Seite:Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde - Band IV.djvu/265

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Dr. W. Mannhardt (Hrsg.): Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde, Band IV

mohnkörner. er betrachtet das geld, zerkaut die scherbe, zählt die mohnkörner. noch andere thun ihm einen stein oder ein mit 3 kreuzen versehenes stück espenholz unters kinn. die durch den biß des Gierrachs erkrankten werden dadurch geheilt, daß man ihnen von dem beim hauptabschlagen aus dem körper desselben fließenden blut unter den trank mischt. in einigen orten Pommerellens gestaltet sich der glaube so: der erste, welcher an einer seuche stirbt, sitzt im grabe aufrecht und zehrt sein laken. so lange er daran zu zehren hat, hört das sterben nicht auf, wenn man ihm nicht mit dem spaten den kopf absticht[1]. vielfache sagen bekunden das leben dieser abergläubischen meinungen. in der mitte des vorigen jahrhunderts starb ein mitglied der Wollschlägerschen familie in Westpreußen, mehrere von seinen verwandten folgten ihm ganz unvermuthet ohne besondere veranlassung des todes in kurzem nach. man wollte sich erinnern, daß das antlitz des verstorbenen die rothe farbe nicht verloren gehabt und es entstand deshalb die allgemeine vermuthung, daß er blutsauger sei. es ward ein familienrath gehalten und darin beschlossen, daß der im jahre 1820 als landschaftsdirector im hohen alter verstorbene Joseph von Wollschläger, damals noch ein junger mann, da er für den beherztesten und unerschrockensten galt, seinem verstorbenen oheim den kopf abhauen sollte. von einem mönch des Bernhardinerklosters Jacobsdorf begleitet begab er sich in die gruft dieses klosters wo der verstorbene beigesetzt war, jeder mit einer kerze in der hand. das sarg wird geöffnet und der leichnam emporgezogen, um ihn auf den rand des sarges zu legen, die natürliche bewegung, welche das in folge dessen zurücksinkende haupt macht, jagt dem mönch solches entsetzen ein, daß er die leuchte fallen läßt und entflieht. obwohl allein verliert Wollschläger doch nicht die besonnenheit,


  1. Die obigen nachrichten über den vieszcyglauben der Kassuben in Westpreußen verdanke größtentheils einer aufzeichnung, das übrige Mrongovius Poln. wörterbuch und der verdienstvollen abhandlung von Flor. Ceynowa ’de terrae Pucenais incolarum superstitione in re medica. Berolini 1851 s. 20. 21, V. 2 entnommen.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. W. Mannhardt (Hrsg.): Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde, Band IV. Dieterische Buchhandlung, Göttingen 1859, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_deutsche_Mythologie_und_Sittenkunde_-_Band_IV.djvu/265&oldid=- (Version vom 1.8.2018)