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Dr. W. Mannhardt (Hrsg.): Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde, Band IV

wollten die leichen ausgraben und nach gewohnheit ihnen einen pfahl durchs herz stoßen. die obrigkeit verhinderte es [1].

In Hessen wüthete einmal die pest sehr arg und andauernd. da kam man auf den gedanken, daß ‚das um sich fressen‘ der todten dran schuld sei. im Schmalkaldischen riß man die gräber wieder auf und stach den mitunter noch nicht völlig erkalteten leichnamen den kopf ab. bei der pest 1558 starb zu Helsa eine alte sehr geizige jungfer. im grabe hörte man sie schmatzen, wie ein grober mensch, oder eine sau thut. man grub sie aus, da hat sie ihr kleid weit aufgefressen gehabt. man stach ihr mit einem spaten den hals ab. darauf hörte sowohl das fressen, als das sterben auf [2].

Südlich ziehen sich derartige abergläubische meinungen und gebräuche bis an die grenze des Keltenlandes hin. Burchard von Worms (um 1000 n. Chr.) berichtet in seiner decretalensammlung: ‚cum aliquis infans sine baptismo mortuus fuerit, tollunt cadaver ejus et ponunt in aliquo secreto loco et palo corpusculum ejus transfigunt, dicentes si sic non fecissent, quod infantulus surgeret et multos laedere posset. – cum aliqua femina parere debet et non potest, in ipso dolore si morte obierit, in ipso sepulcro matrem cum infante palo in terram transfigunt [3].

Nördlich lassen sich bei den Niedersachsen einige, aber nur sehr vereinzelte spuren aufweisen. in der westphälischen grafschaft Mark heißt es: ‚wenn der leichnam schwanke, d. h. elastisch bleibt, werde bald einer aus dem hause nachfolgen [4]. auch im Hannöverschen meint man, ein todter könne einen lebenden ‚nach sich ziehen.‘ in Eimbeck sagte eine sterbende frau zu ihrer schwiegertochter, mit welcher sie beständig in unfrieden gelebt hatte, ‚dein kind lasse ich dir nicht.‘ die alte starb; bald nachher kränkelte das kind und starb auch [5]. der glaube, daß ein


  1. Harsdörfer jämmerlicke mordgeschichten 406.
  2. Lyncker, hessische sagen s. 124.
  3. Myth. XXXIX. XL.
  4. Woeste, volksüberlieferungen der grafschaft Mark. s.
  5. Schambach und Müller, nieders. sagen 222, 236.
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Dr. W. Mannhardt (Hrsg.): Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde, Band IV. Dieterische Buchhandlung, Göttingen 1859, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_deutsche_Mythologie_und_Sittenkunde_-_Band_IV.djvu/279&oldid=- (Version vom 1.8.2018)