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gewaltigen, in einem Teile der Varianten hunderthörnigen Ochsen, sein Gegenstück. Ja auch der Name vom Wunderdinge könnte eine kleine Veränderung desjenigen vom Weltenpflüger sein. Dazu kommen noch verschiedene kleine Züge, welche sich in einigen Varianten vorfinden. In manchen schleudert Wäinämöinen im Streite mit Louhi einen Teil der Stücke des Sampo nach Osten, einen andern nach Westen, das grösste Stück nach Süden; in der vollständigsten Variante von dem Pflügen der Welt wird erst der Süden besäet (der somit unzweifelhaft das beste Los erhielt), dann der Osten und zum Schluss der Norden.

Ein Sänger in Russisch-Karelien erklärte, der Sampogesang beziehe sich auf die Urzeiten, wo die Erde gepflügt und besäet wurde. Ein anderer setzte im Schlusse hinzu: „wenn der Sampo in vollkommenem Zustande ans Land gekommen wäre, so wäre die Erde wer weiss wie reich geworden!“ In der ältesten Variante (erhalten in Wermland bei Savolaksern, welche um 1600 dort eingewandert waren) heisst es auch, dass eine von den Krallen (der Sampo wird hier, infolge einer Vermengung mit dem verfolgenden Louhi, als ein Vogel aufgefasst) in das Meer fiel, eine andere auf das Land. Von der letzteren hat das Gras seine Fähigkeit zu wachsen erhalten. Hätte man alle Krallen in das Land bekommen, so würde auch das Getreide, ohne vorher ausgesäet zu sein, gewachsen sein. Der letztgenannte Umstand ist besonders ein guter Beweis. Die Mythe von dem Pflügen und Besäen der Welt ist sehr allgemein unter den Slaven, und die Finnen haben sie auf eine Weise, die hier nicht näher geschildert werden kann, von ihnen entliehen. Aber in einer slavischen Variante heisst es, dass der Pflüger von seiner Arbeit weggerufen wurde, als er sie noch nicht vollendet hatte. Hätte er Zeit gehabt, das ganze Land aufzupflügen, so hätten die Menschen niemals mehr Misswachs zu befürchten gehabt. Die Gleichheit ist zu auffallend, um zufällig sein zu können. Ferner hat man aus Russisch-Karelien die Angabe erhalten, dass der Sampogesang als eine Art Zauberlied, sowohl bei der Frühlings- als bei der Herbstsaat, gesungen wird, genau so wie der Gesang von Sampsa Pellervoinen in Ingermanland beim Frühlingsfeste. Schliesslich giebt es eine Variante, welche geradezu die Namen Sampo und Pellervoinen identificiert:

Eher fehlten der Erde wohl die Felder
Wie dem Sampo die Samen
Und dem Pellervo zur Aussaat Stoffe.

Aus all diesem möchte wohl einigermassen deutlich hervorgehen, dass der Gesang von der Besäung der Welt auf die Ausbildung des Sampoliedes eingewirkt hat. Man könnte sich möglicherweise daran haben stossen können, dass Sampsa eine Person und Sampo ein Ding ist; aber in der Mythologie des finnischen Stammes haben wir ein anderes vollkommen unbestreitbares ähnliches Faktum. Bei den Wolgafinnen wird jetzt unter anderen Göttern einer mit Namen Keremet angebetet. Aber dieses Wort, das dem Tatarischen entlehnt ist und, wie angenommen wird, eine Umbildung des arabischen haram oder harem ist, wird auch in einer ursprünglicheren Bedeutung für die heilige Umzäunung gebraucht, wo die Opfer den Göttern verrichtet werden.

Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_135.png&oldid=- (Version vom 21.11.2023)