Seite:Zeitschrift fuer Rechtsgeschichte Germ. Abt. Bd 20 169.JPG

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

auch für die Zeit vor dem Jahre 1257 – mit den Wahlen für geistliche Aemter in Parallele zu stellen und die Entstehung des Kurfürstenthums mit der Einrichtung der Scrutatoren bei den canonischen Wahlen in Zusammenhang zu bringen. Gegen Bresslau und Mayer trat aber Lindner in seiner neuesten Arbeit[1] auf und versuchte den Nachweis zu erbringen, dass ein solcher Zusammenhang zwischen kirchlichen und weltlichen Wahlen dem Wesen nach überhaupt nicht bestehe, dass insbesondere die Königswahl, weder vor noch seit 1257, keineswegs eine absichtliche Nachbildung der Papstwahl sei, dass wir es vielmehr nicht mit einer sprunghaften, sondern mit einer allmählichen, gleichmäßig fortschreitenden Entwicklung durchaus nationalen Charakters zu thun hätten. Wie aus dem Folgenden hervorgehen dürfte, ist Lindner’s Behauptung nicht zutreffend, aber spätere Forschungen werden noch darzuthun haben, dass auch Bresslau’s Annahme in ihrer bestimmten Fassung nicht in allen Punkten aufrecht zu erhalten ist.

Sehen wir von den Wahldecreten, für die bezüglich des Einflusses kirchlicher Formeln kein Streit herrscht, ab, so gibt auch Lindner zu, dass das bei den Königswahlen nachweisbare Ceremoniell, wie wir dasselbe seit den Tagen Rudolf’s I. genauer kennen, in vielen Punkten dem bei den Papst- und Bischofswahlen eingeführten entsprochen habe[2]. Dort wie hier wurde die Handlung mit einem feierlichen Gottesdienste eingeleitet, worauf dann bei Beginn der Wahlhandlung durch den Act der Protestation alle Excommunicirten, Suspendirten und Interdicirten, sowie alle sonst zur Theilnahme an der Wahl nicht Berechtigten aufgefordert wurden, sich der Wahl fernzuhalten und auch gleichzeitig

  1. Hergang S. 3 ff.
  2. Hergang S. 12 ff. Für die kirchlichen Wahlen vgl. ausser Bresslau und den daselbst citirten Belegen namentlich den Titel „de electione et electi potestate“ in den Compilationes antiquae und in der Gregoriana. Dann, abgesehen von älteren Canonisten, wie Rufinus, Stephan von Tournay, den vor 1179 verfassten Tractatus „de electione“ des Bernhard von Pavia, ed. Laspeyres S. 307 ff., die Summen bezw. Apparate von Bernhard von Pavia, Sinibaldus Fliscus, Geffredus von Trano und Hostiensis, endlich den Tractat „de electionibus novorum praelatorum“, den Guilelmus de Mandagotto vor 1285 veröffentlicht hat.
Empfohlene Zitierweise:
Alfred von Wretschko: Der Einfluss der fremden Rechte auf die deutschen Königswahlen bis zur Goldenen Bulle. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1899, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_fuer_Rechtsgeschichte_Germ._Abt._Bd_20_169.JPG&oldid=- (Version vom 1.8.2018)