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suchte. Dies gelang ihm jedoch erst, als er wieder bis in die Oberwelt gekommen war, wo die Besudelung von ihm wich. Er dankte den Göttern, der Unterwelt entronnen zu sein, und war von dem Wunsche geheilt, sie je wieder zu besuchen.

An diese Sagen schliesst sich in einem gewissen Sinne die von dem Besuche an, welchen ein Aino dem Gotte unter dem Meere macht. Dieselbe ist um so wichtiger, als sie zweifellos manche Züge mit einer lappländischen Sage ähnlichen Inhalts gemein hat; sie lautet folgendermassen:

Ein Aino war einstmals zum Lachsfang auf die See gefahren. Während er noch weit vom Lande war, erhob sich ein Sturm, der ihn sechs Tage und Nächte umhertrieb, so dass er nicht wusste, wo er sich befand. Schon gab er sich verloren, als er auf einmal Land in Sicht bekam; zugleich besänftigten sich die Wogen und trugen ihn ungefährdet ans Ufer, wo er landete und sich neben einem lieblichen Flusse befand, an dessen Lauf er aufwärts wanderte. Nach einiger Zeit gelangte er an eine volkreiche Stadt, vor welcher er bereits viel Männer und Frauen antraf. In der Stadt selbst war es noch belebter, und ohne Mühe fand er sich zu dem Hause des Ältesten oder Häuptlings, in welches er eintrat. Er traf dort einen Greis von ehrwürdigem Aussehen, der ihm Gastfreundschaft anbot und andern Morgens ihm den Vorschlag machte, mit einigen Leuten seines Volkes, die in Yeso zu thun hätten, nach seiner Heimat zu reisen. Er müsse jedoch sich in einem Boote niederlegen, seinen Kopf verborgen halten und sich nicht umsehen; im andern Falle würde er seine Begleiter sehr erzürnen und Unannehmlichkeiten haben. Alsbald erschien auch eine Anzahl von 100 Kähnen, deren jeder gedrängt voll von Männern und Weibern war und fuhr ab. Der Aino lag in einem der Fahrzeuge und verhielt sich während der Fahrt ganz ruhig; die übrige Mannschaft ruderte fleissig und sang dazu Lieder nach sehr schönen Melodien. Als sie sich jedoch dem Lande näherten, lugte der Aino ein wenig aus und sah, wie sie aus dem Meere in einen Fluss gelangten. Seine Begleiter nahmen Schöpfkellen, probierten das Wasser und lobten es. Die Hälfte der Kähne fuhr stromauf, die andere aber und mit ihr das Boot, in welchem der Aino lag, stach wieder in See und langte endlich an dem Strande an, wo er zu Hause war. Hier warfen ihn die Schiffsleute über Bord und verschwanden samt allen Fahrzeugen, er wusste nicht wohin. Kopfschüttelnd ging er heim, wurde aber nachts durch einen Traum über das belehrt, was er erlebt. Jener ehrwürdige Greis erschien ihm und sprach: „Ich bin kein menschliches Wesen, ich bin ein Meeresgott, der Gott der Lachse. Ich rettete Dich, als Du in Gefahr warst zu ertrinken, und beherbergte Dich, wie es Dir schien, eine Nacht, in Wahrheit aber ein Jahr lang, worauf ich Dich mit meinen Unterthanen, den flussaufwärts steigenden Lachsen, in Deine Heimat sandte. Ich bitte Dich nun, opfere mir recht oft Sake und stelle mir heilige Stäbe auf — dann wird es Dir wohl ergehen. Im andern Falle könnte ich Dich nicht vor Armut schützen.“ Das waren die Worte, die der Greis zu dem Aino im Traume sprach und die dieser stets beherzigte.

Von einem andern „Jenseits“, das in den chinesischen und japanischen Sagen eine grosse Rolle spielt, nämlich von den weithin im Ozean belegenen

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Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_254.png&oldid=- (Version vom 20.11.2023)