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mit der Not der unglücklichen Königin. Eines Tages sandte er einen Engel zu ihr, welcher der Königin einen goldenen Fisch überreichte. Er sagte ihr, wenn sie den Fisch gegessen habe, so werde sie in Jahresfrist einem Sohne das Leben schenken. Die Königin ass den Fisch in froher Hoffnung

An demselben Tage, an welchem dies geschehen war, hatte der König eine mächtige Zauberin kommen lassen. Diese gab der Königin einen silbernen Fisch und sagte ihr, wenn sie denselben gegessen habe, so würde sie nach Jahresfrist einem Kinde das Leben schenken. Die Königin ass auch diesen Fisch.

Nachdem ein Jahr verflossen war, gab die Königin an einem und demselben Tage zwei Söhnen das Leben. Der älteste von ihnen hatte goldenes Haar und auf der Stirn einen goldenen Stern, der zweite aber silbernes Haar und auf der Stirn einen silbernen Stern. Der älteste wurde Hans, der zweite Peter genannt. Die Freude des Königs und der Königin war gross.

Die Knaben, denen man zwei tüchtige Ammen gegeben hatte, gediehen trefflich.

Eines Tages, es war im Sommer, geschah es, als die Knaben bereits einige Wochen alt waren, dass die Ammen mit den Kindern in den grünen Wald gingen. Sie legten die Kinder in das Gras und entfernten sich ein wenig von ihnen, um sich die Gegend anzusehen. Kaum waren die Ammen fort, so kamen eine Löwin und eine Bärin, welche den Kindern ihre Milch darboten. Als die Knaben die Milch der Löwin und der Bärin getrunken hatten, entfernten sich die Tiere, ohne dass die Ammen von den Vorgang etwas gemerkt hatten. Die Knaben wurden von der Milch, die sie genossen, gewaltig stark.

Nach einigen Tagen fiel es den Ammen ein, wiederum mit den Kindern in den Wald zu gehen, sie in das Gras zu legen und sich die Gegend anzusehen. Kaum hatten sie sich von den Kindern entfernt, so kam die Zauberin, welche der Königin den silbernen Fisch gegeben hatte, des Weges, und als sie sah, dass Hans viel schöner und stärker als der Knabe war, welcher ihrer Zauberei das Leben verdankte, rief sie vermöge ihrer Kunst zwei grosse Schlangen herbei und befahl ihnen, sie sollten Hans töten. Darauf entfernte sie sich. Die Schlangen umschnürten auch den Knaben, aber Hans war so stark, obgleich er erst einige Wochen alt war, dass er mit jeder Hand eine Schlange erfasste und dieselbe zerdrückte.

Kurze Zeit darauf kamen die Ammen zu den Kindern zurück. Kaum hatten sie die erwürgten Schlangen gesehen, so ahnten sie den Vorgang, hoben voll Schrecken die Knaben auf und eilten mit ihnen nach Hause. Dort erzählten sie, was geschehen war. Als der Vorgang im Volke bekannt wurde, schauten die Leute mit Bewunderung auf die Knaben und meinten, gewiss sei ein Engel ihr Vater.

Die Kinder wuchsen zu starken Knaben und zu so kräftigen Jünglingen heran, dass man sie bald nur den starken Hans und den starken Peter nannte. Oftmals gaben sie Beweise ihrer ungeheuren Kraft. Als sie fünfzehn Jahre alt waren, erschlug Hans einen gewaltigen Löwen, den

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Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_231.png&oldid=- (Version vom 22.7.2023)