Seite:Zeitschrift für Volkskunde I 385.png

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang
Seeger, Rose, Eberth, Chr. Veckenstedt, Chr. Adler, Brandt: Sagen aus der Provinz Sachsen VII

5. Der Schatz unter der Tenne.

In einem Dorfe bei Magdeburg ist ein grosser Schatz zu heben. Derselbe liegt unter der Tenne einer Scheune, welche einem reichen Bauer gehört. Um den Schatz wissen viele Leute im Dorfe und gar mancher hat schon den Versuch gemacht, denselben zu heben, aber das Vorhaben ist bis jetzt noch niemand geglückt. Das kommt aber davon, dass die Leute nicht wissen, wie es eigentlich um den Schatz steht. Denselben kann nämlich nur eine nackte Jungfrau heben, wenn sie in der Nacht zwischen elf und zwölf Uhr auf einem schwarzen Bock auf die Tenne reitet.

Chr. Veckenstedt.     


6. Das Schatzfeuer.

Eines Abends befand sich ein alter Schäfer, welcher in einem Dorfe bei Magdeburg wohnte, auf dem Heimwege. Er hatte nach seinen Schafen gesehen, denn am Tage zuvor war bei ihm ein Schäferknecht in den Dienst getreten, welcher nun die Schafe in der Nacht hürden sollte. Nachdem sich der alte Schäfer überzeugt hatte, dass alles in Ordnung war, befand er sich, wie gesagt, wieder auf dem Wege nach seinem Dorfe. Unterwegs gesellte sich noch ein Arbeiter aus demselben Dorfe zu ihm, welcher über Feld gearbeitet hatte und nun auch erst so spät wieder heimkehrte.

Wie die beiden so miteinander dahingingen und sich etwas erzählten, sahen sie neben dem Wege auf dem Felde ein Feuer brennen. Daran merkten sie, dass dort nicht alles richtig war, deshalb gingen sie schweigend an der Stelle vorüber. Es schickte sich nun aber, dass sie auch am nächsten Abend denselben Weg zu machen hatten. Wieder sahen sie auf derselben Stelle ein Feuer brennen. Diesmal gingen sie darauf zu. Als sie aber an das Feuer kamen, sahen sie, dass ein grosser, schwarzer Hund vor demselben lag. Da sprach der alte Schäfer zu dem Knecht: „Nu kiek mâl det Fier un den Hund an. Dâran kannst Du marken, det dâ en Schatz lieht, abber der is nich for uns, süss lege dort der Hund nich. Kumm un lot uns ruig nâ Huse gân.“

Das thaten sie denn auch und niemand hat jemals erfahren, ob der Schatz gehoben ist oder heute noch an derselben Stelle liegt.

Eberth.     


7. Der Drachenbaum.

Auf den Feldfluren verschiedener Dörfer bei Magdeburg, und zwar auf dem rechten Ufer der Elbe, sieht man am Wege alte wilde Birnbäume stehen. Die holzigen Früchte derselben nennt man Kodden, die Bäume selbst aber Drachenbäume.

Auf jeder Dorfflur steht aber nur einer dieser Drachenbäume.

Ihren Namen haben die Drachenbäume davon erhalten, dass früher Drachen in denselben zu hausen pflegten. Auch sonst noch sind die Bäume merkwürdig durch die Art ihres Wuchses; wie nämlich jeder Drache sieben Häupter hatte, so hat jeder Drachenbaum sieben grosse Äste.

Chr. Adler.     


Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 385. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_385.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)