen Königswahlen bis zur Goldenen Bulle. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1899, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_fuer_Rechtsgeschichte_Germ._Abt._Bd_20_187.JPG&oldid=- (Version vom 1.8.2018)