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nicht mit der Willenseinigung der an einem bestimmten Orte zusammengekommenen Wähler begnügte, sondern dass man auch noch nachträglich die Zustimmung jener einholte, die der Versammlung ferne gebheben waren. Die Wahlhandlung war daher noch keineswegs eine einheitliche[1]. Daran hielt man zunächst auch dann noch fest, als die alte genossenschaftliche Auffassung durch die zum Theile aus dem römischen Rechte recipirte, dann aber vom canonischen Rechte selbständig weiter ausgestaltete Corporationsidee bereits abgelöst worden war, und die ordnungsmässig zu Stande gekommene Mitgliederversammlung demzufolge nicht mehr selbst das Rechtssubject bildete, sondern nur als Organ und im Namen der an und für sich handlungsunfähigen juristischen Person aufzutreten hatte.

So fehlt das Erforderniss einer einzigen Wahlhandlung noch in den späteren wissenschaftlichen Bearbeitungen des Gratianischen Decrets[2], und auch Bernhard von Pavia, der vor 1179 seine Summa de electione, die erste Monographie über Wahlen, schrieb, kennt noch ein nachträgliches Zustimmungsrecht Abwesender[3]. Aber er hebt bereits hervor, dass gegen die unbedingte Heranziehung aller Wahlberechtigten die thatsächliche Uebung, nicht minder aber auch der Nachtheil spräche, den die Kirche durch zu lange dauernde Vacanzen erleiden würde. Indem er sich des weiteren mit der Frage nach der Einberufung Abwesender zur Wahl beschäftigt, verwirft er zunächst die Anschauung, dass für die Zuziehung des Einzelnen zur Wahl der Umstand entscheidend sei, ob er im Interesse der Kirche oder nur im eigenen abwesend sei. Vielmehr käme es, und dahin sprach

  1. Alle wissenschaftlichen Arbeiten stützen sich auf die im gratianischen Decret aufgenommene Decretale Papst Gregors wegen Wiederbesetzung des Mailänder Bischofsitzes (c. 10 D. 63).
  2. Vgl. die dicta Gratiani zu D. 66, dann zu c. 26 und c. 35 D. 68, ferner des Rufinus und Stephan von Tournay Erörterungen zu diesen Distinctionen.
  3. So heisst es im Tractat des Bernhard von Pavia: de electione II. I. § 2 ff.: diximus enim, quod ille, qui eligitur, ab his, quibus praeficitur, est eligendus. Vgl. auch ebend. § 8. Aber das Zustimmungsrecht Abwesender wird doch schon einigermassen eingeschränkt. Vgl. dazu die Summa decretalium desselben Canonisten I. 4 § 3 und die Decretale Lucius III. c. 9 in prima compilatione I. 4 = c. 6 X. I. 11.
Empfohlene Zitierweise:
Alfred von Wretschko: Der Einfluss der fremden Rechte auf die deutschen Königswahlen bis zur Goldenen Bulle. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1899, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_fuer_Rechtsgeschichte_Germ._Abt._Bd_20_178.JPG&oldid=- (Version vom 1.8.2018)