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nach Norden und von Westen nach Osten. Das erhärtet, was den erstgenannten Weg betrifft, in vielen Fällen aus den in die Gesänge eingeflochtenen Ortsnamen, welche für die Ursprungsorte Zeugnis ablegen. So trifft man allgemeine ingermanländische Gesänge, welche die ingermanländischen Namen Kelttu, Tunteri, Narva enthalten, auch in Savolaks und Karelien an, ja bisweilen sogar in der Gegend von Kajana. Ebenso sind die Namen Jääski, Vuoksi und Imatra aus der Wiborger Gegend bis hoch hinauf in den Norden verbreitet worden. So sieht man auch kieinere Stücke oder einzelne Verse von westfinnischen Legenden und Balladen aus dem Mittelalter, vom Tode des Bischofs Henrik, von der kleinen Elin und dem Ritter Kurek, sowie die Gesänge, welche beim Helkafeste in Sääksmäki in Tavastland gesungen werden, zahlreich eingeflochten in verschiedenartigen Runen, aufgezeichnet in Ingermanland und sowohl im finnischen wie im russischen Karelien. Zum Beispiel wird von Wäinämöinen erzählt, dass er auf seiner Reise nach Pohjola zuweilen nach „priesterlosen, ungetauften Gegenden“ fährt, was für den Bischof Henrik, den Apostel der Finnen, natürlich ist, hier aber sofort eine entliehene Stelle verrät. Ebenso kommt die Warnung Elins an ihren Gemahl: Trinke du den Becher nur zur Hälfte, lasse die schlechtere Hälfte dem Schlechteren u. s. w. oft wörtlich in dem Gesange von der zweiten Fahrt Lemminkäinens nach Pohjola vor. Beide hier angeführten Beispiele sind aus Varianten aus dem Gouvernement Archangel genommen; so weit sind daher die Splitter des Gesanges verstreut worden.

Schliesslich ist noch bemerkenswert, dass die Gesänge wohl, wie es natürlich ist, in der Hauptsache dem ostfinnischen Dialekte folgen, in dessen Gebiete sie nun zum grössten Teile aufgezeichnet sind, doch gleichwohl eine nicht geringe Anzahl Worte und Formen enthalten, welche unzweifelhaft westfinnisch sind und nicht von Ostfinnen haben eingesetzt werden können. Diese Beweise erhalten noch mehr Kraft durch einige in den Gesängen erwähnte, ausschliesslich westfinnische Sitten und Gebräuche. Kein Karelier ist jemals noch auf den Gedanken gekommen, einen Ochsen vor seinen Pflug zu spannen; in Westfinnland ist das dagegen sehr gewöhnlich, und auch in der Kalevala werden Samposwurzeln mit Hülfe dieser Tiere locker gepflügt. Das Brauen von Bier bei Festen, besonders zu Weihnachten, ist nur in Westfinnland gebräuchlich ; dennoch geschieht dieses auch für die Hochzeit in Pohjola, und in Russisch-Karelien wird oft ausdrücklich versichert, dass dieser Gesang gesungen werden müsse, damit das Bier wohl gelingen möchte, obgleich das Volk daselbst niemals die erwähnte Zubereitung gesehen hat.

In Esthland ist eine Einwirkung des finnischen Gesanges zu merken, wahrscheinlich vermittelt durch Soldaten, welche daselbst im 16. und 17. Jahrhundert in Garnison gelegen haben. Aber in gleichem Masse hat ihrerseits die esthnische Poesie die finnische ausgebildet und bereichert. Wäainämöinen, Ilmarinen und Lemminkäinen zum Beispiel scheinen alle ursprünglich fremd für die Esthen gewesen zu sein, obwohl sie jetzt. wenn auch selten, auch in ihren Gesängen auftreten. Ein deutlicher Beweis hierfür ist, dass der Name des Erstgenannten auf eine wunderliche Weise verkehrt ist. Wäinämöinen kommt von Wäina, die ruhige Mündung

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Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_127.png&oldid=- (Version vom 21.11.2023)